Europawahl am 26. Mai

FW-Spitzenkandidatin Müller: "Vier Tage Brüssel, ein Tag Kühe melken"


"Man kann nur gute Politik machen, wenn man tatsächlich geerdet ist und weiß, wo man seine Wurzeln hat",sagt Ulrike Müller (hier im Innenhof der Abendzeitung).

"Man kann nur gute Politik machen, wenn man tatsächlich geerdet ist und weiß, wo man seine Wurzeln hat",sagt Ulrike Müller (hier im Innenhof der Abendzeitung).

Von Lukas Schauer / Onlineredaktion

Die Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl spricht über ständiges Pendeln und taffe Frauen. Sie bewertet auch die EU - mit einer Schulnote.

München - AZ-Interview mit Ulrike Müller. Die Bäuerin (56) aus dem Oberallgäu ist Spitzenkandidatin der Freien Wähler für die Europawahl am 26. Mai.

AZ: Frau Müller, aus dem Oberallgäu nach Brüssel und zurück. Wie anstrengend ist dieses Pendeln auf Dauer?
ULRIKE MÜLLER: Ich habe die Reisezeiten völlig unterschätzt. Montagfrüh gegen 5 Uhr geht's los Richtung Flughafen München, mittags komme ich dann in meinem Brüsseler Büro an. Bis Donnerstag nehme ich an Ausschüssen und Sitzungen teil, bespreche mich mit Kollegen, dazu kommt viel legislative Arbeit wie Gesetzentwürfe lesen. Donnerstagabend fliege ich zurück.

Ist Freitag Ihr Ruhetag?
Keinesfalls! Frühmorgens melke ich die Kühe auf unserem Hof und bin dann viel in der Region unterwegs, auch am Wochenende. Man kann nur gute Politik machen, wenn man tatsächlich geerdet ist und weiß, wo man seine Wurzeln hat.

Was sagt Ihre Familie, dass Sie fast die ganze Woche nicht zuhause sind?
Mein Mann zeigt mir regelmäßig die Rote Karte (lacht). Im Wahlkampf bin ich natürlich noch mehr auf Reisen. Am Ende ist alles eine Frage der Organisation, auch im Hinblick auf die Arbeit am Hof. Dafür kann mein Mann später umso mehr stolz sein, wenn mir hoffentlich der Wiedereinzug ins Europaparlament gelungen ist. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so ein Amt - es ist ja auch ein Mandat auf Zeit - 20 Jahre oder länger ausübe.

Ulrike Müller im Gespräch mit AZ-Redakteur Otto Zellmer.

Ulrike Müller im Gespräch mit AZ-Redakteur Otto Zellmer.

Sie sitzen seit 2014 im Europaparlament. Wie kam es, dass eine Bäuerin aus dem Allgäu den Weg nach Brüssel wagt?
Ich war damals Landtagsabgeordnete. Unser Vorsitzender Hubert Aiwanger sagte zu mir: "Ulrike, du als Bäuerin, mit einem Viergenerationen-Hof im Allgäu, du kennst dich mit der Agrarpolitik aus, du hast eh viel mit Brüssel zu tun, du musst da kandidieren." Dann bin ich mit meinem Wohnmobil quer durch Deutschland getingelt. Und habe als einzige Abgeordnete der Freien Wähler den Einzug ins Europaparlament geschafft.

Sie sind in Brüssel eine Einzelkämpferin. Wie schwer war vor allem die Anfangszeit im Parlament?
In den ersten Wochen und Monaten musste ich viele Kontakte knüpfen und fraktionsmäßig irgendwo andocken. Ich wollte nicht in die Fraktion der CSU; von denen bin ich mein ganzes Leben lang bekämpft wurden. Deshalb bin ich Mitglied der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) geworden.

Jetzt hat mit Manfred Weber ein Bayer aus der CSU die große Chance, Kommissionspräsident zu werden - ihre Allianz unterstützt aber die Kandidatin Margrethe Vestager.
Eine taffe Frau, die als Wettbewerbskommissarin eine hervorragende Arbeit macht. In der Endausscheidung um den Kommissionspräsidenten wird sie aber aus meiner Sicht leider keine Rolle mehr spielen. Das machen die beiden großen Blöcke unter sich aus: die Konservativen mit Manfred Weber und die Sozialdemokraten mit Frans Timmermans. Wenn Bayern dann, wenn der Kommissionspräsident gewählt wird, die Chance hat, eine Person aus dem Freistaat an die Spitze des gewaltigen Apparates mit 35. 000 Mitarbeitern zu hieven, unterstütze ich selbstverständlich Manfred Weber. Da schlägt mein Herz bayerisch.

