Interview THW-Einsatzkräfte
„Früher hat man einfach geholfen“
9. März 2019, 7:00 Uhr aktualisiert am 9. März 2019, 8:26 Uhr
Tobias Weber (30), der Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit beim THW in Straubing, und Stefan Bayer (52), der Ortsbeauftragte, erklären im idowa-Interview, was die Herausforderungen bei ihrer Tätigkeit sind, wie sich ihre Arbeit über die Jahre verändert hat und was sie von "Handy-Gaffern" halten.
Das Technische Hilfswerk (THW): 1950 in Zusammenhang mit Maßnahmen des Zivilschutzes gegründet, übernimmt es heute wichtige Aufgaben im Katastrophenfall. Etwa 80.000 Helfer, die sich überwiegend ehrenamtlich engagieren, sind deutschlandweit registriert. Was die Arbeit ausmacht und was die Motivation dahinter ist, das erläutern zwei THW-Ehrenamtler im idowa-Interview.
Sie waren bei dem großen Schneechaos im Januar zur Unterstützung in Oberbayern. Wenn Sie an diesen Einsatz denken, welches Bild haben Sie vor Augen?
Weber: Der technische Zug bei uns in Straubing war in Berchtesgaden. Die Fachgruppe Führung und Kommunikation war zur Unterstützung zwei Tage im Landratsamt in Bad Tölz und dann auch nochmal in Berchtesgaden. Wenn man Schneekatastrophe hört, dann denkt man zunächst: Da muss ja wahnsinnig viel Schnee sein. Als wir dort waren, war es vielleicht ein Meter Schnee. Aber durch die verschiedenen Schneedichten war die Last auf den Häusern überschritten. Das erste Haus, das wir geräumt haben, war ein Wirtshaus mit angrenzender Stallung beziehungsweise Lagerhalle. Das war schon viel Arbeit, viel Schnee. Wir haben es zusammen mit der Wasserwacht geräumt.
Wie lange waren Sie insgesamt vor Ort?
Weber: Der technische Zug war von Freitag bis Sonntag im Einsatz. Wir sind in der Nacht um zwei Uhr losgefahren, waren um sieben Uhr in Berchtesgaden und hatten dann gleich unseren ersten Einsatz.
Haben Sie vor Ort mehr oder minder durchgearbeitet?
Weber: Genau. Wir haben um halb acht auf dem ersten Dach begonnen und bis zum Einsetzen der Dämmerung geschaufelt. Dann hat unser Zugführer beschlossen, dass es zu gefährlich wird. Im Dunkeln und ohne Beleuchtung könnte jemand abrutschen. Auch wenn man mit Sicherung arbeitet, ist es nicht ganz so einfach in dieser Situation. Jeden Tag sind wir in der Früh um 6.30 Uhr aufgestanden und um 7 Uhr ging es wieder los.
Wie kann man sich denn die Koordination vor Ort vorstellen?
Bayer: Bei jeder Katastrophe muss das jeweilige Landratsamt einen Stab bilden. Und dieser Stab kümmert sich um das große Ganze und setzt örtliche Einsatzleitungen ein. Die kümmern sich dann um ein gewisses Gebiet. Von oben nach unten werden die Meldungen verteilt und es wird dann entschieden, wie es weitergeht.
Insgesamt scheint die Organisationsstruktur im Katastrophenfall sehr effizient zu sein…
Weber: Ja, im Großen wie im Kleinen. Zum Beispiel beim Rathausbrand hier in Straubing. Da sind wir auch angefordert worden. In so einem Fall gibt uns die Feuerwehr die Aufträge. Und wir teilen dann unsere Leute selber ein. Beim Rathausbrand haben wir das Ausleuchten übernommen. Wir waren die ganze Woche vor Ort und haben abends ausgeleuchtet. Das unterscheidet uns auch von anderen Einsatzkräften. Wir haben keine große Masse an Einsätzen und rücken in der Regel nicht jeden Tag oder jede Woche aus. Aber wenn wir zum Einsatz kommen, dann sind wir oft länger vor Ort.
