Leitartikel

Die SPD im freien Fall: Ein Kanzler-Traum löst sich in Luft auf


Sigmar Gabriels Traum, 2017 ins Kanzleramt einzuziehen, löst sich gerade in Luft auf.

Sigmar Gabriels Traum, 2017 ins Kanzleramt einzuziehen, löst sich gerade in Luft auf.

In zwei Wochen steht der SPD-Parteivorsitz von Sigmar Gabriel auf dem Spiel. Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz droht den Sozialdemokraten eine solche Schmach, dass es für den Vizekanzler eng werden dürfte.

Sein einziger Rettungsanker könnte dann ausgerechnet der miserable Zustand der SPD sein: Niemand drängt sich momentan auf, Gabriel den unheilvollen Chefsessel abluchsen zu wollen. Für die Partei zeichnet sich ein schreckliches Jahr ab.

Besonders bitter sieht es in Sachsen-Anhalt aus, wo sich die rechtspopulistische AfD anschickt, bei der Wahl am 13. März mehr Stimmen einzufangen als die Sozialdemokraten. Kommt es tatsächlich so weit, wäre es eine Blamage bisher nicht gekannten Ausmaßes für die einstige Volkspartei. In Baden-Württemberg sind die Grünen der SPD in den Umfragen inzwischen so weit enteilt, dass der Stimmenanteil der Öko-Partei doppelt so hoch liegen könnte. Sollte dann auch noch die beliebte Malu Dreyer den Ministerpräsidentenposten in Rheinland-Pfalz verlieren, wäre ein Schuldiger schnell gefunden: der wankelmütige Gabriel.

Zu oft handelt der SPD-Chef aus seinem Bauchgefühl heraus, das ihn aber häufig im Stich lässt. Als er beispielsweise Anfang 2015 kurz entschlossen nach Dresden fuhr, um mit Pegida-Anhängern zu diskutieren, schlugen Sozialdemokraten reihenweise die Hände über dem Kopf zusammen. "Es gibt ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational", hielt der Vizekanzler damals den Kritikern des Ausflugs entgegen. Inzwischen bezeichnet auch Gabriel Pegida als "in Teilen rechtsradikal".

Gabriel springt von einem Extrem ins andere

Die SPD hat einen Kapitän, der auch in der unruhigen See Flüchtlingspolitik nicht weiß, ob er Backbord oder Steuerbord segeln soll, um der Partei letztlich zu einem Ergebnis von über 30 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 zu verhelfen. Dieses Ziel rückt momentan in immer weitere Ferne, die SPD dümpelt in bundesweiten Umfragen unter 25 Prozent herum - selbst in einer Phase, in der die CDU-Vorsitzende Angela Merkel während ihrer Kanzlerschaft erstmals ernsthaft eisigen Gegenwind verspüren muss.

Und was macht Gabriel? Der Parteichef springt häufig verzweifelt vom einen Extrem ins andere: Anfangs predigte der Vizekanzler Willkommenskultur, Solidarität und Integration von Flüchtlingen - alles ur-sozialdemokratische Überzeugungen. Inzwischen verschärft er aber teilweise den Ton in der Debatte derart, dass selbst in den Reihen der rechtspopulistischen AfD applaudiert wird. "Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit zahlen?", fragte sich der Vizekanzler beispielsweise nach den Silvester-Übergriffen von Köln. Gabriel wollte auch Ländern die Entwicklungshilfe kürzen, wenn sie abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen.

Doch fest steht: Wer auf solche markigen Sprüche und Vorschläge anspringt, stimmt nicht für die SPD, sondern gleich für das Original. Natürlich, der Parteichef merkt, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt; die Zweifel der Menschen wachsen. Doch sich dem gegenwärtigen Rechtsruck anzuschließen, dürfte für die SPD nicht belohnt werden: Gabriel kann es einfach nicht gelingen, die Union glaubwürdig rechts zu überholen und Kanzlerin Merkel gleichzeitig von links anzugreifen, wie zum Beispiel mit seinem Ruf nach einem "neuen Solidaritätsprojekt" für die deutsche Bevölkerung. Der "stabile Faktor" der Koalition zu sein, wie es Gabriel als Ziel für die Sozialdemokraten ausgegeben hat, funktioniert nicht, weil er selbst ohne Plan agiert. Der aufbrausende und oft launische Parteichef ist unfähig, den seriösen Problemlöser zu geben.

