Obdachlosigkeit

"Bei uns muss niemand auf der Straße schlafen"

Obdachlosigkeit kann jeden treffen - Sozialamt und Caritas bieten vielfältige Hilfsangebote


In der Gemeinschaftsunterkunft am Schanzlweg leben momentan zwölf Personen.

In der Gemeinschaftsunterkunft am Schanzlweg leben momentan zwölf Personen.

Von Jana Geiger

Winterzeit bedeutet für viele Menschen Gemütlichkeit, zur Ruhe kommen und Zeit mit der Familie zu verbringen. In unserer Gesellschaft gibt es aber auch Menschen, für die die kalte Zeit des Jahres einen Überlebenskampf bedeutet. Obdachlose leben oft am Rand der Gesellschaft und haben niemanden, an den sie sich wenden können.

Doris Wölfl, vom Amt für Soziale Dienste der Stadt Straubing, ist für die Obdachlosenfürsorge zuständig. Sie betont allerdings, dass es einen Unterschied zwischen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit gibt. "Wer unter Wohnungslosigkeit leidet, hat keine eigene Wohnung, kann aber beispielsweise bei Freunden oder Verwandten unterkommen", erklärt Wölfl. Obdachlose hingegen haben keine Möglichkeit, irgendwo aufgenommen zu werden, ihnen bleibt nur die Option sich draußen einen Unterschlupf zu suchen.

Zahl der Obdachlosen ungewiss

Wie viele Menschen in Deutschland von Obdachlosigkeit beziehungsweise Wohnungslosigkeit betroffen sind, ist unklar. Offizielle Zahlen gibt es dazu nicht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass es 2018 etwa 1,2 Millionen Wohnungslose in ganz Deutschland gibt.

Doris Wölfl findet, dass man die Obdachlosenproblematik der Stadt Straubing nicht mit anderen deutschen Städten vergleichen kann. Allerdings sind die Wohnungen und Unterkünfte für Obdachlose auch in Straubing voll. "Alle Unterkünfte sind ausgelastet, es muss jedoch niemand Angst haben, dass er auf der Straße schlafen muss," sagt Wölfl. Im äußersten Notfall würde die Stadt weitere Unterkünfte anmieten.

Derzeit leben in der Straubinger Gemeinschaftsunterkunft am Schanzlweg sieben Männer und fünf Frauen. Zusätzlich stellt die Stadt Straubing für etwa drei Monate 20 Übergangswohnungen mit Bad und Küche bereit, die derzeit aber alle vergeben sind. "Man könnte immer mehr Wohnungen gebrauchen", sagt Wölfl.

Michael Born vom Caritasverband für Straubing-Bogen und Ansprechpartner für Fragen zur Obdachlosenhilfe sieht die Situation ähnlich kritisch wie Doris Wölfl. "Wir haben etwa zweimal in der Woche eine Anfrage für unsere Obdachlosenunterkunft", sagt Born, "also über hundert Anfragen gibt es in einem Jahr auf jeden Fall."

Das Problem sieht er vor allem im Bereich Sozialwohnungsbau. "Für die unteren Schichten wird nicht genug gebaut, die Caritas hat schon länger auf das Problem hingewiesen, aber da wurde die letzten Jahre einfach geschlafen," sagt Born. Neben dem Sozialamt versucht auch die Caritas Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind zu helfen.

Jedem kann es passieren

Betroffen von Obdachlosigkeit sind laut Doris Wölfl unterschiedliche Menschen, man könne nicht alle in eine Schublade stecken. Ein Großteil seien zwar Männer zwischen 20 und 30 Jahren, die oft auch ein Suchtproblem haben, aber genau so kann es Familien, Frauen, Rentner und Jugendliche treffen.

Genau so vielfältig wie Menschen, die obdachlos werden, können auch die Gründe dafür sein. "Gründe für Obdachlosigkeit sind nicht immer Suchtprobleme, auch kann der Tod des Ehepartners, der Jobverlust oder speziell für Jugendliche eine kritische Familiensituation dazu führen", sagt Wölfl. Es kann passieren, dass eine Familie obdachlos wird, weil die Miete der Wohnung zu teuer wird und keine neue Bleibe zu bekommen ist, obwohl Mann oder Frau berufstätig sind.

