Bayern
Es dieselt am Großmarkt
15. Januar 2023, 16:15 Uhr aktualisiert am 15. Januar 2023, 16:15 Uhr
München - Drüben am Mittleren Ring soll bald Schluss sein mit Dieselgestank und ätzendem Stickstoffdioxid. Ab 1. Februar dürfen dort Dieselautos mit der Abgasnorm Euro 4 (und schlechter) nicht mehr fahren. Ein paar Hundert Meter Luftlinie entfernt dagegen, auf dem großen Lkw-Parkplatz der Sendlinger Großmarkthalle: dicke Dieselluft fast rund um die Uhr. Die ÖDP im Stadtrat ist aufgebracht.
Denn auf dem Parkplatz lassen Dutzende Lastwagen, die mit Lebensmittellieferungen ankommen, teils auch die ganze Nacht ihre Dieselaggregate laufen, um Milch, Fleisch, Gemüse und anderes zu kühlen, bis ausgeladen werden kann. Permanent Dieselgestank also für die Anwohner drumherum, plus Dauerbrummen.
Dabei müsste das nicht so sein. Seit Anfang 2019 schon hätten Stromanschlüsse draußen vor den Hallen ermöglichen sollen, dass Brummifahrer den Motor ausschalten und die Kühlung bis zur Abfertigung an den Strom hängen können. Im September 2020 forschte die Rathaus-ÖDP nach und stellte fest: Von zwölf versprochenen Anschlüssen waren nur sechs überhaupt verbaut - und nur zwei einsatzfähig (AZ berichtete).
Letzten Herbst schließlich hat das zuständige Kommunalreferat endlich neun Energieladesäulen mit je zwei Ladeplätzen auf dem Lkw-Parkplatz nahe des Heizkraftwerk Süd installiert. 18 Stromsteckdosen insgesamt.
"Während der Testphase ist der Strom kostenfrei", erklärte Kommunalreferentin Kristina Frank, die auch Werkleiterin der Markthallen München ist - und pries die "simple Handhabung": "Anstecken, Code eingeben und die Kühlung läuft ohne Aggregat weiter." Das spare Diesel und reduziere Lärm und Abgase in der Umgebung.
Gut gemeint, geklappt hat es aber noch immer nicht, so beobachten es jedenfalls die geplagten Anwohner. "In den Nächten sind von den neu installierten 18 Stromanschlüssen genau Null in Benutzung", klagt der Ingenieur Thomas Bierwirth (54), der Luftlinie 100 Meter von der Anlieferungshalle 23 entfernt in einem Altbau mit 15 Parteien wohnt. Er habe das nun über Monate nachts beobachtet.
"Die neuen Ladesäulen wurden offensichtlich nicht beworben", moniert ÖDP-Stadtrat Tobias Ruff. Es gebe keine erkennbaren Hinweisschilder für die Lkw-Fahrer. Und für die fünfpoligen Drehstromsteckdosen am Parkplatz gebe es vor Ort keine Adapter, die nötig wären, damit etwa ausländische Lkw mit vierpoligen Steckern dort Strom laden können.
Obendrein: Bis zu 20 Lkw parken nachts nicht auf dem vorgesehenen Parkplatz, um auf die Abfertigung zu warten. "In Wirklichkeit", sagt Anwohner Bierwirth zur AZ, "fahren sie direkt zu den Hallen 23 oder 10 und stehen dort trotz der Verbotsschilder viele Stunden mit laufenden Dieselaggregaten. Und bei uns vibrieren dann durch das Brummen die Altbaufenster."
Besonders schlimm sei das ab Mitternacht in den Nächten von Sonntag auf Montag und von Mittwoch auf Donnerstag. Sogar das Umweltreferat nenne den Dezibelpegel eine "erhebliche Belästigung".
Sorge macht den Anwohnern auch, dass die Kühlaggregate mutmaßlich ungefilterte Dieselabgase ausstoßen. Die Rußbelastung jedenfalls könne man "an unseren Fensterrahmen unschwer erkennen", sagt Bierwirth.
Die ÖDP hat nun zur "Steckdosen-Posse am Großmarkt" erneut eine Anfrage an SPD-OB Dieter Reiter formuliert. Sie will wissen, wie das Kommunalreferat erreichen will, dass die Steckdosen künftig genutzt werden, ob mehrsprachige Hinweisschilder für ausländische Brummifahrer aufgestellt werden - und ob Adapter angeboten werden können, damit auch ausländische Lkw mit anderen Stromsteckern ihre Fahrzeuge laden können.
Denn wenn alles bleibe wie es ist, so der Anwohner Bierwirth, sei der Einbau der 18 Stromanschlüsse nicht nur eine Posse, sondern "schlussendlich Steuergeldverschwendung".