AZ-Interview zum Spiel 1. FCN - FCB
Beckstein: "Ein Ersatzspieler beim Club verdient mehr als die Kanzlerin"
27. April 2019, 13:00 Uhr aktualisiert am 27. April 2019, 14:16 Uhr
Ex-Ministerpräsident und Club-Fan Günther Beckstein glaubt an einen Sieg gegen die Bayern und spricht über Beifall von den Bayern-Fans.
München - Ex-Ministerpräsident und Club-Fan Günther Beckstein spricht in der AZ über den Absturz der Nürnberger, das Duell mit dem Erzfeind FC Bayern und die Überkommerzialisierung des Profifußballs.
AZ: Herr Beckstein, haben Sie beim bitteren 1:1 des 1. FC Nürnberg gegen Schalke vor zwei Wochen im Stadion mitgelitten?
GÜNTHER BECKSTEIN: Nein, ich hatte einen auswärtigen Termin, habe mich aber währenddessen immer auf dem Laufenden gehalten. Es war zum Verzweifeln! Ein Elfmeter verschossen, ein anderer nicht gegeben, Chancen in Hülle und Fülle, der Schalker Torwart in überragender Form: Nach Schlusspfiff dachte ich an den schönen Spruch von Andi Brehme: "Hast du Scheiße am Fuß, hast du Scheiße am Fuß." Selten hat diese Weisheit so sehr zugetroffen wie auf die Situation des Clubs.
Beckstein glaubt an Club-Sieg gegen den FC Bayern
Warum soll sich das ausgerechnet gegen die Bayern ändern? Glauben Sie allen Ernstes an einen Sieg?
Ja. Drei Gründe sprechen für einen Sieg von uns. Erstens: die Motivation! Gegen die Bayern ist es immer ganz besonders. Wenn wir einen guten und die Bayern einen schlechten Tag erwischen, sind sie schlagbar. Zweitens: Nach vielen Monaten als Tabellenletzter sind wir jetzt nah an den Relegationsplatz gerückt, der Glaube an die Rettung ist zurückgekehrt. Und drittens: Weil es nach so vielen Spielen mit fragwürdigen Entscheidungen gegen uns Zeit wird, dass wir einen Schiedsrichter bekommen, der das Spiel zu unseren Gunsten verpfeift. Kurz: Wir haben zwar keine Chance, aber genau die werden wir nutzen.
Sie erwähnten eben die epochale Sentenz des Fußball-Philosophen Brehme, ein anderes legendäres Sprichwort lautet: Der Club is a Depp.
Der Club ist natürlich ein Depp. Genau deswegen braucht man als Club-Fan einen starken, in sich gefestigten Charakter, der mit Tiefschlägen fertig wird. Bayern-Fan ist leicht, das kann ja jeder.
Beckstein: "Einer meiner Söhne ist eingefleischter FC Bayern-Fan"
Haben Ihre Eltern eigentlich Ihre Leidenschaft für den Club entfacht?
Nein, meine Eltern hatten mit Fußball gar nichts am Hut. Das entwickelte sich bei mir in den Fünfzigerjahren, als ich nach Nürnberg ging. Für uns junge Burschen war es das Höchste, wenn wir das Geld für einen Stehplatz im Stadion zusammenkratzen konnten. Nürnberg war damals noch eine Macht - und Bayern kein Thema. Das hat sich geändert, weshalb einer meiner beiden Söhne heute auch eingefleischter Bayern-Fan ist.
Du meine Güte. Haben Sie ihn schon enterbt?
Nein.
Die Rivalität zwischen Bayerns größten Städten geht ja weit über den Fußball hinaus, gibt es in Nürnberg immer noch so viel Antipathie gegenüber München?
Das war noch vor 20, 25 Jahren ausgeprägt, die Ressentiments sind aber stark zurückgegangen. Die Nürnberger sehen, dass ihre Stadt eine tolle Entwicklung gemacht hat und die Wirtschaftslage sehr positiv ist, während München unter seiner eigenen Attraktivität zu leiden hat, allein wenn man an die hohen Mieten denkt. Ich kenne viele Leute aus meinem Umfeld, die einen Job in einem Ministerium in München angeboten bekamen und mit der Begründung ablehnten, dass sie sich das nicht leisten könnten.
