Bayern

Kaum Hebammen in München: Was die Grünen im Landtag fordern

In München warten Frauen oft lange auf eine Hebamme. Ein Grund ist Personalmangel.Die AZ hat eine beim Hausbesuch begleitet


"Ich hatte Glück", sagt die schwangere Tatjana (35). Denn sie fand schnell eine Hebamme. Alle sollten darauf ein Recht haben, findet Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze (l.).

"Ich hatte Glück", sagt die schwangere Tatjana (35). Denn sie fand schnell eine Hebamme. Alle sollten darauf ein Recht haben, findet Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze (l.).

Von Christina Hertel

München - Hebamme Sisko Stenzel reibt sich noch kurz die Hände warm. Dann tastet sie Tatjanas dicken Bauch ab. Mitte März soll ihre Tochter auf die Welt kommen. Rechts fühlt Sisko Stenzel die Füße, oben den Po, links den Rücken, unten den Kopf. Alles so, wie es sein soll. Es ist Tatjanas zweites Kind. Auch beim ersten war Sisko Stenzel ihre Hebamme.

"Ich hatte viel Glück", sagt die 35-Jährige, daheim auf ihrer Couch. Sie habe ihre Hebamme schnell gefunden. "Aber von Glück sollte das doch nicht abhängen", schiebt Tatjana hinterher. Sie kenne einige Frauen, die bis vor der Geburt noch keine Hebamme hatten.

Tatsächlich ist das in München nicht selten, weiß auch Sisko Stenzel. Sie arbeitet seit 19 Jahren als Hebamme. Zum Teil macht sie als Selbstständige Hausbesuche wie bei Tatjana. Außerdem ist sie in Teilzeit am städtischen Krankenhaus in Neuperlach angestellt.

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Hausbesuche vor und nach der Geburt sind immer wichtiger geworden, davon ist Stenzel überzeugt.

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Seit 19 Jahren arbeitet Sisko Stenzel (l.) als Hebamme. Sie ist angestellt und macht Hausbesuche - wie bei der schwangeren Tatjana.

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Weil sich politisch vieles ändern müsste, hat Hebamme Stenzel diesmal die Grünen-Politikerin Schulze (links hinten) und die AZ mitgebracht.

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Der Kreißsaal im Klinikum Neuperlach sollte geschlossen werden. Nun bleibt die Station - zumindest bis 2027.

Jede Zweite, die dort ihr Kind zur Welt bringt, werde vor und nach der Geburt von keiner Hebamme betreut, schätzt Stenzel. In gut betuchten Stadtteilen wie Haidhausen sei die Quote viel besser - weil da die Frauen oft sofort, wenn sie erfahren, dass sie schwanger sind, Hebammen durchtelefonieren.

Weil es in München viel zu wenig Hebammen gebe, habe sie oft das Gefühl, sich entscheiden zu müssen: Entweder wenige Frauen gut betreuen, sich genug Zeit nehmen. Oder mehr Frauen schneller abfertigen - damit am Ende alle irgendwie versorgt sind.

Stenzel hat sich für die erste Option entschieden, auch wenn sich das finanziell (besonders, wenn sie Frauen im Wochenbett betreut) oft kaum rechne. Pro Hausbesuch bei einer Frau im Wochenbett erhalte sie brutto 38 Euro - ganz egal, wie lange dieser dauert.

Dabei sei es auch auf medizinischer Ebene immer wichtiger geworden, dass sich Hebammen nach der Geburt gut um die Mütter kümmern. "Als ich angefangen habe, blieb eine Frau nach einem Kaiserschnitt durchschnittlich fünf bis sieben Tage in der Klinik. Jetzt sind es eher drei bis fünf", sagt Stenzel.

Wenn Babys nicht richtig zunehmen, wenn sie Gelbsucht haben, wenn es Probleme beim Stillen gibt - mit all diesen Fragen seien Mütter alleine, wenn sich keine Hebamme kümmert.

