AZ-Interview vor dem Spiel S04 - FC Bayern
Schalke-Pfarrer: "An den Fußballgott glaube ich nicht"
24. August 2019, 10:57 Uhr aktualisiert am 24. August 2019, 10:57 Uhr
Pfarrer Ernst-Martin Barth spricht in der AZ über die Kapelle in der Schalke-Arena, den Eklat um Clemens Tönnies und Bayerns David Alaba: "Ein Gespräch über Gott wäre mit Sicherheit spannend".
München/Gelsenkirchen - Der 60-jährige Ernst-Martin Barth ist evangelischer Pfarrer in der Kapelle des Schalker Stadions und seit Jahrzehnten großer Fan der Königsblauen.
AZ: Herr Barth, Schalke 04 empfängt am Samstagabend den FC Bayern. Wie läuft so ein Spieltag denn bei Ihnen in der Stadion-Kapelle ab?
ERNST-MARTIN BARTH: Ich bin etwa zwei Stunden vor dem Anstoß in der Arena und öffne die Kapelle. Diese liegt auf Schalke im zweiten Untergeschoss, ist also für die "normalen" Fans gar nicht zugänglich. Die Kapelle befindet sich ganz nah am Spielertunnel und den Kabinen. Es ist also ein geschützter Bereich. Ich betreue dann hauptsächlich eine Gruppe, die "Herzenswünsche" heißt. Das sind eingeladene Gäste der Stiftung "Schalke hilft", Erwachsene, Kinder und Jugendliche mit zum Teil sehr schweren Lebensschicksalen. Ich begleite sie im Gespräch, betreibe Seelsorge. Es kommen aber auch etliche Menschen, die in Trauer sind, christliche Fanklubs, ehemalige Spieler, Funktionäre und Fans, die sich die Kapelle mal anschauen wollen.
Barth: "Ich bete nicht für Siege und Punkte"
Und dann wird für einen Heimsieg gegen Bayern gebetet?
(lacht) Nein. Ich persönlich bete nicht für Siege und Punkte, sondern für die Menschen und für den Verein, der es ja auch im Moment wieder nicht so leicht hat.
Sind Sie selbst großer Schalke-Fan?
Schon seit 55 Jahren. Als Kind war ich im ersten Schalker Stadion, der Glück-auf-Kampfbahn, dann habe ich im Parkstadion meine Jugendzeit verlebt. Seit vielen, vielen Jahren bin ich nun Dauerkartenbesitzer in der Arena und bei jedem Spiel vor Ort.
Was passiert in der Kapelle, wenn gerade kein Spieltag ist?
Dann finden Trauungen und Taufen statt - sogar in ganz respektabler Zahl. Wir nutzen die Kapelle ökumenisch, ich habe einen katholischen Kollegen. Ich allein taufe etwa 60 Kinder pro Jahr, es gibt circa 20 Trauungen.
Barth: "Schön, wenn eine Dortmunderin vor Freude auf Schalke weint"
Da gab es doch sicher mal ein denkwürdiges Erlebnis.
Es gibt unglaublich schöne und lustige Begegnungen, auch mit Brautpaaren. Ich hatte mal eine Silberhochzeit, da war der Bräutigam Schalker und die Braut Dortmunderin. Die Braut ist mit verbundenen Augen von ihrem Sohn in die Kapelle geführt worden und wusste nicht, was ihr geschah. Als man ihr die Augenbinde wegnahm, fing sie vor Freude an zu weinen. Da hab' ich gesagt: "Ist doch das Schönste, wenn eine Dortmunderin vor Freude auf Schalke weint" Es gibt aber auch tieftraurige Begegnungen.
Zum Beispiel?
Ich habe vor einigen Jahren die verstorbenen Kinder der German-Wings-Katastrophe mit ihren Eltern und Angehörigen betrauert. Das waren schon sehr emotionale Erfahrungen für mich. Wir haben immer wieder für die Kinder gebetet.
Würden Sie sich wünschen, dass es auch in anderen Stadien Kapellen geben würde als Anlaufpunkte für Menschen?
Wenn es wirklich Orte der Ruhe und Besinnung sind - wie hier auf Schalke -, dann würde ich das begrüßen. Wenn es aber Orte sind, an denen man nur Schals auslegt und dem Fußballgott huldigen will, dann sollte man überlegen, ob das wirklich passend ist. Für manche Stadien wird es ja auch schwer sein, solche Räume in eine bestehende Architektur zu integrieren. Eine Kapelle muss auch eine inhaltliche Ausstrahlung haben, eine gut überlegte künstlerische Gestaltung. Mitarbeiter des FC Bayern waren vor einigen Jahren mal bei mir zu Gast und sagten, dass man sich das in München gar nicht vorstellen könne.
Barth: "In München kann man sich das nicht vorstellen"
Warum denn nicht?
Es muss wohl in der Nähe der Allianz Arena eine romanische Kirche geben. Und die katholische Frömmigkeit Bayerns würde das auch vermutlich nur schwer zulassen - so in etwa war die Begründung. Ich kann nur für uns sprechen und muss sagen, dass die Kapelle für den Verein und die Menschen ein großer Gewinn ist.
Beim FC Bayern ist David Alaba als gläubiger Christ bekannt. Würden Sie sich mit ihm gern mal über Gott austauschen?
Aber natürlich! Das wäre mit Sicherheit spannend, da bin ich für jedes Gespräch offen. Vielleicht ist er ja am Samstag da und findet die Zeit.
Barth: "Für ein Gespräch mit Alaba wäre ich offen"
Wie denkt man als Pfarrer eigentlich über die rassistischen Äußerungen, die Schalkes Vorstandsboss Clemens Tönnies kürzlich getätigt hat?
Rassismus ist ein vordergründiges Thema, auch in den Stadien. Die Tönnies-Aussagen waren diskriminierend, man muss sie zurückweisen. Ich persönlich kenne Tönnies aus mehreren Gesprächen und kann sagen, dass er keinerlei rassistische Motive in sich hat. Ich kann die Situation, in der das ausgesprochen wurde, gar nicht nachvollziehen. Ich habe den Eindruck, dass er selbst zutiefst darüber betrübt ist, was ihm da passiert ist. Wir müssen anlässlich dieser Geschichte noch mal neu buchstabieren und lernen, was es für uns heißt, Themen wie Rassismus noch deutlicher zu begegnen.
Barth: "Es gibt keinen Fußballgott"
Zum Abschluss: Rudi Assauer, der große Schalker, hat nach der dramatisch knapp verpassten Meisterschaft 2001 gesagt, dass er nicht mehr an den Fußballgott glaubt. Gibt es den überhaupt?
Natürlich glaube ich auch nicht an den Fußballgott! Das sind Vorstellungen, die Beruhigung vermitteln sollen. Da ist jemand, an den man sich mit seinen Sorgen und Nöten wenden kann - oder den man für eine Niederlage verantwortlich machen kann. Aber ein Fußballgott verheißt mir kein ewiges Leben. Der biblische Glaube kennt ja bekanntlich auch keine anderen Götter. Und deshalb gibt es keinen Fußballgott.
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