Politik

Chefin des Bayerischen Roten Kreuz: "Das kann nicht funktionieren"

Mit Elke Frank steht beim Bayerischen Roten Kreuz erstmals eine Frau ander Spitze der Geschäftsführung.Sie hat geballte Klinik-Kompetenz- und erklärt der AZ, wo es imSystem Krankenhaus gewaltig hakt.


Elke Frank(54) ist seit Jahresanfang neue Landesgeschäftsführerin beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK).

Elke Frank(54) ist seit Jahresanfang neue Landesgeschäftsführerin beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK).

Von Lisa Marie Albrecht

AZ-Interview mit Elke Frank. Die 54-jährige gebürtige Ulmerin ist seit Jahresanfang neue Landesgeschäftsführerin beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK). Vor ihrer Zeit beim BRK war sie Kaufmännische Vorständin im Klinikum rechts der Isar. Sie ist gelernte Fachschwester für Anästhesie und Intensiv, studierte BWL und ist promovierte Humanbiologin. Zudem ist sie ehrenamtlich als Rettungssanitäterin und Feuerwehrlerin tätig. Frank ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

AZ: Frau Frank, Sie hatten leitende Funktionen in mehreren süddeutschen Kliniken inne - zuletzt als kaufmännische Vorständin im Klinikum rechts der Isar. Seit diesem Jahr sind sie Landesgeschäftsführerin des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Ist der Terminkalender schon randvoll?
ELKE FRANK: Zwischen den Jahren, wo ich eigentlich Urlaub machen wollte, war es viel. Die erste Januarwoche war dafür etwas entspannter, noch werde ich verschont. Doch die Schlagzahl erhöht sich allmählich.

Eine Pflegekraft bei einer Demonstration gegen Personalmangel und Profitmaximierung imKrankenhaus.Auch BRK-Geschäftsführerin Elke Frank kritisiert die monetären Zwänge imKlinikalltag - und fordert eine finanzielle Neustrukturierung.

Eine Pflegekraft bei einer Demonstration gegen Personalmangel und Profitmaximierung imKrankenhaus.Auch BRK-Geschäftsführerin Elke Frank kritisiert die monetären Zwänge imKlinikalltag - und fordert eine finanzielle Neustrukturierung.

Wie sind Sie dem BRK verbunden?
Ich bin ja schon seit einem Jahr stellvertretende Landesgeschäftsführerin. Außerdem bin ich bereits seit 1993 beim Deutschen Roten Kreuz, größtenteils ehrenamtlich. Mit der Stelle als Landesgeschäftsführerin hatte ich also quasi die Verbindung des Ehrenamts mit dem Hauptamt. Ich war nicht aktiv auf der Suche, aber sehr dankbar dass mein Vorgänger im Amt, Leonhard Stärk, mich angesprochen hat. Denn: Ich war sehr gerne am Rechts der Isar. Aber ich kann mich mit dem System Krankenhaus in der jetzigen Form nicht mehr identifizieren.

"Lauterbachs Reform ist zu kurz gesprungen"

Wieso nicht?
Ich bin gelernte Krankenschwester und dieses Wertegefüge passt für mich nicht mehr. Wenn man Patienten behandelt, um sein eigenes wirtschaftliches Überleben zu sichern, funktioniert das möglicherweise eine Zeit lang, aber nicht für immer.