Heißt das also auch, dass der Nürnberger seinen Minderwertigkeitskomplex abgelegt und ein stärkeres Selbstbewusstsein entwickelt hat?
Das einst signifikante Benachteiligungsgefühl ist deutlich weniger geworden. Natürlich ist es tendenziell immer noch so: Wenn in München etwas halbwegs ordentlich ist, dann wird es gleich als Weltspitze hochgejubelt. Und wenn in Franken etwas wirklich sensationell ist, dann heißt es gerade mal: Passt schon. Dennoch: Unser Selbstwertgefühl ist deutlich gestiegen. Wir wissen es zu schätzen, hier zu leben. Nürnberg ist lebenswert und liebenswert und auch deutlich billiger. Für den Preis einer Wiesn-Maß bekomme ich in Nürnberg am Sonntag in einem Lokal ein komplettes Mittagessen. Inklusive Bier.
Beckstein: "Am Ende haben die Bayern-Fans mir sogar Beifall geklatscht"
Stimmt es eigentlich, dass Sie in Ihrer Zeit als Ministerpräsident den FC Bayern nach einer Meisterschaft nicht offiziell empfangen wollten?
Ich wollte, dass meine Stellvertreterin Christa Stevens den Empfang gibt, weil ich auch dachte, die Bayern-Fans würden mich als Clubberer nicht akzeptieren. Da muss ich aber das hohe Lied auf Hoeneß und Rummenigge singen, die ihren Fans gegenüber gesagt haben: "Klar ist der Beckstein lebenslang Club-Fan, aber ihr wollt ja selbst, dass man einem Verein ein Leben lang treu ist." Am Ende haben die Bayern-Fans mir sogar Beifall geklatscht.
Wie fanden Sie denn den denkwürdigen Auftritt von Hoeneß und Rummenigge bei der Pressekonferenz im Oktober?
Das war sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, ich habe aber gerade vor Hoeneß großen Respekt, ohne ihn wäre der Aufstieg des FC Bayern zu einer europäischen Spitzenmannschaft nicht möglich gewesen. In meiner Zeit als für die Verkehrsplanung zuständiger Innenminister habe ich ja den Bau der Allianz Arena mitbegleitet und hielt das Projekt erst für völlig unrealistisch. Aber mit welcher Energie die Bayern das vorangetrieben und umgesetzt haben, war schon enorm.
Beckstein: "Ein Ersatzspieler beim Club verdient mehr als die Kanzlerin"
Dennoch gilt vielen Fans die Arena als zu steril, als Sinnbild des Hochglanzprodukts Fußball, der sich von der Basis entfernt hat.
Dass der Fußball inzwischen überkommerzialisiert ist, wird man nicht mehr ändern können, allein die Ablösesummen im dreistelligen Millionenbereich verstehen die Fans doch nicht mehr. Ich war neulich bei der Hauptversammlung vom Club, da wurde über die Gehälter von Politikern geschimpft. Ich habe mir dann erlaubt zu sagen, dass ein Ersatzspieler beim Club mehr Gehalt kriegt als die Kanzlerin. Da war dann Ruhe. Die Allianz Arena ist nun einmal der FC Bayern und damit die große weite Welt. Wir haben dafür das Max-Morlock-Stadion, da esse ich in der Pause meine Drei im Weggla und treffe Freunde und Bekannte.
Sie sagten einmal, der 1. FC Nürnberg sei Deutschlands erfolgreichster Verein.
Ja, weil wir schon acht Mal aufgestiegen sind.
Das aber auch nur deswegen, weil Sie davor acht Mal abgestiegen sind.
Das verdränge ich.
Und wenn Sie jetzt das neunte Mal absteigen?
Dann nur aus dem Grund, damit wir im nächsten Jahr unsere Spitzenposition als Rekordaufsteiger verteidigen und die Führung ausbauen. Wenn wir absteigen, denken wir gleich wieder an den Aufstieg. Das ist nicht schlimm. Wir sind das ja schon gewöhnt.
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