Bittere Aktualität

Uni Regensburg eröffnet Zentrum für interdisziplinäre Ukrainestudien


Guido Hausmann (von links), Tanja Maljartschuk, Cathrin Kahlweit, Ralf Fücks und Mirja Lecke sprachen über die aktuelle Relevanz des neuen Zentrums für Ukrainestudien.

Guido Hausmann (von links), Tanja Maljartschuk, Cathrin Kahlweit, Ralf Fücks und Mirja Lecke sprachen über die aktuelle Relevanz des neuen Zentrums für Ukrainestudien.

Die Universität Regensburg beherbergt seit April 2024 ein "Zentrum für interdisziplinäre Ukrainestudien - Denkraum Ukraine". Am Mittwoch wurde es mit einem Festakt im Reichssaal des Alten Rathauses feierlich eröffnet.

Stadtrat Thomas Burger gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Steigerung der Expertise zur Ukraine und ihre bessere Vernetzung dazu beitrage, die Hilfe für dieses Land zu verbessern und es an die EU heranzuführen. Er skizzierte, wie jetzt Regensburg schon seiner vom Krieg gebeutelten Partnerstadt Odessa zur Seite stehe.

Uni-Rektor Udo Hebel resümierte, die Uni Regensburg als "Brücke zwischen Ost und West" und breit aufgestellte Volluniversität mit Schwerpunkt der Ost- und Südosteuropaforschung sei prädestiniert für ein interdisziplinäres Ukraine-Zentrum, dessen Eröffnung gerade jetzt ein wichtiges Zeichen sei. Nunmehr gelte es, die Kooperation mit ukrainischen Wissenschaftlern zu verbessern. Fünf Partnerschaften mit ukrainischen Universitäten gebe es schon.

Susanne Lüdtke vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der das Zentrum in den nächsten vier Jahren mit 2,3 Millionen Euro unterstützt, monierte, dem Nachdenken über die Ukraine sei in der Vergangenheit zu wenig Raum gegeben worden. Das Bild vom russisch dominierten Ostblock sei maßgeblich gewesen.

Autorin Maljartschuk: "Man stirbt auch an Verlusten"

Professor Guido Hausmann von der Uni Regensburg schilderte, wie das Ukrainezentrum Kompetenzen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Recht bündele. Vier Themenfelder seien zur Bearbeitung vorgesehen: "Sprache und kulturelles Erbe", "Krieg, Frieden und Nachkriegsordnung", "Flucht, Migration und Wertetransfer" sowie "Regionale Vielfalt: Industrie- und Grenzregionen im Vergleich". Im Lehrangebot werde sich die Tätigkeit des Zentrums in Sprachkursen, Winterschulen, Kursen zur ukrainischen Kultur, Masterkursen und E-Learning niederschlagen.

Ein Höhepunkt des Festakts war die Rede der ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk, die seit 2011 in Wien lebt. Die Ukrainer würden nicht nur an der Front oder in den "Ruinen zerbombter Häuser" sterben, "man stirbt auch an Verlusten, an der Fremdheit im Exil". Gegenwärtig erlebe man den Versuch, "eine ganze Generation freier Menschen auszulöschen". Jede Gewalt, die geschieht, sei schon eine Niederlage der Aufklärung, sagte Maljartschuk.

Jede ukrainische Generation erlebe ihr eigenes Trauma, seien es der Holodomor, der stalinistische Terror oder jetzt eben der Ukrainekrieg. Eine Tätigkeit als Schriftstellerin sei da besonders problematisch, "die Angst die ständige Begleiterin des Worts". In der deutschen Slawistik werde die eigene Tradition der ukrainischen Literatur ausgeblendet, die Lehrbücher konzentrierten sich auf die russische Literatur, die für sie als ukrainische Schriftstellerin jedoch gar keine Rolle spiele.

Die Ukraine habe sich schon lange Europa zugewandt, als besondere Wegmarke benannte Maljartschuk hier die "Orangene Revolution" von 2004. Vom Ausgang des Kriegs in der Ukraine hänge auch die Zukunft Europas ab, sagte sie.

In der abschließenden Podiumsdiskussion traf Maljartschuk unter der Moderation von Professorin Mirja Lecke mit Ralf Fücks vom Zentrum für Liberale Moderne, Cathrin Kahlweit, Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, und Hausmann zusammen.

Fücks: Ukraine war lange Zeit "ein blinder Fleck"

Fücks bemerkte, dass die Ukraine lange Zeit ein "blinder Fleck" im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands gewesen sei. Auch die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg habe sich auf Russland konzentriert.

Fücks sah es als Anliegen, "Dramatik" in den Abend zu bringen. Es gehe im aktuellen Krieg um die Unabhängigkeit und die Eigenständigkeit der ukrainischen Nation. "Wir wissen nicht, was von ihr übrigbleiben wird", rief Fücks aus. Daher könne man gar nicht bereden, welche Projekte in der Zukunft in der Ukraine machbar seien. Die Ukraine sei in der Vergangenheit zwischen den deutschen und den russischen Imperialismus geraten, ein eigenes Kriegsziel Hitlers gewesen, daher seien die Deutschen ihr etwas schuldig. Im heutigen Postkolonialismus an den Unis und in Teilen der Linken mit einem antiwestlichen Denken sei die Ukraine aber verdächtig, weil sie zum Westen gehören wolle.

Hausmann bemerkte, es fehle auch an Wissen, "dass der Krieg in der Ukraine uns etwas angeht". Dies sei auch eine emotionale Frage. Russophilie im westlichen Denken stehe keine Entsprechung für die Ukraine gegenüber. Mitleid allein reiche nicht aus. Die Ukraine dränge dazu, Europa neu zu denken und ein "neues Bild von Europa" entstehen zu lassen.

Redakteurin Kahlweit analysierte, dass die Berichterstattung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in der Tat von größerer Emotionalität geprägt gewesen sei. Nach dem Scheitern der ukrainischen Offensive im vergangenen Sommer seien die Ernüchterung und der Schwund der Zuversicht allerdings umso größer gewesen, ohne dass die Medien dem Drehen der Stimmung mit einem eigenen Diskurs entgegengetreten wären. Nun komme auch noch hinzu, dass man der Ukraine wegen der kriegerischen Ereignisse im Nahen Osten nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit zuwenden könne. Im Gegensatz zu Fücks hält sie die künftige Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato für unwahrscheinlich.