Messerangriff bei Stadtfest

Anschlag in Solingen: Angst - und die Frage nach dem Motiv


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Viele Menschen in Solingen trauern.

Von dpa

Warum? Der Versuch, das Unbegreifliche zu begreifen, lässt viele der trauernden Menschen in Solingen nicht los. Der mutmaßliche Täter wurde zwar festgenommen, die Menschen in der Stadt können nach dem Messeranschlag mit drei Todesopfern und acht Verletzten zumindest ein wenig aufatmen. Doch wieso hat der mutmaßliche Täter bei einem friedlichen und fröhlichen Stadtfest offenbar wahllos feiernde Menschen angegriffen?

Ruhige Musik schwebt am Samstagabend über den Solinger Neumarkt. Hunderte Menschen mit bedrückten Gesichtern finden sich in der Fußgängerzone zusammen. Viele halten Kerzen in den Händen, haben Blumen mitgebracht, stehen eng umschlungen und lauschen den Worten der Kirchenvertreter. "Die Stadt ist heute eine andere als sie gestern war", sagt Stadtdechant Michael Mohr. "Worte zu finden, ist fast unmöglich - Gesten zeigen nicht."

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Blumen liegen in der Nähe des Tatorts in Solingen.

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Beamte sichern rund um den Tatort Spuren.

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Auch Landesinnenminister Herbert Reul begab sich zum Tatort.

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Bei einer gemeinsamen Andacht versuchen die Menschen in Solingen, den Anschlag zu verarbeiten.

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Der Tatort wurde von der Polizei weiträumig abgesperrt.

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Ein Unbekannter hat eine Botschaft an die Toten hinterlassen: «Wir vergessen Euch niemals».

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Am Morgen steht Solingen unter Schock.

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Aus der Luft sind am Tatort noch Zelte zu sehen. Auch eine Bühne ist noch aufgebaut.

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Gemeinschaft soll Trost spenden bei einem stillen Gedenken in der Solinger Innenstadt.

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Mit kleinen Gesten der Verbundenheit und des Respektes drücken Menschen in der Solinger Innenstadt ihre Anteinahme aus.

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Auch am Tag nach dem tödlichen Anschlag äußern sich Spitzenpolitiker der Stadt Solingen sowie von Bund und Land fassungslos über das Geschehen.

Solingen, eine zwischen Düsseldorf, Köln und Wuppertal eingeklemmte Stadt, hat 160.000 Einwohner. Viele von ihnen kämpfen mühsam damit, das Geschehen zu verarbeiten. Und mit ihnen, das lässt sich wohl schon sagen, auch etliche Menschen im Rest des Landes.

Zu dem Blutvergießen kommt es am Freitagabend auf der Feier zum 650. Jahrestag der Stadtgründung, dem "Festival der Vielfalt". Noch in der Tatnacht reist NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert eine harte Strafe für den Täter.

Spitzenpolitiker von Bund und Land kommen am Samstag im Rathaus mit Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) zusammen, darunter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Innenminister Reul. Sie äußern ihr Entsetzen und ihre Fassungslosigkeit und danken den Einsatzkräften. Wüst will eine Botschaft senden: "Unser Land wankt nicht. Wir werden uns nicht erschüttern lassen von Terror, sondern wir werden unsere Art zu leben verteidigen."

Faeser nennt den Anschlag "widerwärtig" und versichert ebenfalls: "Wir lassen uns in solchen Zeiten nicht spalten, sondern stehen zusammen und lassen es auch nicht zu, dass ein solch furchtbarer Anschlag die Gesellschaft spaltet."

Die Polizei hat bislang noch keine Angaben zum Motiv des Mannes gemacht. Die Staatsanwaltschaft sprach vom "Anfangsverdacht einer terroristisch motivierten Tat". Grund dafür ist aber auch, dass ein anderes Motiv bislang wohl schlicht nicht ersichtlich ist.

Dem "Spiegel" zufolge soll der mutmaßliche Täter ein 26-jähriger Asylbewerber aus dem Bürgerkriegsland Syrien sein. Er ist demnach noch keine zwei Jahre in Deutschland. Die Informationen zu seiner Person wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt.

Am Samstagabend reklamiert die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den tödlichen Messerangriff für sich. Aber ob das Bekennerschreiben, das bei der Polizei Düsseldorf eingegangen ist, echt ist, muss erst noch überprüft werden. Auch ist noch völlig unklar, ob der mutmaßliche Attentäter tatsächlich Verbindungen zu der sunnitischen Terrororganisation hatte. Der IS hat in der Vergangenheit auch Taten für sich beansprucht, bei denen ein Zusammenhang mit der Organisation nicht zu belegen war.

Zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren und eine Frau von 56 Jahren kommen bei dem Anschlag ums Leben. Nach der Tat flüchtet der Angreifer offenbar im Tumult. Ein 15-Jähriger wird später zwar festgenommen, aber nicht wegen eines konkreten Tatverdachts - vielmehr soll er womöglich vor der Tat mit dem Angreifer gesprochen haben. Der Täter selbst bleibt zunächst ein Phantom, was die Lage sehr diffus macht. Es gibt erst einmal kein Fahndungsfoto. Eine Videoüberwachung der Polizei am Tatort gab es nicht.

Bei den Menschen, die am Tag nach der Tat Blumen niederlegen, ist Angst greifbar. "Ich habe zu meinem Mann gesagt: Wir können nicht mehr da hingehen, wo viele Menschen sind", sagt eine ältere Frau, die seit Jahrzehnten in einem Haus direkt am Tatort wohnt. Plötzlich habe man ein Messer im Rücken. "Da musst du Angst haben", sagt sie.

Eine andere Anwohnerin sagt resignierend. "Solingen ist momentan sehr oft in den Schlagzeilen." Diesen Satz hört man in der Stadt auffällig oft. Im März waren in der Stadt vier Menschen in einer Dachgeschosswohnung gestorben bei einem Feuer, das ein ehemaliger Mieter gelegt haben soll. Im Juni ließ ein Mann vor einem Solinger Geschäft eine Flasche mit einer Substanz fallen lassen, wodurch es zu einer Explosion kam und der Mann tödliche Verletzungen erlitt. Im Raum steht der Verdacht, dass der Fall eine Verbindung zu den Machenschaften der sogenannten niederländischen Mocro-Mafia hat, über die in NRW seit Wochen diskutiert wird.

Aber nicht nur Solingen wird mit dem jüngsten Geschehen irgendwie umgehen müssen, auch in Deutschland befeuert es politische Diskussionen. Messerangriffe haben zugenommen, Bundesinnenministerin Faeser kündigte erst kürzlich ein verschärftes Waffenrecht an, was die Debatte aber nicht nachhaltig beruhigte. Und in einer Woche stehen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen an.

Solingens Oberbürgermeister Kurzbach ist auch am Tag nach der Tat noch sichtlich erschüttert: "Auch wenn es jetzt schon so viele Stunden her ist, fällt es mir immer noch schwer, die richtigen Worte zu finden", sagt er im Kreise der angereisten Spitzenpolitiker von Bund und Land. Je mehr er mit Angehörigen spreche, die Verletzte oder sogar Tote zu beklagen hätten und mit Menschen, die die Tat gesehen hätten, desto entsetzlicher komme ihm das Geschehene vor. "Es geht schwer unter die Haut."


Dieser Artikel ist Teil eines automatisierten Angebots der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er wird von der idowa-Redaktion nicht bearbeitet oder geprüft.