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Jean-Marie Pfaff im AZ-Interview: "Diese Kunst muss ein Bayern-Torhüter beherrschen"
16. Februar 2023, 18:12 Uhr aktualisiert am 16. Februar 2023, 18:12 Uhr
AZ-Interview mit Jean-Marie Pfaff: Der 69-Jährige war von 1982 bis '88 Torhüter des FC Bayern. Pfaff war zudem Nationalkeeper Belgiens und wurde 1987 als Welttorhüter ausgezeichnet.i
AZ: Herr Pfaff, der FC Bayern hat sich mit dem 1:0-Sieg bei Paris Saint-Germain eine gute Ausgangslage fürs Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale am 8. März geschaffen. Wie haben Sie den Auftritt der Münchner gesehen - und wie stehen die Chancen aufs Weiterkommen?
JEAN-MARIE PFAFF: Die erste Halbzeit war sehr von der Taktik geprägt, man merkte, dass beide Mannschaften großen Respekt voreinander hatten. Die Bayern waren aber das bessere Team, sie haben von Anfang an das Zepter in die Hand genommen und versucht, sich ihre Chancen zu erarbeiten. Das hat allerdings nur selten funktioniert, PSG stand defensiv gut. Insgesamt war die Leistung der Pariser in der ersten Halbzeit aber eher enttäuschend.
Bei PSG hat Kylian Mbappé nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit für ein komplett anderes Spiel gesorgt. Wie sollte Bayern im Rückspiel versuchen, gegen ihn zu verteidigen?
Ja, das war eine ganz andere PSG-Mannschaft nach der Pause. Auf einmal waren Zug und Tempo drin. Die Bayern kamen einige Male in der Abwehr ins Schwimmen, hatten aber das Glück des Tüchtigen und einen starken Torwart hinten drin. Wie man gegen Mbappé verteidigen soll? Nun, wenn er einmal in den Lauf kommt, ist es nur ganz schwer, ihn noch zu bremsen. Man muss ihn direkt bei der Ballannahme attackieren, ihm die Lust nehmen und auf den Füßen stehen. Grundsätzlich ist PSG aber nicht nur Mbappé, da sind ja auch noch Neymar oder Messi, die auch ein Spiel entscheiden können. Und auch alle anderen sind in der Lage, Tore zu schießen.
Benjamin Pavard wird im Rückspiel nach seiner Roten Karte fehlen. Welchen Einfluss könnte das haben?
Pavard hat aus meiner Sicht ein starkes Spiel gemacht. Dass er dann zwei Gelbe Karten kassiert, ist nicht zu ändern. Gegen solche Klassespieler musst du ans Limit gehen und manchmal auch darüber hinaus. Da handelt man sich schnell zwei Gelbe Karten ein. Ihn zu ersetzen, wird nicht einfach, wenn man die Form des Hinspiels zugrunde legt. Die Bayern müssen das im Abwehrverbund lösen, auch die defensiven Mittelfeldspieler müssen dabei unterstützen.
Sadio Mané hingegen könnte nach langer Pause dabei sein.
Dass Sadio Mané zurückkehrt, ist super, ich gönne es ihm von Herzen. Für ihn war es sicher nicht einfach zu verarbeiten, dass er wegen seiner Verletzung die WM verpasst hat. Nach Monaten ohne Spielpraxis kann er höchstens als Joker ein Thema sein. Die Automatismen muss er sich erst wieder erarbeiten. Wenn du Mané aber von der Bank bringen kannst, sei es für 30 oder 45 Minuten, ist das sicher eine Waffe und eine gute Option für das Rückspiel.
Waren Sie überrascht, dass Thomas Müller in Paris auf der Ersatzbank saß?
Nein, überrascht war ich nicht. Müller hat ja bereits in den vergangenen Wochen immer mal wieder auf der Bank gesessen. Julian Nagelsmann sieht seine Spieler jeden Tag im Training und kann am besten einschätzen, wer in der Aufstellung besser reinpasst und wer nicht. Grundsätzlich denke ich aber, dass Thomas Müller immer noch ein wichtiger Spieler für den FC Bayern ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Trainer in absehbarer Zeit auf seine Erfahrung und die manchmal unkonventionelle Spielweise verzichten wird - und kann. Müller kann in jedem Spiel zu einem wichtigen Faktor werden, ob er nun von Anfang spielt oder von der Bank kommt.
Im Tor hat Yann Sommer lange nichts zu tun gehabt, dann war er bei der großen Chance von Mbappé da und hat famos pariert. Wie fanden Sie seinen Auftritt?
Sommer war ein starker Rückhalt. Die Kunst, in den ein oder zwei Situationen zur Stelle zu sein, wenn du vorher lange nichts zu tun bekommst, die muss ein Torhüter beim FC Bayern einfach beherrschen. Sommer war da, als er gebraucht wurde. Und auch dank seiner Paraden haben die Bayern das Spiel zu Null gewonnen. Ich denke, Sommer ist jetzt endgültig in München angekommen.