"Aktuell kann man die Türkei nicht in die EU aufnehmen"

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz will die EU massiv umbauen. Die EU-Kommission sei zu groß, er will klarere Sanktionen gegen Mitglieder, die Schulden machen und harte Konsequenzen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Was halten Sie davon?
Was Kurz fordert, ist schlichtweg die Einhaltung der bestehenden Verträge. In vielen Punkten stimmen wir als Freie Wähler Österreichs Kanzler zu, etwa bei der Verkleinerung der Kommission. Sie ist zu aufgebläht, da brauchen wir mehr Effektivität.

Ein schwieriger Fall für die EU ist der Umgang mit der Türkei. Wie verlässlich ist Recep Tayyip Erdogan als Partner?
Aktuell ist die Türkei in keiner Weise ein Land, das man in die EU aufnehmen könnte. Wir stehen zum Asylabkommen mit Ankara. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten wir trotzdem stoppen. Wie und weshalb Präsident Erdogan nun beispielsweise die Bürgermeister-Wahl in Istanbul wiederholen lässt, zeigt, dass er wenig Verständnis von Demokratie hat.

Ihnen ist es ein Anliegen, Europa den Menschen näher zu bringen. Wie hat die EU in den vergangenen Jahren den Alltag der Menschen in Bayern positiv verändert?
Da gibt es unter anderem das Aus für die Roaming-Gebühren, die grenzüberschreitende Reisefreiheit oder das Interrail-Ticket für Jugendliche. Alles Vorteile, über die leider viel zu wenig gesprochen wird. Die EU muss sich da besser verkaufen - das bedeutet zum Beispiel, mehr auf Social Media zu setzen. Auf Landesebene haben wir eine neue Trinkwasserrichtlinie durchgesetzt, welche unter anderem die Qualität des Trinkwassers verbessert. Die Abstimmung im Plenum haben wir mit einer Stimme Mehrheit gewonnen.

"Europa den Bürgern nahebringen"

Wenn Sie die Abstimmung verloren hätten?
Dann hätte das massive Auswirkungen auf den Wasserpreis für jeden Bürger in Bayern gehabt, weil ein ganzes Bündel an Maßnahmen - etwa mehr Laboruntersuchungen - nötig gewesen wäre, das den Preis für Wasser drastisch erhöht hätte. Zudem hatte die Kommission die kleinen kommunalen Wasserversorger übergangen. Davon gibt es in Bayern mehr als 2.250.

Wie viel Prozent der Gesetze, die uns täglich betreffen, haben ihren Ursprung in der EU?
75 bis 80 Prozent. Genau deswegen braucht es Erfahrung in der Kommunalpolitik, um zu wissen, was die Menschen bewegt. Mir ist es ein Anliegen, dass wir Europa den Bürgern erklären, es ihnen nahebringen. Europa darf nicht abstrakt sein, sondern einfach. Die großen Dinge - etwa die Sicherheitspolitik - muss Europa regeln, die kleinen die Regionen.

Da liegt auch der Vorschlag auf dem Tisch, eine europäische Armee zu gründen.
Letztere brauchen wir schon deshalb, weil wir innerhalb der Nato unabhängiger werden müssen von den USA.

"Eines der größten Friedensprojekte ist in Gefahr"

Die CSU etwa fordert eine solche Armee, ebenso wie ein Deutschland-Praktikum.
Dass die CSU unter Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht ausgesetzt hat, war ein großer Fehler. Wir gehen einen Schritt weiter. Wir plädieren dafür, dass jeder männliche Jugendliche ein Jahr Pflichtdienst bei einer ordentlich ausgestatteten Bundeswehr ausüben soll. Will er das nicht, besteht die Möglichkeit, in sozialen Einrichtungen zu arbeiten. Das könnte auch die Situation in der Pflege entspannen.

Wie würden Sie den aktuellen Zustand der EU mit einer Schulnote bewerten?
Leider nur mit "ausreichend".

Viel Luft nach oben.
Der innereuropäische Zustand und die nationalistischen Tendenzen in einigen Staaten stimmen mich sehr nachdenklich. Wir brauchen die Bündelung aller pro-europäischen Kräfte, um Europa aktiv zu gestalten. Auch wenn der Ausspruch "Nie wieder Krieg" heute für viele Deutsche selbstverständlich ist - Europa, eines der größten Friedensprojekte der vergangenen Jahrzehnte, ist in Gefahr. Am 26. Mai können die Bürger entscheiden, was sie wollen: ein Europa der egoistischen Nationalstaaten oder ein gemeinsames Solidarprojekt, das die Zukunft von Millionen Menschen, vor allem aber der jüngeren Generation sichert.