Interview
Gerda Hasselfeldt: "Müssen Zahl der Flüchtlinge nachhaltig reduzieren"
5. Januar 2016, 16:37 Uhr aktualisiert am 5. Januar 2016, 16:37 Uhr
Von Zahlenspielen bei der Debatte um eine Obergrenze hält Gerda Hasselfeldt nicht viel. Die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag will vielmehr daran arbeiten, die Zahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, spürbar zu reduzieren. Die Flüchtlingskrise wird auch die Klausurtagung der Landesgruppe von Mittwoch bis Freitag in Wildbad Kreuth dominieren. Im Interview mit unserer Zeitung zeigt sich Hasselfeldt darüber enttäuscht, dass auf europäischer Ebene bislang wenig passiert ist, um Flüchtlinge gerecht zu verteilen. Zur Abwehr von Anschlägen will sie soziale Netzwerke genauer unter die Lupe nehmen und Gefährdern elektronische Fußfesseln anlegen.
Frau Hasselfeldt, CSU-Chef Horst Seehofer hat die Obergrenze für Flüchtlinge nun bei 200 000 gezogen. Was passiert nun, wenn der 200 001. Flüchtling die Grenze überqueren will?
Hasselfeldt: Diese Zahl ist abgeleitet von den Erfahrungen der vergangenen Jahre und der Aufnahme- und Integrationskraft des Landes. Ich halte sie für nachvollziehbar. Wir können nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen und bei uns integrieren. Deshalb ist das Ziel, die Zahl der Flüchtlinge deutlich und nachhaltig zu reduzieren.
Wie lässt sich denn die Forderung nach einer Obergrenze mit geltendem Recht in Einklang bringen?
Hasselfeldt: Diese Zahl ist eine Orientierungsgröße. Es geht hier nicht darum, sich an irgendeine Zahl zu ketten. Es geht uns darum, den Zustrom zu reduzieren und zu begrenzen. Dafür legen wir konkrete Vorschläge für internationale, europäische und nationale Maßnahmen vor: beispielsweise, dass Menschen, ohne gültige Ausweispapiere, an der Grenze abgewiesen werden. Wir sind da übrigens nicht alleine: Schweden hat am Wochenende auch begonnen, nur noch Flüchtlinge mit Ausweispapieren einreisen zu lassen. Die Diskussion zu diesen Themen wird in Kreuth voraussichtlich großen Raum einnehmen.
Aber viele Flüchtlinge haben von ihren Regierungen gar keine Papiere bekommen. Was sollen die denn tun?
Hasselfeldt: Häufig ist es allerdings auch so, dass Ausweispapiere bewusst vernichtet oder gefälscht werden. Das alles ist möglich, weil derzeit an den Grenzen zu wenig kontrolliert wird und man bisher eher Nachteile hat, wenn man ein Ausweisdokument bei sich trägt. Dieses Verhalten können wir nicht länger hinnehmen. Schon nach geltendem Recht ist die Einreise ohne gültige Papiere ein Straftatbestand.
Die CDU ist strikt gegen eine Obergrenze. Treibt Seehofer damit nicht einen weiteren Keil zwischen sich und Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Hasselfeldt: Wir waren als CSU-Landesgruppe immer Impuls- und Ideengeber für die Bundespolitik. Damit waren wir auch erfolgreich. Wir waren es, die gefordert haben, den Sozialmissbrauch in der Europäischen Union einzugrenzen. Ohne unsere damaligen Kreuther Forderungen wäre da nichts geschehen. Auch in der Flüchtlingspolitik waren wir in den vergangenen Monaten Antreiber: Bei der Frage der Begrenzung des Familiennachzugs oder der Einstufung der Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten waren wir die Taktgeber. Das alles ist inzwischen längst Allgemeingut.
Die CDU-Chefin wird Gast bei Ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth sein. Was erwarten sie von der Regierungschefin? Soll sie nun auf CSU-Kurs einschwenken?
