Erinnerungen an einen historischen Tag
"Ein kleines Wunder"
24. Januar 2020, 17:32 Uhr aktualisiert am 26. Januar 2020, 14:41 Uhr
Das war wahrlich ein historischer Tag, als am 26. Januar 1990 der Grenzübergang in Höll-Lísková für einige Stunden geöffnet wurde. Über 10.000 Menschen aus Bayern und Böhmen passierten die Grenze. Eine eindeutige Willensbekundung, dass sie die über 40-jährige Trennung durch den Eisernen Vorhang beenden wollten. Die Chamer Zeitung hat anlässlich des 30. Jahrestages vier Zeitzeugen nach ihren Erinnerungen an die symbolische Grenzöffnung befragt.
Alfons Vogl: Wir waren mehrere junge Leute aus Tiefenbach. Ich weiß aber nicht mehr genau, wer alles dabei war. Es hat uns halt interessiert und wir wollten die Leute jenseits des Eisernen Vorhangs mal kennenlernen. Die Menschen, die dort waren, waren auf alle Fälle offen für neue Bekanntschaften. Und die Tschechen hatten wirklich schrecklich fette Bratwürste! Damals hat mich mein Schulfreund Thomas Linsmeier aus Furth im Wald am Grenzübergang Waldmünchen wiedererkannt. Da er gerade bei der Chamer Zeitung angefangen hatte, interviewte er mich.
Nach der Grenzöffnung kam natürlich ein Boom. Jeden hat es interessiert, wie es im Nachbarland ausschaut und was es da zu kaufen gibt. Von unserem Wald, der an Tschechien grenzt, konnten wir ja schon immer reinschauen und haben auch ab und zu mal ein paar tschechische Grenzer getroffen, aber reingehen haben wir uns nicht getraut.
Dann war die Grenze plötzlich offen, Vater und ich fuhren zum Werkzeugkaufen, die Mutter mit Freundinnen zum Kaffee trinken. Wir trafen Leute die, den uns bekannten, bayerisch/böhmischen Dialekt noch gut sprachen. Eine angenehme Erinnerung ist auch der Besuch des Faschingsballs in Postřekov - damals war bei uns wegen des Golfkrieges Tanzverbot und die meisten Veranstaltungen wurden abgesagt.
Auch unser Fußballverein, der SV Tiefenbach, nahm Kontakt auf, und es spielten Tschechen in unserer Mannschaft mit. Eine schöne Zeit mit gegenseitigen Besuchen und Freundschaftsspielen in Heřmanova Hut' begann. Später kamen auch Spieler aus Wassersuppen dazu, mit denen uns sogar der Aufstieg glückte.
Einen Teil meiner Diplomarbeit machte ich auch in Tschechien, wobei mich Jan Benda dankenswerterweise sehr unterstützte. Diese Zusammenarbeit im beruflichen Bereich ist bis heute für mich von Bedeutung. Ansonsten wurden nach der anfänglichen Neugierde die Besuche in Tschechien aber auch wieder weniger.
Ludwig Prögler: An den Tag der symbolischen Grenzöffnung kann ich mich noch gut erinnern. Es war wahrlich das historische Ereignis, von dem viele Politiker an diesem Tag gesprochen haben. Auch wir Zeitungsschreiber haben es als kleines - vielleicht auch großes - Wunder empfunden, dass sich die Menschen beider Nationen in Höll "einfach so" begegnen konnten. Und zwar genau dort, wo der Schlagbaum viele Jahre die Länder getrennt hatte. Dieser hatte sich zuvor nur ab und zu gehoben, so wenn ein Schwertransporter diese Route ins Nachbarland wählte.
Man spürte, dass nicht nur die Politiker, sondern auch die Deutschen und Tschechen den Wegfall der Grenze wollten. Es herrschte richtige Fest-, ja Aufbruchstimmung an diesem 26. Januar. Im Gedächtnis habe ich noch die tschechische Blaskapelle, die immer wieder "Rosamunde" intoniert hat, Leute, die sich in den Armen lagen, und die Menschenströme Richtung Waldmünchen oder Wassersuppen. Ach ja, es soll sogar vorgekommen sein, dass manche etwas länger im Nachbarland geblieben sind, um dort noch das eine oder andere Bierchen zu genießen.
Als dann die Grenze wirklich offen war, haben wir von der Zeitung die eine oder andere "Erkundungsfahrt" unternommen und darüber berichtet. Auch die ersten Kontakte ins Nachbarland kamen zustande, wobei wir immer wieder davon profitierten, dass viele Tschechen die deutsche Sprache einigermaßen beherrsch(t)en. Umgekehrt ist das leider nach wie vor nur bedingt der Fall. Die Euphorie vieler, Tschechisch zu lernen, ist bald verflogen; zu schwierig erscheint die Sprache. Trotzdem haben sich zahlreiche Freundschaften entwickelt - sei es auf politischer oder Vereinsebene. Aber auch so sind sich die Menschen nähergekommen. Ressentiments sind verschwunden, man pflegt eine gute Nachbarschaft. So soll es sein.
Als Kommunalpolitiker komme ich regelmäßig mit Tschechen zusammen. Das ist nichts Außergewöhnliches mehr, sondern Normalität. Leider haben schon viele vergessen, welchen Schrecken früher die Grenze hatte. Ansonsten würde der Segen eines geeinten Europas von manchen nicht so einfach vom Tisch gewischt.
Hans Beer: Ein Wunder wurde wahr. Was sich an diesem Tag an der Grenze bei Höll-Haselbach abspielte, war ein Jahrhundertereignis. Tausende Menschen beäugten sich gegenseitig und kamen nach Beseitigung der letzten Barrieren in Bewegung. Es gab kein Halt mehr. Die Tschechen, zum Großteil Grenzbewohner, fielen in Waldmünchen ein. Die Stadt war voll mit teilweise exotisch ausschauenden Menschen. Zwar hatte keiner die Möglichkeit, etwas zu kaufen, aber allein das Schauen war ein Erlebnis. Da merkte man, was das kommunistische System an der normalen Bevölkerung alles verbrochen hatte.
An der Grenze, bei einer kleinen Veranstaltung, wurden von den CSU-Granden die üblichen Sprüche geklopft. Von der tschechischen Seite waren viele von den alten Strukturen anwesend. Der kleinen Schar der Waldmünchner SPD-Genossen wollte man mit Hilfe der Polizei ihr Transparent abnehmen. Mein Fazit: Für mich war es nach vielen Dekaden Grenzzaun wieder möglich, den alten Übergang nach Tschechien zu benutzen.
Inge Gabriel: Im Auftrag des Roten Kreuzes leistete ich bei diesem Grenzfest den Sanitätsdienst. Der Menschenauflauf, die Emotionen, das war ein aufregendes Ereignis. Und für uns alle etwas Neues. Dass sich nicht sofort bei der Grenzöffnung viel ändern wird, war mir klar. Meine Vermutung, dass es auf lange Sicht wieder einen Handel zwischen beiden Ländern geben wird, hat sich aber bestätigt. Es hat sich ein schönes Hin und Her entwickelt, das sich nicht nur auf den Handel beschränkt, sondern auch für persönliche Erfahrungen gilt. Ich finde es schön, dass man die Sehenswürdigkeiten im Nachbarland besuchen und Ausflüge machen kann.
Sehr positiv finde ich auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Feuerwehren und anderer Hilfsorganisationen. Am schönsten ist aber, dass sich die Völker vertragen. Für die Zukunft wünsche ich mir, das Freundschaft, Freiheit und Frieden Bestand haben.