"Alle Türen offen"
Skispringer Geiger bläst zur Jagd auf Kobayashi
30. Dezember 2021, 15:26 Uhr aktualisiert am 30. Dezember 2021, 15:26 Uhr
Garmisch-Partenkirchen begrüßte einen tiefenentspannten Karl Geiger mit zarten Sonnenstrahlen. Nach der knüppelharten Regenschlacht in seiner Oberstdorfer Heimat genoss Deutschlands bester Skispringer den lockeren Ruhe- und Reisetag, der ihn zum zweiten Etappenort der Vierschanzentournee führte. Die Kraft, welche die physische und mentale Grenzerfahrung des Vortages ihn gekostet hatte, war ebenso wie sein Kampfeslust zurückgekehrt. "Ich bin noch vorne dabei, alles ist im grünen Bereich", sagte Geiger.
Frisch erholt setzt der Skiflug-Weltmeister deshalb nun ganz auf Angriff - auch nach Platz fünf in Oberstdorf bleibt der erste deutsche Gesamtsieg seit zwei Jahrzehnten erklärtes Ziel. "Die Ausgangsposition ist weiterhin gut, das waren erst zwei von acht Sprüngen", sagte Geiger, der vor der Abreise in den 100 Luftlinien-Kilometer entfernten Olympiaort von 1936 noch ein leichtes Muskeltraining genoss: "Jetzt heißt es, etwas runter- und dann im richtigen Moment wieder hochzufahren."
Geiger ist immer noch in Schlagdistanz
Der richtige Moment ist zunächst die Qualifikation an Silvester, vor allem aber das Neujahrsspringen am Samstag (jeweils 14.00 Uhr/ZDF und Eurosport). Und obwohl das Ergebnis "dahoam" nicht unbedingt das war, was sich Weltcup-Spitzenreiter Geiger für den Start in die Mission Tourneesieg erhofft hatte, ist es doch die Eintrittskarte in den Kampf um den Goldadler.
"Karl ist absolut in Schlagdistanz", sagte der frühere Bundestrainer und heutige Eurosport-Experte Werner Schuster angesichts von umgerechnet nicht einmal dreieinhalb Metern Rückstand auf Auftaktsieger Ryoyu Kobayashi. "Nach Oberstdorf muss man dran sein", sagte Geiger: "Das habe ich geschafft."
"Es war reichlich Druck auf dem Laden"
Geschafft war der Allgäuer allerdings auch nach dem Wettkampf. Im gelben Weltcup-Leader-Trikot und als große deutsche Tourneehoffnung in seiner Oberstdorfer Heimat anzutreten - das hatte Geiger mehr belastet als erwartet: "Es war reichlich Druck auf dem Laden, das Spannungslevel sehr hoch - dann gehen eben irgendwann die Beine zu."
Auch Bundestrainer Stefan Horngacher beobachtete, dass sein Musterschüler "sehr unter Strom stand". Dass Geiger diese harte Probe ohne große Verluste bewältigte, könnte ihm Aufwind geben, hofft der Chef: "Er kann jetzt befreit nach Garmisch gehen."
Die dortige Olympiaschanze allerdings hat den DSV-Adlern des öfteren die Tournee versaut. Der bislang jüngste Sieg in "GAP" durch Sven Hannawald auf dem Weg zum bislang letzten deutschen Tournee-Erfolg datiert vom 1. Januar 2002 - es ist die längste deutsche Durststrecke auf den vier Schanzen.
Mental ist Kobayashi da im Vorteil - er gewann bei seinem Tournee-Grand-Slam 2018/19 auch am Gudiberg. Dementsprechend entspannt gibt sich der japanische Topfavorit auch vor Teil zwei des Schanzen-Epos: "Ich bin glücklich, aber ich denke jetzt noch nicht an den Gesamtsieg, sondern nur an das nächste Springen."
Deutsches Team liegt zum größten Teil schon weit zurück
Horngacher muss derweil den Großteil seiner Tournee-Gedanken auf Geiger richten, denn der Rest der Mannschaft kehrte am Mittwochabend mehr oder weniger gerupft ins Teamhotel zurück. Der sechsmalige Weltmeister Markus Eisenbichler zeigte im zweiten Sprung seine Extraklasse, liegt als Siebter aber schon fast zwölf Meter hinter Kobayashi zurück. Dahinter durfte sich nur noch Rückkehrer Stephan Leyhe als Neunter über den Start freuen.
Altmeister Severin Freund wies zwar Top-10-Niveau nach, wurde aber wegen eines irregulären Anzugs disqualifiziert. Pius Paschke stürzte im zweiten Durchgang ab, Constantin Schmid erreichte den nicht einmal. Und Andreas Wellinger musste nach vermasselter Qualifikation gar zusehen. Also muss es Geiger, der Vorjahres-Gesamtzweite, wieder richten.
"Ja, sicher", könne Geiger den Kobayashi packen, meint Horngacher, "er hat ihn heuer schon ein paarmal geschlagen, auch in Oberstdorf im ersten Durchgang. Alle Türen sind offen."