Leitartikel
Keine Richtungswahl
13. März 2016, 20:05 Uhr aktualisiert am 13. März 2016, 20:05 Uhr
Was ist das Besondere an den Ergebnissen der drei Landtagswahlen von Sonntag? Alles!
Klar scheint derzeit nur so viel: Winfried Kretschmann kann in Baden-Württemberg an der Regierung bleiben, ebenso wie Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, und die AfD kann mit sensationellen Erfolgen in alle drei Landtage einziehen. Die FDP wiederum hat in ihrem Stammland Baden-Württemberg ein überzeugendes Comeback gefeiert, während die SPD im Ländle und in Sachsen-Anhalt einen Einbruch erlebt.
Doch vieles bleibt ansonsten ziemlich unklar. Was bedeutet der Wahlausgang zum Beispiel für die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin? Schließlich waren diese drei Landtagswahlen die ersten Abstimmungen im Zeichen der Flüchtlingskrise und des umstrittenen Kurses von Angela Merkel, die Grenzen offen zu halten. Das Wahlergebnis zeigt ein gespaltenes Land. Merkels Gegner sind nicht abgeschmiert. So steigt die AfD aus dem Stand in Sachsen-Anhalt sogar zur zweitstärksten Kraft auf. Mit ihrer Spitzenkandidatin Julia Klöckner hat die CDU in Rheinland-Pfalz ihren Vorsprung vor Amtsinhaberin Dreyer in den vergangenen Wochen wieder eingebüßt - auch nachdem die Merkel-Vertraute zunehmend vom Kurs der Parteichefin abgerückt war. Deutlich abgestraft wurde der Flüchtlingskurs der Bundesregierung gestern nicht.
Das zeigt groteskerweise der Erfolg der Grünen im Südwesten. Kretschmann hat seine Grünen zur stärksten Partei werden lassen - mit einem klaren Bekenntnis zur Politik der Regierungschefin in Berlin. Auch Dreyer hat Merkel unterstützt. Dagegen ist Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt schon frühzeitig abgerückt und hat die offenen Grenzen kritisiert. Unabhängig davon, ob es gelingen wird, tragfähige Koalitionen zu schmieden - alle amtierenden Regierungschefs haben gewonnen und damit ihren Amtsbonus zu nutzen gewusst. Insbesondere in den Fällen Kretschmann und Dreyer haben die Spitzenkandidaten starke Anziehungskraft entfaltet und den parteipolitischen Wettkampf in den Hintergrund treten lassen. Dass sich Dreyer nun nach einer neuen Koalition umsehen muss, gerät da zur Randnotiz.
Doch wie nun regieren? Für Baden-Württemberg gibt es die meisten Optionen. Grün-Rot ist aufgrund der Schwäche der SPD unmöglich. Dagegen hätte Grün-Schwarz - bisher undenkbar - durchaus Charme. Kretschmann liegt mit seinem politischen Denken in vielen Bereichen ohnehin eher auf konservativem Kurs - im Bundesrat stimmte er gemeinsam mit den unionsregierten Ländern für eine Ausweitung der sicheren Drittstaaten. Auch bei anderen Belangen hat er in den vergangenen Monaten seine Partei in den Wahnsinn getrieben, der es mit Rücksicht auf dessen Wiederwahl immer schwerer gefallen ist, klare Kante zu zeigen. Doch wäre Grün-Schwarz gut für die CDU in ihrem Stammland?
Doch auch zwei Ampeloptionen wären möglich: Die Grünen könnten mit SPD und FDP zusammengehen. Die Union bliebe damit außen vor. Ob allerdings die als recht konservativ geltenden schwäbischen Liberalen dazu bereit wären, ist zunächst offen. Die CDU dagegen könnte versuchen, SPD und FDP auf ihre Seite zu ziehen, um Kretschmann aus dem Amt zu befördern. Ob die Anziehungskraft der CDU um Spitzenmann Guido Wolf dazu ausreicht?