Hasselfeldt: Als Gastgeberin habe ich der Bundeskanzlerin keine Empfehlungen zu geben, was sie zu sagen hat. Ich erwarte - wie wir es von ihr gewohnt sind - intensive und offene Diskussionen in der Sache. Die Bundeskanzlerin arbeitet mit großem Einsatz an der Lösung der europäischen und internationalen Fragen in der Flüchtlingskrise - dabei hat sie unsere Unterstützung.
Wie tief ist Ihrer Ansicht nach die Kluft zwischen Merkel und Seehofer?
Hasselfeldt: Ich glaube, diese wird in der Öffentlichkeit größer und tiefer dargestellt, als sie tatsächlich ist. Beide arbeiten an der Lösung eines Problems, das die Menschen sehr bewegt. Es ist ganz normal, dass es dabei auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt. Wir sind ja schließlich auch zwei unterschiedliche Parteien. Die Betroffenheit und die Befindlichkeit ist in Bayern eben anders als im restlichen Bundesgebiet. Deshalb pochen wir auch stärker auf nationale Maßnahmen: Die meisten Flüchtlinge kommen als erstes in Bayern an und neben den Menschen hier bekommen diesen Druck auch unsere Bürgermeister und Landräte besonders zu spüren.
Die Bundeskanzlerin setzt auf eine europäische und internationale Lösung der Flüchtlingskrise. Allerdings, trotz Zugeständnissen reißt der Flüchtlingsstrom etwa durch die Türkei nicht ab und die geforderten Hotspots sind nirgendwo in Sicht. Was ist zu tun?
Hasselfeldt: Das ist in der Tat das Bohren dicker Bretter. Die Gespräche mit der Türkei sind ja nicht am Ende. Die Einrichtung der Hotspots läuft in der Tat sehr schleppend. Da ist noch viel an Gesprächen mit Griechenland und Italien nötig. Aber diese Hotspots funktionieren nur dann, wenn sie nicht nur Registrierungseinrichtungen sind. Sie müssen auch für die Verteilung innerhalb Europas und gegebenenfalls Rückführungen in die Herkunftsländer zuständig sein. Dazu müssen wir die europäische Solidarität einfordern. Europa kann sich nicht nur als Zugewinngemeinschaft definieren, sondern muss auch in der Lage sein, Lasten gerecht unter allen zu teilen.
Aber die europäischen Partner wollen von einer Flüchtlingsquote weiterhin nichts wissen. Ist Merkel mit ihrem Ansatz gescheitert?
Hasselfeldt: Da dürfen wir nicht vorschnell aufgeben, auch wenn es nicht einfach ist. Wir müssen unnachgiebig weiterarbeiten. Europa muss sich als Wertegemeinschaft verstehen und kann sich vor Problemen nicht einfach wegducken. Es geht nicht, von Europa nur profitieren zu wollen. Das müssen wir unseren Partnern in den kommenden Wochen immer wieder deutlich machen.
Zudem fordern Sie von den Flüchtlingen mehr Integrationsbereitschaft. Was bedeutet das konkret und was muss der Staat dazu leisten?
Hasselfeldt: Mit Flüchtlingen, die eine Bleibeperspektive haben, wollen wir eine individuelle Integrationsvereinbarung abschließen. Der Staat verpflichtet sich dazu, Sprach- und Integrationskurse anzubieten und auch die Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Umgekehrt müssen die Betroffenen diese Kurse auch besuchen und sich zu unseren Werten bekennen. Wer sich dem verweigert, muss mit Leistungskürzungen rechnen. Integration ist keine Einbahnstraße. Beide Seiten müssen zusammenarbeiten.
An Anschlagsdrohung in München in der Silvesternacht zeigt, auch Deutschland ist im Visier der Dschihadisten. Wie kann eine freiheitliche und offene Gesellschaft auf diese Bedrohung reagieren?