Trauen Sie Sommer zu, in dieser Königsklassen-Saison den Titel mit Bayern zu holen und eine ähnlich prägende Rolle einzunehmen wie Manuel Neuer bei den Triumphen 2013 und 2020?
Natürlich kann Bayern die Champions League gewinnen. Das Spiel in Paris hat gezeigt, zu was die Mannschaft fähig ist, wenn sie gefordert wird. Und dazu gehört auch immer ein guter Torhüter. Sommer haben sie nicht aus Jux und Tollerei nach München geholt, sondern weil er Qualitäten hat, mit denen man Titel gewinnen kann. Ob er eine Rolle wie Neuer einnehmen kann, muss man abwarten. Manuel war nicht umsonst der beste Torhüter der Welt. Auf jeden Fall wird Sommer die Möglichkeiten bekommen, sich in den entscheidenden Momenten zu behaupten. Die Qualität für große Aufgaben hat er zweifelsohne.
Wie sehen Sie Sommers Aussichten bei Bayern, falls Neuer - wie geplant - im Sommer wieder ins Teamtraining einsteigt?
Manuel muss sich ja erst wieder heranarbeiten. Es bleibt abzuwarten, ob er nach seiner schweren Verletzung noch mal das Niveau erreicht, dass er hatte. Ich erwarte, dass er zurückkommt und es dann einen fairen Konkurrenzkampf um den Platz zwischen den Pfosten gibt. Wer dann am Ende die Nase vorne haben wird, kann man heute noch nicht einschätzen.
Wird Neuer noch mal sein altes Leistungsniveau erreichen und wieder die Nummer 1?.
Er muss erst einmal wieder gesund und topfit werden. Man wird sehen, auf welches Niveau er noch einmal kommt. Sicher ist aber, egal wer dann im Tor steht: Die Bayern brauchen sich auf der Torhüterposition keine Sorgen machen.
Haben Sie Neuers Ärger und sein Interview nach der Freistellung von Torwarttrainer und Kumpel Toni Tapalovic verstanden? Tapalovic wurde inzwischen durch Michael Rechner ersetzt.
Grundsätzlich kann ich seinen Ärger nachvollziehen. Es ist aber immer die Frage, ob man seinen Unmut dann öffentlich kundtun muss. Die Art, wie das gelaufen ist, war höchst unglücklich. Dass der Verein dann entsprechend reagiert, kann ich auch verstehen. Da hat Manuel einen Fehler gemacht. Er ist Angestellter des Vereins und als solcher hat man Entscheidungen des Klubs zu akzeptieren, egal wie sehr sie einem auch missfallen. Zu meiner Zeit war die Bürotür von Uli Hoeneß immer offen. Wenn man Sorgen oder Probleme hatte, konnte man zu jeder Zeit zu ihm kommen. Ich bin sicher, dass Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic auch immer ein offenes Ohr für die Probleme der Spieler haben. Ein Gespräch unter vier Augen wäre für Manuel sicher die bessere Lösung gewesen.
Wie sehen Sie die Bayern-Perspektiven von Alexander Nübel, der noch bis Saisonende an die AS Monaco ausgeliehen ist?
Ich denke nicht, dass Nübel bei den Bayern noch eine Perspektive hat. Inzwischen muss er sich ja gegen zwei Torhüter behaupten, die beide selber den Anspruch haben, Nummer eins zu sein. Ich rate Nübel dazu, sich anderweitig zu orientieren. In Monaco macht er ja aktuell einen guten Job, ist dort Stammtorhüter und fühlt sich anscheinend auch sehr wohl.
Bayern muss am Samstag im Klassiker bei Borussia Mönchengladbach ran, an der Bundesliga-Spitze geht es eng zu. Werden wir in dieser Saison einen neuen Meister sehen?
Oh Mönchengladbach, das waren auch früher schon immer heiße Spiele, vor allem auswärts. Am Bökelberg haben wir so manchen Fight geschlagen und oft auch einen auf die Mütze bekommen. So ist es auch heute noch, die Borussia bleibt der ewige Rivale, auch wenn sie nicht mehr so häufig um den Titel spielt wie noch in den 1970er Jahren. Sie sind jederzeit in der Lage, an einem guten Tag die Bayern zu ärgern. Ich gehe davon aus, dass der FC Bayern nach dem Sieg in Paris aber mit neuem Selbstvertrauen ins Spiel geht und am Samstag gewinnt. Und ich bin sicher, am Ende wird der Deutsche Meister auch wieder aus München kommen. Sie haben den besten Kader der Liga und jetzt kommen die Wochen und Monate, in denen es in allen Wettbewerben um die Wurst geht. Und da ist der FC Bayern eigentlich immer am stärksten.