1860-Spieler im AZ-Interview
Marius Willsch: "Auch Fußballer haben jetzt Existenzängste"
17. April 2020, 8:02 Uhr aktualisiert am 17. April 2020, 8:02 Uhr
Löwen-Spieler Marius Willsch spricht exklusiv in der AZ über sein Leben als Jungvater, die Auswirkungen der Corona-Krise - und darüber, was ihm im Moment am meisten abgeht: "Die Eltern und Schwiegereltern."
Marius Willsch (29) war von 2007 bis 2012 bei den Löwen und spielt seit 2018 wieder für den TSV 1860. Sein Vertrag läuft bis Sommer 2023.
AZ: Herr Willsch, das Wichtigste zuerst: Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihrer Tochter. Der schönste Moment in Ihrem Leben?
MARIUS WILLSCH: Absolut. Es war brutal schön, als Mila auf die Welt gekommen ist. Da kommt nichts anderes ran. Gleich danach kommt die Hochzeit, dann erst die Löwen.
Und plötzlich steckt das junge Glück mitten in der Corona-Pandemie. Wie sieht der Tagesablauf angesichts dieses Ausnahmezustands aus?
Die Nächte sind kürzer geworden. Unsere Kleine hat noch überhaupt keinen Schlafrhythmus, schläft viel am Tag und ist in der Nacht wach. Ich kann zum Glück manchmal "auswandern", für meine Frau ist es anstrengender. Aber Hauptsache, wir sind gesund. Wir hatten das Glück, dass unsere Tochter Mitte Februar noch vor dem Ausbruch der Pandemie dran war. Mittlerweile ist das Klinikum, in dem wir waren, sogar geschlossen. Das einzig Positive dieser Krise ist, dass ich viel mehr Zeit für meine Familie habe.
Was vermissen Sie im Vergleich zur Normalität am meisten?
Meine Eltern und meine Schwiegereltern, die wir leider seit Wochen nicht mehr gesehen haben. Es ist saublöd, wenn Großeltern ihr Enkelkind meiden müssen. Immerhin kommunizieren wir per "Facetime", aber das ist natürlich ein Unterschied. Mir fehlt auch, einfach mal Freunde zu treffen, in einem Café unter Leuten in der Sonne zu sitzen.
Marius Willsch über Corona: "Wir machen das Beste daraus"
Wie sieht es mit der Schafkopf-Runde mit Stefan Lex, Markus Ziereis, Kristian Böhnlein aus?
Die fehlt mir auch, das dürfen Sie glauben. Mit ein paar Freunden spiele ich alle zwei Tage übers Internet, aber mit meinen Sechzger-Kollegen habe ich's noch nicht geschafft.
Wie groß ist Ihre Sehnsucht, wieder bei einem 1860-Spiel auf dem Rasen zu stehen?
Die ist riesig. Wenn man an unser letztes Heimspiel denkt: Grünwalder Stadion, ausverkauftes Haus, Ossi (Prince Osei Owusu, d. Red.) köpft uns gegen Chemnitz in der allerletzten Minute das 4:3. Der Wahnsinn! Es fühlt sich so an, als wäre es ewig her. Siegen, in der Kabine feiern, mit den Fans auch mal ein Radler trinken - leider wird es das alles so schnell nicht wieder geben.
Trainer Michael Köllner erklärte kürzlich, das Team täglich mit tiefgründigen Geschichten auf andere Gedanken zu bringen.
In einer Geschichte ging es um einen tauben Frosch. Weil er keine Einflüsse von links oder rechts hörte, hat er sich von nichts und niemandem von seinem Weg abbringen lassen. Ich finde es gut, dass er das macht, denn wir Fußballer sind ja nicht gerade bekannt dafür, ein Buch in die Hand zu nehmen.
Ihr Weg zurück nimmt langsam Formen an: Wie läuft das Training in Kleingruppen, das wieder erlaubt ist?
Es vermittelt ein Stück weit Normalität, aber du kannst nicht mal einen Zweikampf führen. Oder knackige Spielformen. Wir trainieren Parcours, Passübungen, Torschüsse. So blöd, wie es sich anhört: Wir machen das Beste daraus. Es war extrem bitter, nach 14 ungeschlagenen Spielen in Serie unterbrochen zu werden. Für mich war es die beste Phase meiner Karriere, nachdem ich zum Rechtsverteidiger umgeschult wurde. Jetzt können wir uns nur auf den Tag X vorbereiten - und unsere Serie danach fortsetzen.
Marius Willsch: "Es kann schnell wieder nach unten gehen"
Die Verbände führen Diskussionen über Fortsetzung oder Abbruch der Saison. Als Spieler dürften Sie Geisterspiele als kleineres Übel ansehen.
Jeder Sportler brennt auf seine Wettkämpfe. Was man so hört, werden wohl leider noch Monate vergehen, bis die Zuschauer wieder ins Stadion dürfen. Wie die Entscheidungen dann final aussehen, werden wir hoffentlich bald erfahren.
Verglichen mit einem existenzbedrohten Einzelhändler, wie wichtig ist da der Profifußball?
Gesundheit und Menschenleben stehen über allem. Auch lebenswichtige Dinge wie Lebensmittelversorgung, Supermärkte oder Apotheken müssen laufen, das ist klar. Fußball darf sich nicht zu wichtig nehmen, aber es hängen viele Jobs daran, wie in vielen anderen Bereichen auch. Und er kann für viele Menschen in schweren Zeiten ein Zuckerl sein.
Inwieweit haben Sie als Profifußballer Existenzängste, wo Sie nicht bei Welt-Klub FC Bayern mit einem Jahresgehalt von zehn Millionen angestellt sind, sondern bei einem Drittligisten in Kurzarbeit?
Klar hat man auch als Fußballer jetzt Existenzängste. Wir sind auch nur Arbeitnehmer und haben befristete Verträge. Bei uns schaut es ähnlich aus wie bei vielen Betrieben in der Wirtschaft. Als Fußballer weißt du: Der Job hat viele Sonnenseiten, aber es kann schnell wieder nach unten gehen. Keiner hat ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, das ein sicheres Einkommen garantiert. Auch deswegen wäre ein Saisonabbruch schlimm, denn er hätte größere finanzielle Folgen für die Spieler und Vereine. Ich bin froh, dass ich vor kurzem einen längerfristigen Vertrag bei 1860 unterschrieben habe. Aber am Ende des Tages wissen wir alle noch nicht, wann und wie es weitergeht. Wir können nur hoffen, so schnell wie möglich wieder auf dem Platz stehen zu dürfen.
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