Was hat Sie konkret gestört im Krankenhausalltag?
Die monetären Zwänge, vor allem die DRGs (Fallpauschalen, siehe Hintergrund). Es kann nicht sein, dass durch wirtschaftliche Anreize gedrängt ein Kaiserschnitt präferiert wird, um Geld zu verdienen - weil man es verdienen muss. Und es geht auch nicht, dass man einem Menschen eine Hüfte implantieren muss, wissend, dass das System in der Prävention und Nachsorge versagt hat, wohlwissend dass in 15 Jahren ein erneuter Eingriff notwendig werden kann - in einer bis dahin verschlechterten gesundheitlichen Ausgangslage des Patienten. Sie bekommen fünf Euro für den administrativen Aufwand in der Aufnahme eines Patienten in der Notaufnahme - da sitzt ein Mitarbeitender, Sie brauchen EDV und vieles mehr. Das kann nicht funktionieren. Um sich über Wasser zu halten, brauchen die Kliniken also mehr Patienten, und darunter kann die Versorgungsqualität leiden. Es muss andere Konzepte geben - aber dafür war die Gesundheitspolitik bisher nicht offen. In keiner DRG sind zum Beispiel die Kosten für die EDV, die Digitalisierung im Krankenhaus, abgebildet.

Das Problem hat die Politik erkannt - schließlich soll es nach dem Willen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Krankenhausreform geben, die zumindest eine teilweise Abkehr vom Fallpauschalensystem vorsieht. Bringt das die Wende?
Das kann ich in der Tiefe noch nicht beurteilen. Ein zentrales Vorhaben der Reform ist ja, etwa 500 Krankenhäuser abzubauen. Das halte ich aber bei der derzeitigen föderalen Trägerstruktur, die wir haben, nicht für möglich.

Warum nicht?
Allein südlich von München gibt es 73 stationäre Einrichtungen für eine stationäre Krankenversorgung. Angenommen man hat eine Uniklinik, etwa 23 Kilometer weiter einen kleinen Grund- und Regelversorger, 40 Kilometer weiter nochmal einen Grund- und Regelversorger und 30 Kilometer weiter noch mal einen. Die Uniklinik ist natürlich vom Land getragen, die kleinen Häuser sind unter Umständen privat oder kommunal getragen. Und es wird ihnen kein Landrat freiwillig ein Krankenhaus zumachen. Darüber hinaus muss natürlich auch die Versorgung gewährleistet bleiben - da sind wir dann zum Beispiel auch beim Rettungsdienst. Wird dieses kleine Krankenhaus dann abgebaut, verlängern sich die Transportzeiten für den Rettungsdienst dramatisch und die notfallmedizinische Versorgungsqualität leidet. Und woher wollen Sie die vielen Allgemeinmediziner nehmen, damit die Notaufnahmen, die es dann nur noch in den großen Krankenhäusern gibt, leistungsfähig gehalten werden? Und wer garantiert, dass der Rettungswagen mit Notfallpatient, diesen dort auch abliefern kann? All das gehört in Betracht gezogen - und da ist die Reform aus meiner Sicht etwas zu kurz gesprungen, aber ein Anfang.

Was muss sich aus Ihrer Sicht denn dringend ändern im Krankenhaussystem?
Die DRGs, also die Fallpauschalen, müssen grundlegend anders strukturiert werden. Die Krankenhäuser müssten eigentlich für Leerstand und Vorhaltung Geld bekommen und nicht für gefüllte OP-Säle. Krankenhäuser brauchen eine gewisse Grundvorhaltung und die muss finanziert sein. Das ist im Moment nicht der Fall.

Müssen Krankenhäuser unnötige OPs durchführen, um sich über Wasser zu halten?
Es geht nicht um unnötige OPs, sondern vielmehr um die Frage: Hat man wirklich alle Mittel eingesetzt, um eine OP zu vermeiden? Nehmen wir den Bereich Wirbelsäulenchirurgie. Wenn es unausweichlich wird, muss natürlich immer operiert werden. Aber in der Vor- und Nachbehandlung der OP gibt es eine ganze Reihe von Begleitmaßnahmen: Physiotherapie, Psychotherapie, Schmerztherapie. Damit kann man eine OP durchaus hinauszögern und manchmal sogar verhindern. Darüber hinaus braucht es unbedingt eine trägerübergreifende Krankenhausplanung. Das wird der zentrale Auftrag an Herrn Lauterbach sein. Ich hoffe, er wird mit vielen Leuten diskutieren.

