Interview

Notwendige Investition für die Zukunft?


Stefanies Oma Yu Zhen hat auch einen gebundenen Fuß. Auf dem Foto ist Stefanie vier Jahre alt.

Stefanies Oma Yu Zhen hat auch einen gebundenen Fuß. Auf dem Foto ist Stefanie vier Jahre alt.

Von Redaktion idowa

Schon mit vier Jahren wurden Stefanies Oma die Füße gebunden. Zu der Zeit wählten alle Eltern ein passendes Datum, um ihren Töchtern den Fuß mit rotem Satin zu binden. Aber niemand fragte sich, warum. Allen Mädchen und Frauen wurden die Füße gebunden. So wurde es von Generation zu Generation gemacht. Bei ihrem Besuch in China sprach Stefanie mit ihrer Oma über die Tradition der "goldenen Lotosfüße".


Oma, wie wurden die Füße eigentlich gebunden?
Der große Zeh wurde nach vorne gestreckt und die anderen vier Zehen in Richtung Ferse gequetscht und mit einem Tuch straff gebunden und zugenäht. So verwuchsen die Knochen zu einem Halbmond.

Tat das sehr weh?
Natürlich tat das weh. Das Abbinden verursachte große Schmerzen. Das ist auch der Grund, warum die Eltern ihren Töchtern schon mit vier oder fünf Jahren die Füße banden. Denn in diesem Alter taten die Füße noch nicht richtig weh und ließen sich besser verformen. Aber das Gefühl war natürlich nicht gerade das beste. Aber wenn die Mädchen sieben oder acht Jahre alt wurden, musste das Tuch erweitert werden, sonst verursachte es zu viele Schmerzen.

Ich erinnere mich noch, wie ich in der Nacht aufwachte und mir die Füße so brodelnd weh taten. Meine Mutter riet mir, die Füße aus der Bettdecke zu tun. Viele Mädchen jammerten, weinten und rissen das zugenähte Tuch mitten in der Nacht heimlich auf. Wenn die Eltern das entdeckten, schimpften sie sofort: 'Wenn du die Füße nicht binden willst, dann wird dich in Zukunft kein Mann haben wollen. Man wird dich auslachen, wenn dein Fuß zu groß ist. Wie willst du denn dann einen guten, reichen Mann bekommen?'. Das ließ die Mädchen so erschrecken, dass sie den Eltern aufs Wort folgten. Aber die Eltern meinten es ja mit den Kindern nur gut. Sie wollten ihrem Kind eine Zukunft bieten.

Musste denn zu der Zeit jedem Mädchen der Fuß gebunden werden?
Die Männer vergötterten früher Frauen, die einen kleinen Fuß hatten. Die kleinen Füße der Frauen durften auch nicht von den Leuten gesehen werden. Sie versteckten die Füße immer unter den Röcken oder ließen nur ganz wenig vom Fuß herausschauen. Somit hatte das eine noch größere Anziehungskraft. Das entzückte die oberen Zehntausend, die Reichen und die kultivierten Männer. Sie lobten die Frauen mit vielen Liebesgedichten. Sie meinten, dass die Frauen, die sich den Fuß gebunden hatten, ein zärtlicheres und eleganteres Benehmen und Verhalten hätten als mit ungebundenen Füßen. Und die Art zu gehen sei anmutig und hübsch. So wie die heutigen Männer schlanke Frauen mit Stöckelschuhen mögen. Weil die Mädchen schön aussehen wollten und in der Zukunft mit reichen Männern verheiratet sein wollten, war das Füße binden ein so genannter Trend. Denn sie wollten zu den adligen Leuten gehören.

Und warum setzt man im Namen vor die Lotosfüße noch ein "goldene"?
Das ist eben eine chinesische Art zu sprechen. Denn die Chinesen setzen einfach gerne vor gute, wertvolle Sachen ein "Gold".

Und? Konntest du dann einen reichen Mann heiraten?
Ja natürlich! Dein Opa galt als Adliger. Er stammte aus einer adligen Lehrerfamilie. Die Männer sagten früher auch noch, dass Frauen mit kleinen Füßen nicht den ganzen Tag herumlaufen können und immer brav zu Hause bleiben müssen. Das Glück der Frauen hing von ihren kleinen Füßen ab. Ihr Glück für ihr Leben war es, einen guten, reichen Ehemann zu haben. Wenn sich die Frau den Fuß nicht gebunden hat, hatte sie nicht nur wegen der Hochzeit Probleme, sondern sie musste sich auch ärgern, weil sie keinen reichen Ehemann erwischt hat. So wichtig war ein kleiner Fuß früher für die Frauen. Und so ging es über tausend Jahre.

Rechts ist das Skelett eines abgebundenen Fußes zu sehen. Zum Vergleich links ein normaler Fuß.

Rechts ist das Skelett eines abgebundenen Fußes zu sehen. Zum Vergleich links ein normaler Fuß.