"Die Verwaltungstätigkeit wird immer mehr"
Hatten Sie auch schon Auslandseinsätze?
Bayer: Das THW kommt auch im Ausland zum Einsatz. Dafür gibt es mittlerweile auch spezielle Schulungen. Ich selbst war sieben Mal im Auslandseinsatz, unter anderem in den Neunzigerjahren zum Wasserleitungsbau in Mostar. THW-Kräfte kommen im Ausland auf Anweisung der Bundesregierung zum Einsatz. In Datenbaken ist hinterlegt, wer die Spezialisten für bestimmte Sachlagen sind. Zum Beispiel gibt es ein schnelles Bergungsteam. In die Einsätze fließen auch die Erfahrungen aus vorhergehenden Einsätzen ein.
Viele Arbeiten haben sich über die vergangenen Jahrzehnte verändert, etwa wegen der Technik oder auch wegen einem gesellschaftlichen Wandel. Hat sich Ihre Arbeit auch verändert?
Bayer: Ja, das ist definitiv so. Ich bin jetzt dreißig Jahre dabei. Wenn ich zurückblicke, hat sich da einiges verändert. Früher ist man einfach rausgefahren und hat geholfen. Heute greifen gewisse europäische Normen bei uns, zum Beispiel Unfall- und Arbeitsschutznormen. Die Verwaltungstätigkeit wird immer mehr, auch das Dokumentieren und die Unterweisungen. Wenn unsere Leute in den Einsatz fahren, dann fängt teilweise schon vorher die Überlegung in eine gewisse Richtung an. Die Frage ist: Worauf muss ich jetzt besonders aufpassen, damit mich keiner in Regress nimmt? Das hätte es vor zwanzig Jahren so nicht gegeben. Man merkt auch, dass der Individualismus in unserer Bevölkerung ein gesundes Maß mittlerweile überschritten hat - um es ganz vorsichtig zu formulieren.
Woran machen Sie den wachsenden Individualismus fest?
Bayer: Das merkt im Einsatz beispielsweise bei Absperrmaßnahmen. Die Leute verstehen einfach nicht, dass sie da jetzt nicht vorbei können. Die Haltung ist: "Ich will jetzt da durch, weil ich in die Arbeit muss." Aus so etwas entsteht dann oft eine Diskussion, die sinnlos ist und Kräfte bindet.
Weber: Das klassische Beispiel ist der Herzogstadtlauf in Straubing. Über die Medien wird es Wochen vorher bekanntgegeben, dass es da Sperrungen gibt. Ich habe aber bisher keinen Herzogstadtlauf erlebt, wo es keine Diskussionen gegeben hätte, nach dem Muster: "Wieso kann ich da jetzt nicht durchfahren? Ich fahre da jeden Tag um diese Uhrzeit durch." Auch wenn gerade keine Läufer am Start sind, können sie halt nicht durchfahren. Das ist in dem Fall eine polizeiliche Anforderung, die wir umsetzen.
Würden Sie also sagen, dass es leider schon Normalität ist, dass Absperrungen missachtet werden?
Bayer: Das ist leider normal, zumal wenn man nicht jemanden hinstellt, der die Sperrung konsequent durchsetzt. Aber selbst dann… Die Absperrungen werden weggeschoben oder umfahren. Ein Beispiel dafür war ein schwerer Verkehrsunfall auf der B20 im vergangenen Jahr: Die Einsatzkräfte drehen sich um. Und auf einmal steht da ein Pkw. Er war entgegen der Fahrtrichtung auf die B20 aufgefahren, weil er gemeint hat, dass er so noch durchkommen könnte.
Kann man in solchen Situationen immer an sich halten?