SPD verliert sich in der Flüchtlingspolitik


Die SPD verliert sich deshalb in der Flüchtlingspolitik: Neben dem öffentlichkeitswirksamen Zoff der Unionsparteien und einer immer selbstbewusster auftrumpfenden AfD überhaupt noch wahrgenommen zu werden, gelingt kaum noch. Und wenn, dann fallen die Sozialdemokraten durch törichte Patzer auf: Die Schlechterstellung von Flüchtlingskindern im Asylpaket II zu übersehen und sich anschließend auch noch von diesen Teilen der Einigung zu distanzieren, bestätigt vielen Bürgern das Bild, dass die Politiker mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise überfordert sind. Dieses Eigentor hat die SPD erzielt.

Gabriel ist keiner, der in den Augen vieler Bürger besonders glaubwürdig wirkt, wie Umfragen immer wieder zeigen. Selbst unter den Anhängern der SPD gibt es teils massive Vorbehalte: Deutlich mehr von ihnen sprechen sich für Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier als den am besten geeigneten Kanzlerkandidaten aus, wie im Dezember eine Erhebung des Instituts Infratest dimap für die Welt am Sonntag ergab. Teile der SPD fremdeln mit ihrem Vorsitzenden.

Gabriel bekam den Unmut beim Parteitag im vergangenen November zu spüren, als er bei seiner Wiederwahl mit mageren 74,3 Prozent Ja-Stimmen abgestraft wurde. Der wirtschaftsfreundliche Mitte-Kurs, den der Vizekanzler als Heilmittel gegen die schwachen SPD-Umfragewerte eingeschlagen hat, kommt gerade beim linken Parteiflügel ganz und gar nicht an. Ob nun seine Basta-Politik bei der Vorratsdatenspeicherung, der entschiedene Einsatz für die umstrittenen transatlantischen Handelsabkommen TTIP und Ceta oder die vorübergehende Befürwortung, einen Euro-Austritt Griechenlands auf Zeit prüfen zu lassen - das ist Verrat an idealistischen Werten der Sozialdemokratie, so die Meinung von Mitgliedern.

Der Kanzler-Traum löst sich in Luft auf

Nun darf man nicht vergessen, dass einige an der SPD-Basis geradezu Freude an der Aufmüpfigkeit gegenüber den Parteioberen haben, obwohl einige Minister in der jetzigen Bundesregierung sogar große Erfolge für die SPD herausgeholt haben - wie zum Beispiel den Mindestlohn, die Mietpreisbremse oder der Rente mit 63. Die Genossen sind trotz solcher Errungenschaften allzu oft erbarmungslos, dann zerlegen sie ihren Vorsitzenden auch auf offener Bühne. Die Konsequenz: Der Ruf der ganzen Partei wird demoliert. Die Union stellt sich da deutlich geschickter an. Wenn es darauf ankommt, stehen die Reihen eng zusammen - bisher jedenfalls.

Sollte die SPD bei den Landtagswahlen am 13. März eine herbe Klatsche einstecken müssen und sogar Malu Dreyer dann nicht länger Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sein, wird Gabriel gehörig unter Druck geraten. Zwar drängt sich momentan niemand bei der SPD in den Vordergrund, dennoch dürften in diesem Fall schnell Namen wie der von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz, Arbeitsministerin Andrea Nahles oder EU-Parlamentspräsident Martin Schulz für die Nachfolge als Vorsitzender fallen. Auch sie wissen sicher, wie undankbar der SPD-Chefposten gerade in Zeiten magerer Umfragewerte sein kann. Gabriels Schwäche aber könnte einen Kandidaten zum Zupacken verleiten; die Impulse des Vizekanzlers sind kraftlos geworden. Sein Traum, 2017 ins Kanzleramt einzuziehen, löst sich gerade in Luft auf.