Betroffene können sich dann an das Amt für Soziale Dienste oder auch die Caritas wenden und dort Hilfe beantragen. "Es ist unsere Pflicht, dass wir jeden sofort unterbringen", sagt Wölfl. Das Wichtigste sei nämlich eine Bleibe, sobald ein Betroffener um Hilfe bittet. Alle anderen Angelegenheiten rücken da erst einmal in den Hintergrund.

"Wir helfen den betroffenen Menschen bei der Wohnungssuche und auch bei der Antragsstellung oder dabei die richtigen Ansprechpartner zu finden", sagt Wölfl. Für alle Obdachlosen besteht in Straubing außerdem die Möglichkeit, eine kostenlose warme Mittagsmahlzeit im Ursulinen-Kloster zu sich zu nehmen. Dort finden Betroffene ebenfalls kompetente Ansprechpartner für ihre Sorgen und Probleme.

Aber natürlich gebe es auch Menschen, die keine Hilfe in Anspruch nehmen möchten. Doris Wölfl erinnert sich an einen traurigen Fall: "Wir wurden auf einen Mann aufmerksam gemacht, der die Nächte in seinem Auto verbracht hat. Natürlich haben wir ihm Hilfe angeboten, er hat sie aber abgelehnt und zwingen können wir eben auch niemanden."

Wölfl erfährt jede Woche tragische Geschichten, wie Menschen aus ihrem alltäglichen Leben gerissen und obdachlos wurden. "Für meinen Job braucht man schon eine gewisse Grundempathie, aber ich versuche die Schicksale nicht mit nach Hause zu nehmen", sagt sie.

Wie kann man helfen?

Aber was kann jeder Einzelne tun, wenn man helfen möchte? "An allererster Stelle sollten die Betroffenen darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sich mit uns in Verbindung setzen sollen", sagt Wölfl. Oft befänden sie sich nämlich in einer psychischen Ausnahmesituation und sollten daran erinnert werden, dass sich niemand für Obdachlosigkeit schämen muss und dass es Einrichtungen gibt, die gerne helfen.

Das Thema Sachspenden für die Obdachlosenhilfe sieht Wölfl allerdings kritisch: "Ein Päckchen Kaffee beispielsweise ist immer gern gesehen. Alles andere ist eher schwierig und sollte vorher telefonisch abgeklärt werden."

Housing First Programm

Ein Beispiel für die Zukunft könnte man sich an Finnland nehmen. Dort ist die Obdachlosigkeit stark bekämpft worden, mittlerweile sieht man auch in den Metropolregionen wenige, die auf der Straße leben. Verantwortlich dafür ist das sogenannte Housing First Programm.

Dabei werden den Obdachlosen kostenfrei eigene Wohnungen mit Bad und Küche zur Verfügung gestellt, sie bekommen also erst eine Wohnung und sollen dann ihr Leben auf die Reihe bekommen. In vielen Ländern ist es derzeit nämlich umgedreht: Zuerst muss ein fester Job her und dann gibt es erst eine Wohnung. Ohne festen Wohnsitz ist es aber sehr schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. Ein Teufelskreis also, in dem viele Obdachlose gefangen sind. "Da der Wohnungsmarkt in Deutschland ohnehin schon überlastet ist, stelle ich mir vor, dass ein solches Programm sehr schwer umzusetzen ist", sagt Wölfl.

Dieses fragile Konstrukt in Finnland funktioniert jedoch nur, weil Nichtregierungsorganisationen (NGOs), der Staat und auch die finnische Lotterie eng zusammenarbeiten. Die ehemaligen Obdachlosen werden zuerst unterstützt die geringe Miete oder zumindest einen Teil davon selbst zu zahlen, so kommen sie, wenn es auch nur ein Minijob ist, wieder auf den Arbeitsmarkt.

Ein weiterer Pluspunkt ist, dass der finnische Staat trotz Bereitstellung der Wohnungen mittlerweile pro früheren Obdachlosen mehrere tausend Euro im Jahr einspart. Das liegt daran, dass es viel weniger Notfälle gibt, egal ob Obdachlose zum Arzt müssen, die Polizei oder auch die Justiz gebraucht werden.

Natürlich ist auch das Housing First Programm kein Wundermittel gegen Obdachlosigkeit. "Aber auch hier in Deutschland wird viel gegen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit getan, deswegen gibt es uns als Ansprechpartner", sagt Doris Wölfl.

Betroffene können sich unter Tel. 09421/94470423 an Doris Wölfl im Amt für Soziale Dienste, Am Platzl 31, oder den Caritasverband Straubing-Bogen unter Tel. 09421/99120 wenden