Hasselfeldt: In der Tat stehen auch wir im Fadenkreuz des Terrorismus. Die Polizei hat in München meiner Ansicht nach richtig und besonnen reagiert. Um den Terror grundsätzlich zu bekämpfen, müssen wir sehr breit angelegt vorgehen. Wir brauchen beispielsweise eine abgestimmte bundesweite Präventionsstrategie. Wir müssen Propaganda in jeder Hinsicht unterbinden. Hierzu müssen auch die sozialen Netzwerke einen noch stärkeren Beitrag als bisher leisten - schneller löschen und bereits vorab filtern. Wir müssen die Sympathiewerbung für terroristische Gruppierungen wieder als Straftat einstufen - eine Forderung, die wir schon lange erheben und die bisher vom Koalitionspartner abgelehnt wurde. Auch bei Gefährdern wollen wir genauer hinsehen, unser Vorschlag ist hier die elektronische Fußfessel. Schließlich müssen alle unsere Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste besser zusammenarbeiten, national wie international.
Wie rechtsstaatlich ist denn das Anlegen von Fußfesseln bei jemandem, der zunächst mal als Gefährder gilt und noch gar nichts gemacht hat?
Hasselfeldt: Es geht um jene, die bereits einschlägig verurteilt wurden. Grundsätzlich ist die Verwendung der Fußfessel aus repressiven Gründen nach geltendem Recht schon möglich. Die Anforderungen sind aber sehr eng gefasst - wir wollen sie auf diese Gruppen von Menschen ausweiten.
In Wildbad Kreuth wollen sie traditionell die Regierungsarbeit des neuen Jahres besprechen. Welche großen Projekte - abseits von Flüchtlingen und Terror - wollen Sie angehen?
Hasselfeldt: Die Flüchtlingspolitik ist sicher ein großes Thema, wir dürfen anderes daneben aber nicht vergessen: beispielsweise die Wirtschaftspolitik und den Arbeitsmarkt. Die wirtschaftliche Entwicklung ist zwar aktuell recht gut, das darf aber nicht zu Leichtsinn führen. Wir dürfen die gute wirtschaftliche Entwicklung nicht durch unnötige Belastungen gefährden. Das betrifft zum Beispiel Werkverträge, Zeitarbeit oder auch den Mindestlohn. Wir lehnen alles ab, was Unternehmen unnötig belastet oder Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit einschränkt. Außerdem ringen wir - nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - um eine vernünftige Reform der Erbschaftsteuer für Familienunternehmen. Sie und deren Arbeitsplätze dürfen nicht gefährdet werden. Nur mit einer weiteren guten wirtschaftlichen Entwicklung werden wir den Menschen Beschäftigung sichern und die aktuellen Herausforderungen meistern können. Beim Bund-Länderfinanzausgleich wollen wir Bayern bei der Bemühung um eine Entlastung unterstützen. Derzeit liegt ein Vorschlag der Länder auf dem Tisch, der noch mit dem Bund abzustimmen ist.
Wie lässt dich das alles gemeinsam mit der SPD erreichen?
Hasselfeldt: Das ist in der Tat nicht einfach, weil die Vorstellungen der SPD an vielen Stellen in eine andere Richtung gehen. Aber wir müssen intensiv dran bleiben und die nötigen Abwehrschlachten führen. Wir haben miteinander die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Wirtschaftskraft nicht gefährdet wird.
Laut einer aktuellen Umfrage kommt die CSU in Bayern auf 45 Prozent. Das wäre immer noch die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag. Aber eine wackelige. Woran liegt das?
Hasselfeldt: Die Menschen erwarten von uns, das Problem der anhaltenden Flüchtlingsströme zu lösen. Diese Lösung müssen wir vorlegen. Die Zahlen der Menschen, die über die Grenze kommen, sind nach wie vor viel zu hoch.