Bayern
Halbzeit für Grün-Rot: Die Stadt verkünstelt sich nicht
26. März 2023, 17:25 Uhr aktualisiert am 26. März 2023, 17:25 Uhr
Wenn die Kassen leerer werden, wird oft bei der Kultur als erstes der Rotstift angesetzt. Das ist in München nach Corona nicht passiert. Im Gegenteil: Der Kulturhaushalt wurde von 260 Millionen Euro in 2021 auf nun 272,9 Millionen Euro erhöht. Was haben sich Grüne und SPD mit all dem Geld in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen?
Ohje, das hat bisher nicht geklappt und wird wohl noch ein langer Weg. Vor einem Jahr machte sich die Stadt auf die Suche nach einem Investor, der den Gasteig für maximal 450 Millionen Euro sanieren sollte. Allerdings fand sich niemand. Bis Herbst will die Verwaltung prüfen, ob es sich lohnt die Suche fortzusetzen oder ob die Stadt doch selbst baut. Klar ist schon jetzt: Es wird alles viel teurer.
Für fast 100 Millionen Euro will die Stadt die Jutier- und Tonnenhalle im Kreativquartier zu einem Performanceort von Theatermachern, Tänzern und anderen Künstlern machen. Bis 2026 soll alles fertig sein.
Hier tut sich einiges: Noch bis Ende 2024 dient der "Kopfbau", die ehemalige Kassenhalle der Flughafentribüne in Riem als Kulturstätte. In dieser "Experimentierphase" will die Stadt herausfinden, wie eine langfristige Nutzung aussehen könnte.
Nächstes Jahr wird außerdem das Kulturzentrum Freiham mit Stadtbibliothek, Familienberatungszentrum, Bildungslokal und Gesundheitsbildungszentrum fertig. 2025 folgt ein Kulturbürgersaal in Bogenhausen mit Alten- und Service-Zentrum, Nachbarschaftstreff und Familienzentrum. In Pasing wird 2026 ein neues Kulturzentrum fertig und 2027 eines in Berg am Laim.
Im gleichen Jahr könnte auch ein Kulturzentrum in Laim mit Kita und Krippe eröffnen. Bis 2030 soll das Kulturhaus Hanns-Seidel-Platz mit Stadtbibliothek sowie Volkshochschule entstehen. Planungen gibt es außerdem für eine Bibliothek in Trudering, ein Kulturzentrum in Allach-Untermenzing und für einen Kultursaal am Moosacher St.-Martins-Platz. Der Stadtrat hat außerdem zugestimmt, das Kulturzentrum Neuaubing zu sanieren.
In dieser Legislatur haben bereits ein paar neue Bibliotheken und Volkshochschulstandorte eröffnet: die Stadtbibliotheken Neuaubing, im Gasteig HP8 und im Motorama. Die Stadtbibliotheken Bogenhausen und Schwabing machten nach einer Sanierung wieder auf.
In den Jahren 2024 und 2025 kommen Bibliotheken in Freiham und Freimann dazu. Und auch die Volkshochschule eröffnet neue Standorte: Noch in diesem Jahr wird die Volkshochschule in Obersendling an der Aidenbachstraße fertig. 2024 folgt ein neuer Standort in Riem. 2026 soll das MVHS-Stadtbereichszentrum Ost nach der Generalsanierung eröffnen. 2027 soll das MVHS-Stadtteilzentrum Neufreimann fertig sein. Und 2029 soll die umfangreiche Sanierung des Stadtbereichszentrums der Volkshochschule am Harras beendet sein.
Auch dieses Versprechen wurde erfüllt: Im Interims-Gasteig HP8 und im Motorama hat die Stadt eine sogenannte "Open Library" eingeführt. Hier kann jeder - auch ohne Büchereiausweis - zum Lesen vorbeischauen, und zwar von 7 bis 22 bzw. 23 Uhr.
Außerdem wurde an allen Standorten die Samstagsöffnung eingeführt. Kostenloses WLAN gibt es an allen Bibliotheksstandorten.
Die Generalsanierung des Stadtmuseums ist eine unendliche Geschichte. Schon 1999 wurde offiziell festgestellt, dass das Haus dringend überholt werden muss. Nun steht endlich fest: 2025 beginnen die Maßnahmen. Noch bis April 2024 hat das Stadtmuseum geöffnet, dann zieht es in ein Interimsquartier. Das sanierte Museum eröffnet wohl 2031.
Gescheitert. Um den Humor mehr Menschen nahezubringen, hatte Gerhard Polt mit einem Verein ein Gebäude im Schlachthofviertel als Ausstellungsraum, Treffpunkt und Bühne herrichten wollen. Doch es fand sich kein Investor. Jetzt wird das Forum Humor in Bernried am Starnberger See errichtet.
