Merkel bittet um mehr Zeit
CSU verliert langsam die Geduld – Seehofer beharrt auf Obergrenze von 200.000 Migranten
7. Januar 2016, 14:57 Uhr aktualisiert am 7. Januar 2016, 14:57 Uhr
Mehr Zeit - darum bittet Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin bleibt in der Flüchtlingspolitik bei ihrem Kurs: die CDU-Chefin setzt auf europäische und internationale Lösungen. Das Problem: nach wie vor kommen täglich zwischen 3000 und 4000 Flüchtlinge in Deutschland an. Aus Sicht der CSU wird jedoch die Zeit knapp. Das bekam Merkel am Mittwoch auch deutlich zu spüren. Als Gast bei der Klausur der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth geriet die Kanzlerin in die Defensive und sah sich in 14 Wortmeldungen ausschließlich mit kritischen Kommentaren der CSU-Abgeordneten konfrontiert, die nicht an die Wirksamkeit des Merkel'schen Rezepts glauben.
Zudem hatte CSU-Chef Horst Seehofer kurz vor dem Treffen in Kreuth den Druck auf die Bundesregierung erhöht. 200.000 - das ist aus seiner Sicht die Zahl an Migranten, die Deutschland pro Jahr in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integrieren könne. Dann müsse Schluss sein. Diese Zahl beruhe auf Erfahrungen vergangener Jahre und entspreche etwa dem, was bei einer europäischen Verteilquote für Flüchtlinge auf die Bundesrepublik entfallen würde. Sollten die Zuwanderungszahlen weiter so bleiben, wäre diese Obergrenze in wenigen Wochen erreicht.
Die Obergrenze erwähnte Merkel, die kurz nach ihrem zehnten Amtsjubiläum als erste Kanzlerin überhaupt eine Landesgruppenklausur besuchte, bei ihrer Ankunft in Kreuth mit keinem Wort. Doch sie betonte, dass es Ziel sei, die Zuwanderungszahlen "spürbar" zu reduzieren. Damit aber enden die Gemeinsamkeiten mit der CSU. Abkommen mit der Türkei - gut und schön. Hotspots und Sicherung der Schengen-Außengrenzen - ja gerne. Fluchtursachen durch das Anschieben von Friedensprozessen bekämpfen - sicher. Doch die Christsozialen machen deutlich: dazu reicht die Zeit nicht. Deutschland werde zunehmend vom Ansturm an Flüchtlingen überfordert und könne nicht mehr lange darauf warten, bis sich die anderen europäischen Partner bewegten. Daher setzen die CSU-Abgeordneten auch verstärkt auf nationale Lösungen, was Merkel derzeit zumindest noch ablehnt. Seehofer gab der Kanzlerin unmissverständlich mit auf den Weg: "Angela, wir wollen es mit Dir lösen, aber lösen!"
Noch immer lägen CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik meilenweit auseinander. Es sei noch ein "sehr, sehr, sehr langer Weg" zurückzulegen, sagte ein Teilnehmer. Nicht nur für Seehofer forderte: "Wir brauchen 2016 eine Wende in der Flüchtlingspolitik." Ein Bundestagsabgeordneter warnte: "Die Bevölkerung erwartet von der Politik Problemlösefähigkeit. Dies leisten wir derzeit nicht." Dies könne zu einem "Offenbarungseid" der Politik führen.
Offen will es kaum einer sagen. Doch hinter vorgehaltener Hand rechnet der eine oder andere CSU-Vertreter damit, dass Deutschland in absehbarer Zeit seine Grenzen schließen müsse. Es sei nun dringend nötig, endlich mehr Druck auf die EU auszuüben. Und auch finanziell müsse sich die gegenwärtige Situation in der Aufnahme von Flüchtlingen auswirken. Man könne die EU eben nicht als reine Umverteilungsmaschine sehen und gerne von Fördergeldern profitieren, eine Verteilung von Lasten aber ablehnen. Der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach ist zudem sehr skeptisch, was die Integrationsfähigkeit der Zuwanderer in den deutschen Arbeitsmarkt betrifft. Die Erfahrung zeige, dass bestenfalls zehn Prozent der Menschen für den Arbeitsmarkt geeignet seien. Der Rest werde dauerhaft von den Sozialsystemen abhängig sein, mit entsprechenden Auswirkungen auf Lohnnebenkosten und Beitragssätze. Ein weiterer Abgeordneter gibt zu bedenken: Die Mittelschicht etwa aus Syrien, sei doch schon längst geflohen. Die Menschen die nun noch ankämen seien dagegen weit weniger gebildet und daher auch entsprechend schwerer zu integrieren.
Merkel merkte in Kreuth an, dass die Flüchtlingszahl im vergangenen Jahr aufgrund von Doppelregisitrierungen und Menschen, die das Land bereits wieder verlassen hätten, auch unter einer Million liegen könne. Daran haben aber einige CSU-Vertreter so ihre Zweifel. Alleine der Rückstau von Anträgen bei der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei noch immens und das Land sei erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mit einem beunruhigendem Phänomen konfrontiert: Mit einer Masse an Menschen, die sich illegal und unregistriert hier aufhielten - sodass die Zahl der Zuwanderer wohl eher um die 1,5 Millionen für das Jahr 2015 liegen dürfte, wie es in Wildbad Kreuth hieß.
Die 200.000, "einer zwei mit fünf Nullen" wiederholte Seehofer mehrfach, nannte sie dann aber auch "Orientierungsgröße" und griff damit eine Formulierung von CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt auf, die es offen vermied, diese Zahl selbst in den Mund zu nehmen. Allerdings sei es auch das derzeit "allerwichtigste Ziel" der Landesgruppe, den Zustrom an Flüchtlingen drastisch zu reduzieren. Auch in dieser Frage wolle die CSU "Takt- und Impulsgeber" für die Bundesregierung sein.
Das Ziel der Reduzierung der Zuwanderungszahlen zu erreichen, ist für die CSU auch entscheidend in der politischen Auseinandersetzung mit der AfD. Vor Journalisten bezeichnete Seehofer diese als Bedrohung für die Union insgesamt, falls es nicht gelänge, die Probleme zu lösen. Bei seinem politischen Bericht vor den Abgeordneten wurde der Parteichef noch deutlicher. Wenn die Zuwanderungszahlen weiter so hoch blieben, werde das Land weder die Sicherheits- noch die Integrationsprobleme lösen können und auch bei der Finanzierung in Schwierigkeiten geraten, sagte Seehofer laut Teilnehmerangaben. Dann habe die Union ihre besten Zeiten hinter sich und werde im Wettbewerb mit der AfD in Probleme geraten - denn dann wäre wohl die absolute Mehrheit dauerhaft in Gefahr.