Halbzeitbilanz
Gewinner und Verlierer der bisherigen Vierschanzentournee
1. Januar 2020, 20:14 Uhr aktualisiert am 1. Januar 2020, 20:14 Uhr
Keine Zuschauer, dafür jede Menge Spannung: Die Vierschanzentournee schreibt auch in Coronazeiten viele große und kleine Geschichten. Der SID zieht die Halbzeitbilanz.
GEWINNER:
Karl Geiger: Skiflug-Weltmeister, Jungvater, Corona-Patient, Oberstdorf-Sieger, schließlich die große Aufholjagd von Garmisch - und das alles in nicht einmal vier Wochen: Was dieser "Teufels-Karl" in diesen Tagen erlebt, reicht für eine ganze Karriere. Geigers Nerven sind vom anderen Stern, das zeigte er in den großen Drucksituationen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen. Viele Jahre war er der Schattenmann neben den Freunds, Freitags, Wellingers oder Eisenbichlers, die mitunter deutlich lauter daherkamen. Der stille Star hat sich nun endgültig emanzipiert.
Stefan Horngacher: Größer konnten die Fußstapfen nicht sein, in die der "Stef" als deutscher Bundestrainer schlüpfte. Sein Vorgänger und österreichischer Landsmann Werner Schuster prägte eine Ära, war höchst erfolgreich und mit seinen wortgewaltigen Vorträgen zur Skisprunglage der Nation eine Figur von schierer Präsenz. Die Tournee aber gewann Schuster nie, Horngacher gewann sie schon als polnischer Coach zweimal mit Kamil Stoch und könnte sie im zweiten Jahr als DSV-Chefcoach ein drittes Mal holen. Horngacher schert sich nicht um Rezepte von Vorgängern und geht konsequent seinen eigenen Weg, formuliert mitunter in 30 Sekunden, was Schuster in 30 Minuten ausdrückte. Das kommt bei den deutschen Springern bislang super an.
Polen: Der Corona-GAU hatte ganz Polen in Aufruhr versetzt. Die Skisprung-Helden um Kamil Stoch und Titelverteidiger Dawid Kubacki waren nach dem positiven Test von Teamkollege Klemens Muranka schon von der Tournee ausgeschlossen worden. Nun springen sie fast allen um die Ohren. "König Kamil" darf mit sieben Punkten Rückstand als Gesamtdritter vom dritten Tourneesieg träumen. Kubacki triumphierte beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen - inklusive Schanzenrekord. Piotr Zyla wurde Dritter, knapp vor Stoch. Auch in der Gesamtwertung finden sich vier Springer vom Team Polska in den Top 10.
Das Skispringen: Eine Tournee ohne Fans, ohne Stimmung, ohne Gänsehautmomente - das klang alles wie aus einem schlechten Traum. Doch das geschichtsträchtige Event findet statt, und es bietet in Zeiten des harten Lockdowns spannende Abwechslung im meist tristen Alltagsleben vieler Fans. Klar, es fehlen die mehr als 20.000 Zuschauer in den Stadien, die jubeln und ihre Helden anfeuern. Die Tournee schreibt aber trotzdem ihre Erfolgsgeschichten, lockt Millionen Menschen vor die TV-Geräte und bietet spannende Wettkämpfe. Dieses Jahr nur eben ein bisschen ruhiger und gemäßigter.
VERLIERER:
Andreas Wellinger: Dass die Rückkehr nach einem Jahr Pause wegen eines Kreuzbandrisses Rückschläge mit sich bringen würde, war Wellinger durchaus bewusst, die Tournee allerdings noch einmal ein deutlicher Rückschritt. Ein 46. Rang in Oberstdorf und das Quali-Aus in Garmisch-Partenkirchen zeigten, dass der Olympiasieger im Weltcup nicht konkurrenzfähig ist. Schon vor dem zweiten Springen war die Tournee für Wellinger beendet.
Simon Ammann: Der mit Abstand größte Skispringer der Schweiz hat die Tournee nie gewonnen, und es ist keine gewagte Prognose, dass der "Simi" sie auch nicht mehr gewinnen wird. 32. in Oberstdorf, in Garmisch-Partenkirchen in der Qualifikation gescheitert - der doppelte Doppel-Olympiasieger von 2002 und 2010 hat den Absprung verpasst.
Sandro Pertile: Der neue Renndirektor des Weltverbandes FIS kanzelte den erneut geäußerten Wunsch der Skispringerinnen nach einer Vierschanzentournee mit Alte-Weiße-Männer-Worten ab. "Wir können kein Top-Event für ein paar Athletinnen organisieren", sagte Pertile im Deutschlandfunk, es gebe zu wenig Frauen auf höchstem Niveau. Eine Ohrfeige für das Frauen-Skispringen, das sich im vergangenen Jahrzehnt prächtig entwickelt hat. Wirkte zudem in der Moderation der Coronakrise um Polens Ausschluss nicht allzu souverän. Bis zum Standing seines Vorgängers Walter Hofer wird es für den Italiener ein weiter Weg.
Russland: Schon nach dem Weltcup-Auftakt in Wisla musste Russlands Team wegen eines positiven Coronatests in Quarantäne. In Garmisch erwischte es erneut einen russischen Springer, der drei weitere Teammitglieder mit in die Isolation nahm. Mit schlichtem Pech ist das mittlerweile kaum mehr zu erklären. Nicht bei allen Mannschaften ist das Hygienekonzept - auch aus Kostengründen - das allerausgereifteste.