Bayer: Man muss an sich halten. Es bleibt einem ja sowieso nichts anderes übrig. Aber manchmal fällt es schon schwer, freundlich und trotzdem bestimmt zu bleiben. Aber die Kollegen von Feuerwehr und Polizei kämpfen damit noch viel häufiger, als wir.
Haben Sie es auch mit Leuten zu tun, die sich bei Einsätzen vordrängeln, um Fotos zu machen?
Bayer: Das erleben wir besonders bei Einsätzen auf Autobahnen. Die Feuerwehren und die Rettungsdienste erleben das täglich. Das Handy wird sofort gezückt und es werden Fotos gemacht oder es wird gefilmt. Auf der Autobahn wird teilweise im Fahren gefilmt, die Leute fahren deshalb zum Teil in Schlangenlinien an den Unfällen vorbei. Wenn man filmt, ohne Rücksicht auf die Rettungskräfte und die Opfer, und das dann ins Netz stellt: Das geht gar nicht. Bei einem Verkehrsunfall kann so zum Beispiel die Situation entstehen, dass die Eltern von einem jungen Verunglückten aus dem Internet von dem Unfall erfahren. Sie erfahren so, dass ihr Sohn tot ist. Das geht einfach nicht.
"Es besteht die Gefahr, dass die Hemmschwelle noch mehr sinkt."
Glauben Sie, dass sich die Situation mit Gaffern und Fotohandys in Zukunft noch verschlimmern wird?
Weber: Verbessern wird sie sich wahrscheinlich nicht. Die Medien werden immer schneller und vernetzter. Die Fotos werden in Zukunft wahrscheinlich noch viel schneller veröffentlicht. Und es besteht die Gefahr, dass die Hemmschwelle noch mehr sinkt.
Teilweise werden Einsatzkräfte auch in sozialen Medien beschimpft. Kommt das bei Ihnen auch vor?
Weber: Bei uns jetzt noch nicht in großem Umfang. Wir kommentieren das dann aber auch nicht. Wenn es zu einer fragwürdigen Diskussion kommt, dann deaktiviere ich die Kommentarfunktion oder lösche die Kommentare. Weil ich mich auch gar nicht auf eine solche Diskussion einlasse.
Was würden Sie sich denn von den Bürgern wünschen?
Weber: Wichtig wäre grundsätzlich mehr Verständnis. Bei uns ist es so, dass wir unsere Freizeit opfern. Wir müssen von unseren Arbeitgebern freigestellt werden. Das ist alles nicht selbstverständlich. Das kommt bei den Leuten teils aber gar nicht an. Die Haltung ist: "Dafür seit's ihr doch da."
Wenn man sich die technischen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte vor Augen hält: Würden Sie dann sagen, dass die Arbeit zumindest im Hinblick auf das Körperliche einfacher geworden ist?
Bayer: Das kann man so eigentlich nicht sagen. Es gibt sicherlich Erleichterungen und Geräte, die es vor 30 Jahren nicht gab. Aber man darf eines nicht vergessen: Man hat heute auch nicht mehr dieses Personal, das man vor 30 Jahren hatte. Die Bereitschaft ist einfach nicht mehr so groß, seine Freizeit zu opfern - oder sein Leben unentgeltlich aufs Spiel zu setzen. Die fehlende "manpower" kompensiert man heute mit Technik, was die Arbeit nicht wesentlich weniger anstrengend macht.
Sie würden sich also durchaus mehr Bereitschaft wünschen, sich beim THW einzubringen…
Bayer: Ja, was uns sicherlich fehlt, ist Nachwuchs. Im Speziellen geht es auch um die Altersgruppe zwischen 30 und 45. Man muss nicht gleich mit 18 dazu kommen.
Ihre Arbeit ist anspruchsvoll, sie müssen viel Freizeit investieren, werden aber teilweise nicht entsprechend positiv in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Wieso sind Sie persönlich dann beim THW?
Weber: Grundsätzlich ist es einfach so, dass man helfen will.
Bayer