Stenzel beobachtet, dass viele Kolleginnen den Job nicht bis zur Rente machen. "Sie sind ausgebrannt." Ein Grund dafür sei der Schichtdienst. Tatsächlich zeigen Studien, dass Menschen, die ihr Erwerbsleben lang im Schichtdienst arbeiten, bis zu acht Jahre früher sterben.

Politisch müsste sich jede Menge ändern, findet Stenzel. Sie hat deshalb zu ihrem Besuch bei Tatjana die Grünen-Fraktionschefin im Bayerischen Landtag Katharina Schulze mitgebracht. "Das alles macht mich richtig wütend", meint Schulze. "Eigentlich müsste es ein Recht auf Betreuung geben." Ihre Fraktion hat im Landtag mehrere Anträge gestellt, mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen für Hebammen zu verbessern.

Zum Beispiel fordert Schulze einen besseren Personalschlüssel, sodass sich im Krankenhaus eine Hebamme um eine Gebärende kümmern kann und nicht zwischen Kreißsälen hin- und herhetzen muss. Auch Wohnheim-Plätze für Hebammen-Azubis beantragten die Grünen - schließlich sind in München die Mieten teuer. Doch alles wurde abgelehnt.

Verbessern müsste sich aus Stenzels Sicht vor allem die Bezahlung. Vollzeit verdiene eine angestellte Hebamme nach einigen Berufsjahren etwa 2200 Euro netto. Dazu komme eine Schichtzulage von etwa 200 Euro. Arbeitnehmerverbände fordern 10,5 Prozent mehr. Grünen-Chefin Schulze sieht darin ein strukturelles, gesellschaftliches Problem: "Würden Männer Kinder bekommen, wären Hebammen sicher besser bezahlt."

Das alles macht mich richtig wütend

Vor Kurzem fürchtete Stenzel, dass im Münchner Osten die Bedingungen für Schwangere und für Hebammen noch schlechter werden. Denn der Kreißsaal im Klinikum Neuperlach sollte schließen. Stattdessen plante die Stadt, die Geburtsklinik in Harlaching auf 4000 Geburten pro Jahr auszubauen.

Das Team in Neuperlach wehrte sich mit einer Petition. Fast 23 000 Menschen unterschrieben. Dann entschlossen sich auch Grüne und SPD, dass der Standort zumindest bis 2027 bleiben soll.

Das ist in dieser Stadt doch ein Armutszeugnis

Sisko Stenzel ist froh darüber. Zum einen, weil in Neuperlach die Arbeitsbedingungen noch besser seien als in anderen Kliniken. In den meisten Krankenhäusern arbeiten Hebammen selbstständig, weil sie dann - zumindest in einem Kreißsaal mit vielen Geburten pro Jahr - mehr verdienen können als im Angestelltenverhältnis, erklärt Stenzel. Sie sieht die Entwicklung problematisch, weil sich Hebammen dann von Versicherungen bis zur Altersvorsorge um alles selbst kümmern müssen. "Solange die Hebammen fit sind - kein Problem. Aber was, wenn sie älter werden, krank oder selbst schwanger?", fragt Stenzel. "In einer grün-rot regierten Stadt ist das doch ein Armutszeugnis."

Zum anderen sei die Geburtsklinik aber auch für den Stadtteil Neuperlach, wo viele Familien mit Migrationshintergrund leben, wichtig. Ins Neuperlacher Krankenhaus kommen auch Frauen, die nicht gut deutsch sprechen, die kein Auto haben, die nicht wissen, dass die Krankenkasse bei Geburtsbeginn die Taxifahrt übernehme, erzählt Stenzel. Aus all den Gründen hätte sie sich gewünscht, dass die grün-rote Koalition beschlossen hätte, die Geburtsklinik nicht nur bis 2027 zu erhalten - sondern für immer.