Was damit genau gemeint ist, weiß das Kulturreferat nicht. Es arbeitet aber gerade an einer Initiative zur Stärkung bestehender Programmkinos.
2022 wurde ein städtischer Fonds für innovative kulturelle Zwischennutzungen mit 160 000 Euro und einer halben Stelle beschlossen.
Das wird eingelöst: Vergangene Woche hat der Stadtrat beschlossen, für ein Projekt der Künstlerin Ladislava Gaiová am Frauenplatz 180 000 Euro zur Verfügung zu stellen. Es setzt sich aus Dreiecken zusammen, diese sollen eine Referenz an den "schwarzen Winkel" herstellen. Im NS-Regime dienten sie als Markierung für vermeintlich "Asoziale". Münchner Sintizze und Romnja sollen die Steine gemeinsam gestalten und verlegen. Die Arbeit beginnt Mitte 2023.
HORIZONTALE LINIE
Das sagt der Theatermacher: "Wir mussten richtig kämpfen"
Für uns stellt die Förderung der Freien Szene einen Schwerpunkt der nächsten Jahre dar" heißt es im Koalitionsvertrag von Grünen und SPD. Spüren die Künstler etwas davon? Der Theatermacher Benno Heisel, der das Netzwerks freie Szene in München mitgründete, findet: "Es müsste deutlich mehr Geld auf den Tisch."
Im bisherigen Haushalt seien etwa drei Millionen Euro an Zuschüssen für die Freie Szene enthalten. Verglichen mit den Münchner Kammerspielen, die rund 60 Millionen Euro im Jahr bekommen, sei das nicht wahnsinnig viel, meint Heisel. Wie viel es dann sein müsste? Vor Jahren habe sein Netzwerk einmal zehn Millionen Euro gefordert, jetzt nach der Inflation müssten die Zuschüsse wohl noch höher ausfallen, findet der Theatermacher. Außerdem sei die Freie Szene gewachsen. "Vor zehn Jahren wollten alle nur weg aus München", erzählt Heisel. Das habe sich geändert, Künstler wollen langfristig hier bleiben.
Doch Benno Heisel weiß auch: "Wegen Corona war die Stadt in einer extremen Sondersituation." Zwischenzeitlich habe es auch in München Überlegungen gegeben, den Kulturhaushalt zu kürzen. "Wir mussten richtig kämpfen und hatten Erfolg", meint Heisel. Dem Künstler ist klar: "Die Stadt fördert überdurchschnittlich viel." Vom Freistaat bekomme die freie Theaterszene praktisch nichts, dessen Engagement konzentriert sich auf die großen Häuser, das Residenztheater und die Staatsoper.
Doch ob es Grüne und SPD mit ihrem Bekenntnis zur Freien Szene wirklich ernst meinen, zeige sich in den nächsten Monaten, sagt Heisel. Denn gerade überarbeite die Stadt ihre Fördermodelle für freischaffende Künstler. Besonders wichtig ist ihm, dass die Stadt nicht mehr nur einzelne Produktionen fördert, sondern langfristiger Geld gibt. Denn momentan hangele sich ein Künstler alle paar Monate von einer Förderung zur nächsten, immer im Hinterkopf, dass bald alles vorbei sein kann. Damit sich jemand wirklich etablieren kann, würde es Heisel sinnvoller finden, wenn sich die Stadt entscheidet, Künstler über drei bis fünf Jahre zu unterstützen.
Nicht begeistert ist Heisel von dem Projekt "Jutier- und Tonnenhalle". Das größte Problem: "Es gibt zwar eine schöne große Bühne, aber keine Probebühne."
Aus seiner Sicht können Ensembles deshalb darin auch keine Stücke erarbeiten. Geeignet sei die neue Halle zum Beispiel für Gastspiele von Festivals - aber das seien eben Produktionen, die aus der ganzen Welt anreisen. Heisel fürchtet, dass die Münchner Künstler hingegen wenig von dem Bau haben werden - und dafür, sagt er, sei das Ganze viel zu teuer.
Schade - denn tatsächlich fordere die Szene so ein Produktionshaus schon seit 1994. Heisel sagt: "Ich kann nicht verstehen, warum die Stadt den Bau beginnt, ohne vorher ein Betriebskonzept zu erstellen. Wir haben versucht, das Ganze noch mal zu hinterfragen." Aber die Freie Szene sei viel zu spät beteiligt worden.
Im Moment würde er der Stadt eine Drei für ihre Kulturpolitik geben - mit dem Potenzial zur Verbesserung.
che