Straubinger Tagblatt

"Es herrscht eine wahnsinnige Wut im Haus"


Dicke Mauern sollen die psychisch kranken Straftäter von der Flucht aus der Forensischen abhalten. Sinnbildlich aber sind es auch Mauern des Schweigens. Denn darüber, was sich hinter ihnen ereignet, dringt selten etwas nach draußen.

Dicke Mauern sollen die psychisch kranken Straftäter von der Flucht aus der Forensischen abhalten. Sinnbildlich aber sind es auch Mauern des Schweigens. Denn darüber, was sich hinter ihnen ereignet, dringt selten etwas nach draußen.

Von Redaktion idowa

Von Wolfgang Engel


In der Forensischen Klinik Lerchenhaid ist es vor einiger Zeit zu einem Anschlag auf eine Pflegerin gekommen. Ein Patient hatte versucht, sie zu töten. Der Anschlag wurde von der Klinikleitung erst am darauffolgenden Tag der Polizei gemeldet. Im Polizeibericht wurde er allerdings nicht erwähnt. Unter großen Teilen des Klinik-Personals herrscht seither offenbar Unruhe. Aus Personalkreisen hieß es, die Klinikleitung sei "nur bemüht, nach außen hin ein gutes Bild abzugeben", um das Image der Klinik nicht zu beschädigen.

Der Anschlag ereignete sich bereits vor einem halben Jahr, am Abend des 6. Januar. Ein als gefährlich geltender Patient hatte Tagblatt-Informationen zufolge der Pflegerin eine selbst gebaute Stichwaffe in die Nase gestoßen und dabei gerufen "dir stech ich das Hirn aus". Ein Pfleger, der der Frau zu Hilfe kam, erlitt Schnittwunden an Hals und Oberarm. Die Stichwaffe hatte der Täter offenbar aus einem Metallstift geschliffen und am Stiel einer Zahnbürste aufgesetzt. Der Stift soll aus einer Zigaretten-Stopfmaschine stammen. Die angegriffene Frau ist seither traumatisiert und in psychologischer Behandlung.

Mitarbeiter sagen, die Tat wäre zu verhindern gewesen
Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Fiedler bestätigte, dass "Ermittlungen wegen des Verdachts auf versuchte vorsätzliche Tötung" laufen. Er wartet derzeit auf ein Gutachten zur Schuldfähigkeit des Täters. Im Polizeibericht tauchte der Anschlag nicht auf. In Personalkreisen wird vermutet, dass der Grund dafür eine Intervention der Klinik sei. Der ärztliche Direktor der Klinik, Dr. Bernd Ottermann, wies dies jedoch zurück: "Stimmt nicht, auf keinen Fall", erklärte er auf Nachfrage, "das ist einfach eine Unterstellung. Ich hatte eigentlich erwartet, dass das am nächsten Tag in der Zeitung steht." Polizeisprecher Klaus Pickel begründete es damit, dass Delikte, die "nicht im öffentlichen Raum" passieren, nicht immer in den Polizeibericht aufgenommen würden.

Der Polizeisprecher bestätigte allerdings, dass der Angriff erst "am nächsten Tag schriftlich durch die Klinik" angezeigt worden war. Pickel nannte das "eher unüblich" und sagte im Hinblick auf Zeugenaussagen und Tatortsicherung: "Wir würden uns wünschen, dass alle Delikte und insbesondere Kapitaldelikte zeitnah angezeigt werden. Und das war sicherlich ein Kapitaldelikt." Was die Klinik bewogen habe, dies nicht zu tun, könne er nicht sagen. Ottermann erklärte dazu, die Klinik habe erst die medizinische Versorgung der Verletzten sicherstellen müssen.

Nach Ansicht von Mitarbeitern wäre die Tat möglicherweise zu verhindern gewesen. Sie berichten von einer Namensliste, die vom Personal nur "die Liste" genannt werde. Der Täter soll darauf Personen verzeichnet haben, die er angreifen wollte. Den Tagblatt-Quellen zufolge soll er die Liste schon vor dem Agriff in einem verschlossenen Umschlag in ein Arztfach gelegt haben, der Arzt soll sie jedoch aus Arbeitsüberlastung nicht gelesen haben. "Unsere Ärzte sind überfordert, weil sie so wenige sind", sagte jemand, der es wissen muss. Ottermann dazu: "Das hat es nicht gegeben, nie im Leben." Polizei und Staatsanwaltschaft bestätigten auf Anfrage jedoch, dass von der Klinik eine solche Liste übergeben worden ist; wann und wo sie in der Klinik aufgefunden wurde, dazu konnten die Behörden allerdings keine Angaben machen.

"Wenn das rauskommt, verlieren wir den Arbeitsplatz"
Unter Teilen der Mitarbeiter der Forensischen Klinik sollen der Angriff und der Umgang mit ihm große Verunsicherung ausgelöst haben. "Es herrscht eine wahnsinnige Wut im Haus darüber, was da passiert ist", sagte jemand aus Personalkreisen, "es warten viele darauf, dass das an die Öffentlichkeit kommt." Aus Furcht vor Repressalien baten abgesehen vom Klinikdirektor sämtliche Personen aus den Reihen des Personals, die dem Tagblatt gegenüber Angaben machten, jedoch um Wahrung ihrer Anonymität. "Wenn das rauskommt, verlieren wir den Arbeitsplatz", hieß es. Die angegriffene Frau selbst bat auf Anfrage um Verständnis dafür, dass sie sich nicht äußern wolle.

Angaben aus Personalkreisen zufolge ist die Arbeit in der Klinik in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden. Die Zahl der gefährlichen und unberechenbaren Patienten sei steigend, berichten Mitarbeiter, die Situation habe sich in den letzten Jahren "massiv verschlechtert". Den Aussagen zufolge gelingt es Patienten in der Forensischen Klinik auch immer wieder, an Drogen zu kommen. "Wir brauchen mehr Personal", sagten Mitarbeiter. Ottermann bestätigte, dass es immer wieder Drogenfunde gebe, "aber in geringerem Maße als in der JVA". Auf die Frage, ob die Zahl der Mitarbeiter ausreichend sei, sagte er, dass unter den heutigen Bedingungen ein anderer Umgang mit den Patienten erforderlich sei. Näher ging er nicht darauf ein.

Mehr dazu lesen Sie im Straubinger Tagblatt vom 26. Juni 2010!

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Der ärztliche Direktor Dr. Bernd Ottermann

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Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Fiedler.