Zum Beispiel mit Ihnen?
(lacht) Ich würde gerne mit Herrn Lauterbach darüber diskutieren, ich hätte Ideen!

"Die Pflege ist am Boden - aber bitte steht wieder auf"

Sie sind aber nicht nur Fachfrau fürs Finanzielle, sondern auch für die Pflege. Wird das die größte Herausforderung für das BRK im Jahr 2023?
Pflege ist mir sehr wichtig. Und dieses Thema werden wir 2023 im BRK weiter vorantreiben, auch auf der politischen Linie. Herr Holetschek hat aufgerufen, konkrete Konzepte vorzulegen und es soll eine Arbeitsgruppe geben. Wir wissen, wir haben einen Fachkräftemangel, der Pflege geht es schlecht und sie verlangt nach Wertschätzung - jetzt geht es aber darum, da rauszukommen. Bisher ist die Erzählweise oft: Die Pflege ist am Boden. Das stimmt schon - aber bitte steht wieder auf.

Wie kann die Situation in der Pflege verbessert werden?
Klar ist: Eine reine Fachkraftquote reicht nicht aus, sondern es muss auch klar werden, was das Berufsbild einer Fachpflegekraft umfasst. Bisher sind Fachkräfte nicht an die Tätigkeit am Bett gebunden, sondern können zum Beispiel auch für Hilfstätigkeiten eingesetzt werden. Im BRK haben wir zehn Heime ausgewählt, die hier eine Organisationsentwicklung anstoßen sollen. Außerdem müssen die Entwicklungsmöglichkeiten für Pflegekräfte verbessert werden. Bisher hat man nur die Möglichkeit, in eine Führungsposition zu wechseln, was viele aber nicht wollen und was auch der fachlich-inhaltlichen Weiterentwicklung nicht dient.

Welche Rolle spielt Geld?
Geld spielt natürlich eine Rolle - wo tut es das nicht - aber es geht auch darum, das Sozialleben organisieren zu können. Wenn man in die Rettung oder in die Pflege geht, weiß man, dass man Nachtdienste hat. Aber es geht darum, verlässliche Dienste zu haben. Durch die Unstetigkeit, das Einspringen aus dem Urlaub, wird das schwierig. Das ist natürlich zum Teil der Personalnot geschuldet, aber auch unabhängig davon merken viele, dass sie mit den Wechselschichten langfristig nicht klarkommen, und die ja auch negative gesundheitliche Auswirkungen haben können. Da muss man sich langfristig andere Wege überlegen.

Was haben Sie sich noch vorgenommen für dieses Jahr?
Ich komme aus der Pflege, aber ich bin auch Rettungssanitäterin im Ehrenamt und werde das auch bleiben. Deswegen ist mir dieses Thema natürlich auch besonders wichtig. Mir geht es aber auch darum, den Fokus wieder mehr darauf zu lenken, wofür das BRK steht. Unsere Vielfalt ist gigantisch: Kleiderläden, Tafeln, Geflüchtetenhilfe, Fahrdienste, Wasserwacht, Bergwacht, Jugendarbeit oder Katastrophenschutz. Man verbindet das Rote Kreuz immer mit Blaulicht und das finde ich auch cool - ich stehe auf Blaulicht. Aber auch das, was wir außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung machen, will ich in den Vordergrund rücken.

Zum Beispiel?
Wir hatten zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Kampagne für den Hausnotruf - und man konnte als Konsequenz große Erfolge sehen. Den Angehörigen zu zeigen: Da gibt es ein Medium, mit dem ich meine Eltern länger sicher in den eigenen vier Wänden leben lassen kann - das ist doch sensationell. Und wenn wir den Menschen frühzeitig helfen können, hat das wieder entlastende Effekte auf andere Bereiche. Wir müssen den Menschen zeigen: Wir sind da für die Menschen - trotz aller Krisen und Herausforderungen.