Noch verworrener ist die Lage in Sachsen-Anhalt. Nach dem Einbruch der Sozialdemokraten - sie haben rund die Hälfte an Stimmen verloren - scheidet eine Wiederauflage von Schwarz-Rot aus. Das entspricht auch dem Wählerwillen - Umfragen zufolge wünscht sich dort eine Mehrheit ein Ende der gegenwärtigen Koalition. Rein rechnerisch könnte Regierungschef Haseloff zwar mit den Linken ein Bündnis schmieden. Aber Schwarz-Dunkelrot? Das dürfte sich schon aus Prinzip verbieten. Union und SPD könnten versuchen, FDP oder Grüne mit ins Regierungsboot zu holen. Dreierkonstellationen haben es indes immer schwer. Das Gelingen einer Regierungsbildung ist hier nicht garantiert. Anlass zur Sorge in dem östlichen Bundesland ist das Abschneiden radikaler Kräfte. AfD und Linke erreichen gemeinsam an die 40 Prozent.
Ungemütlich wird die Lage künftig für SPD-Chef Sigmar Gabriel. Außer in Rheinland-Pfalz haben die Sozialdemokraten drastisch an Stimmen verloren. Das wird man nicht alleine den Kandidaten in den Ländern anlasten können, sondern auch dem Bundesvorsitzenden. Sein Schlingerkurs in der Flüchtlingspolitik hat sicher einen Anteil am Abschneiden seiner Partei. Zumal die SPD immer mehr unter Druck gerät. Auf der linken Seite lauert die Linke, die vielfach eine Politik verfolgt wie ehedem die SPD. Auf der anderen Seite hat Merkel die CDU so weit nach links gerückt, dass für die SPD kaum noch Luft zum Atmen bleibt. Was also sollte er tun? Versuchen, die CDU in der Flüchtlingspolitik rechts zu überholen?
Bezahlt hat die CDU diese Ausrichtung mit dem Aufkommen der AfD, öffnete sich doch nun auf der bürgerlich-konservativen Seite des politischen Spektrums eine gewaltige Lücke. Damit wird sich die Union zumindest vorerst zu arrangieren haben - zumindest so lange, bis sich ein Ende der Flüchtlingskrise abzeichnet. Das wird auch CSU-Chef Horst Seehofer nach dem Wahlsonntag wieder stärker einfordern: Lösungen präsentieren und damit die AfD zurückdrängen. Denn sonst droht der CSU auch bald in Bayern mit dem Einzug einer starken AfD-Fraktion im Landtag der Verlust der absoluten Mehrheit der Sitze.
Doch vielleicht hat der Einzug der AfD in drei Landtage auch sein Gutes. Nun geht die Arbeit los. Auf Marktplätzen Parolen zu verbreiten, ist das eine. Die parlamentarische Realität das andere. Da geht es darum, Anträge und Gesetzesentwürfe zu formulieren, die eigene Arbeit zu koordinieren und Kompromisse zu schließen. Die Demokratie lebt vom Kompromiss. Aber bei ihren Kernthemen zu Islam und Flüchtlingen kann die AfD keine Kompromisse eingehen, ohne sich dem Vorwurf des Wahlbetrugs auszusetzen. Bei anderen Themen fehlt ihr vielfach zudem der programmatische Unterbau. Die AfD wäre nicht die erste Partei, die mit großem Getöse Anfangserfolge feiert, um dann wieder aus den Parlamenten und von der Bildfläche zu verschwinden.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicken viele auf die Wahlbeteiligung. Das Positive: Sie ist in allen drei Ländern gestiegen. Allerdings sind einige dieser Zuwächse der AfD geschuldet, der es besser als den etablierten Kräften gelingt, Nichtwähler anzusprechen und zu aktivieren. Das muss für die Volksparteien Anlass zu großer Sorge sein.
Für Merkel wird das Regieren nun sicher nicht einfacher. Auf nahende Wahlen muss nun vorerst niemand mehr Rücksicht nehmen. Sollte sie Ende dieser Woche beim EU-Gipfel in der Flüchtlingsfrage wieder mit leeren Händen dastehen, werden ihre Kritiker wohl den Druck kräftig erhöhen.