Trainer Sepp Steinberger
Mit den Junglöwen zwischen den Extremen
2. Oktober 2015, 10:22 Uhr aktualisiert am 2. Oktober 2015, 10:22 Uhr
Es ist ein ungewohntes Bild. Der TSV 1860 München steht auf Tabellenplatz eins. Doch aktuell ist das Realität. Allerdings nicht bei der Profimannschaft, sondern der A-Jugend des Vereins. Sieben Spiele, sieben Siege lautet die makellose Bilanz bislang. Der Erfolgstrainer bei den "Junglöwen" ist der Gottfriedinger Sepp Steinberger (42). Namhafte Clubs wie 1899 Hoffenheim, der VfB Stuttgart und auch Lokalrivale FC Bayern müssen sich hinter 1860 einreihen.
"Es gibt verschiedene Gründe für die aktuelle Situation", sagt Steinberger im Gespräch mit unserer Zeitung, "zum einen war es für uns günstig, dass wir mit zwei Heimspielen in die Saison gestartet sind." Beide Spiele gingen an die Münchner, 8:0-Erfolg gegen Saarbrücken, 4:1-Sieg gegen Heidenheim. Gerade der hohe Auftaktsieg "bringt das nötige Selbstvertrauen", so Steinberger. Als zweiten Punkt nennt er, dass es gelungen ist, "die beiden Jahrgänge zu einem Team zu vereinen". Und dann war da noch eine "lange und gute Vorbereitung", wie Steinberger berichtet.
Die "harte Steinberger-Schule" macht sich bezahlt
Rückblende. Im Juli dieses Jahres bestreitet die U19 des TSV 1860 ein Vorbereitungsturnier in Pilsen. Sheffield United, Norwich City, MSK Zilina, Greuther Fürth und Gastgeber Viktoria Pilsen sind die anderen Teilnehmer. An einem heißen Nachmittag treffen die "Junglöwen" auf Pilsen. Und sie verlieren. Steinberger ist sichtlich unzufrieden mit dem Auftritt seiner Mannschaft. Er schimpft nahezu über die volle Spielzeit. "Eigentlich müsste ich sie heute laufen lassen, bis sie umfallen", schreit er am Ende des Spiels. Macht er natürlich nicht, gibt der Mannschaft aber deutlich zu verstehen, dass sie sich so nicht präsentieren kann. Was folgt sind zwei gewonnene Spiele am nächsten Tag und der Turniersieg. Die "harte Steinberger-Schule" macht sich bezahlt.
Ein paar Tage vorher. Steinberger sitzt abends nach dem Training zusammen mit seinem Trainerteam beim Italiener am Trainingsgelände der "Löwen". Sie erstellen individuelle Trainingspläne für die Spieler. Es gilt, eine nicht wunschgemäß verlaufene Vorsaison aufzuarbeiten. Bis zum letzten Spieltag musste die U19 der Sechziger um den Klassenerhalt bangen.
Schwierige Saison für Verein und Verantwortliche
"Es war für den ganzen Verein und auch für mich persönlich eine schwierige Saison", sagt er. Seit 2012 ist er Trainer im 1860-Nachwuchs und kam vor Beginn der Spielzeit neu zur U17. Im Jahr zuvor war er mit der U19 nur knapp am Einzug ins Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft gescheitert. Im Verein hatten sie für die U17 eine schwierige Saison vorhergesagt, deshalb hat man die Truppe Steinberger anvertraut.
Die Mannschaft war im Tabellen-Mittelfeld, als im November die U19 erneut rief. Filip Tapalovic war als Co-Trainer zu den Profis geholt worden und die A-Junioren, nur noch einen Platz über dem Strich, brauchten einen neuen Coach. Bis zum Winter betreute Steinberger beide Teams.
Für ihn bedeutete das Stress pur, auch wenn er unter anderem vom heutigen Profitrainer Torsten Fröhling in der Trainingsarbeit unterstützt wurde. So kam es vor, dass der Niederbayern gleich nach dem Derbysieg mit der U17 gegen die Bayern ins Auto von Nachwuchschef Wolfgang Schellenberg stieg. Am nächsten Tag musste die U19 zum Pokalspiel in Cottbus antreten. "Wir haben das ganz gut hinbekommen", sagt Steinberger, "aber es waren schon Strapazen, die auch ich unterschätzt hatte. Das war für mich wieder eine Erfahrung, dass so etwas normal nicht machbar ist."
Zittern mit den Profis
Am Ende ging alles gut. Beide Teams schlossen auf Platz zehn in ihrer jeweiligen Liga ab. Somit musste am Ende der Saison nur noch mit den Profis gezittert werden, bei denen der Klassenerhalt in der Zweiten Liga bis zur letzten Minute nicht sicher war. Denn die Zukunft der Nachwuchsabteilung ist eng mit der Situation der Profis verbunden.
Im Relegations-Rückspiel gegen Holstein Kiel war Steinberger natürlich selbst im Stadion und hat sich über den späten Siegtreffer tierisch gefreut. Er spricht von einem "Erlebnis, das ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde. Die Stimmung ab dem 1:1 bis weit nach Spielende muss man einfach miterlebt haben. Da ist es mir wirklich eiskalt den Rücken runtergelaufen." Und Steinberger hat das "Löwen"-Gen in sich: "Das hat mir gezeigt, dass es eine Ehre ist, wenn man für diesen Verein arbeiten darf."
Lehrreiche Phase hat zusammengeschweißt
In der letzten Saison sieht Steinberger durchaus auch etwas Positives: "Die Gesamtsituation war, auch weil die Profis extrem im Abstiegskampf waren, schwierig. Keiner wusste genau, wie es weitergeht. Aber es war auch eine sehr lehrreiche Phase, die die Leute im Verein noch mehr zusammengeschweißt und Spieler wie Trainer weitergebracht hat."
Noch einmal braucht Steinberger eine solche Saison aber nicht: "Wenn man sieht, dass man im Jahr davor um den Einzug ins Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft spielt und dann geht es plötzlich um die Existenz, dann ist das vom Druck und der Belastung her etwas ganz anderes. Das war schon extrem hart."
"Balsam für die Seele"
Umso schöner, dass die U19 jetzt wieder äußerst erfolgreich spielt. "Das ist Balsam für die Seele und macht viele Dinge einfacher", gibt Steinberger ganz offen zu. Wenngleich er die aktuelle Situation natürlich nicht überbewerten will. "Man tut gut daran, ruhig zu bleiben und sich von den extremen Schwankungen nicht beeinflussen zu lassen. Aber ich denke, man ordnet das Ganze im Verein schon realistisch ein. Genauso wie letzte Saison nicht alles schlecht war, wachsen jetzt die Bäume nicht in den Himmel."
Allgemein sei die Tabellensituation im Nachwuchsbereich nur zweitrangig: "Der Fokus muss darauf liegen, die Spieler gut zu entwickeln." Und gerade das hat bei den "Löwen" in den vergangenen Jahren immer hervorragend funktioniert. Mittlerweile haben auch die ersten Spieler, die Steinberger damals 2012 in der U17 übernommen hatte, den Sprung zu den Profis geschafft. Richard Neudecker und Emanuel Taffertshofer klopfen am Tor zur ersten Mannschaft an. Marius Wolf und Maximilian Wittek, die Steinberger in der U19 trainierte, sind bereits fester Bestandteil der Zweitligamannschaft. "Stolz", sagt Steinberger, "ist ein großes Wort. Aber es trifft es in diesem Fall ganz gut." Wenngleich er weiß, dass an der Entwicklung der Talente viele Leute einen großen Anteil haben.