Krankenhausreform
Was die Großoperation bei den Kliniken bringt
17. Oktober 2024, 5:00 Uhr
Der Anlauf begann am Nikolaustag 2022, als eine Kommission Empfehlungen vorlegte. Fast zwei Jahre später hat der Bundestag eine grundlegende Neuaufstellung der Kliniken in Deutschland beschlossen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von einer "Revolution" und der größten Reform seit 20 Jahren. Die Ziele: weniger Finanzdruck und mehr Spezialisierung bei komplizierteren Eingriffen. Doch unumstritten sind die Pläne bei weitem nicht. Was bedeutet die Großoperation für die Patientinnen und Patienten?
Deutschland hat nach Experteneinschätzung im Vergleich zu Nachbarländern zu viele Kliniken. Es gibt große Probleme: finanzielle Schwierigkeiten, Personalengpässe, ein Drittel der 480.000 Betten sind laut Gesundheitsministerium nicht belegt.
Lauterbach sieht die Reform denn auch als eine Notbremse: Ohne Änderungen drohten Klinik-Insolvenzen, schlechte Behandlung und weite Wege. Dabei sei klar, dass Deutschland nicht den medizinischen Bedarf und nicht das Personal für 1.700 Krankenhäuser habe. Ziel sei daher, den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern.
Aktuell bekommen Kliniken pro Patient oder Behandlungsfall einen pauschalen Euro-Betrag (Fallpauschale). Das führt laut Lauterbach zu einem "Hamsterrad-Effekt", möglichst viele Behandlungen auf möglichst günstige Weise zu machen, oder schafft sogar Anreize zu unnötigen Behandlungen. Als Beispiel wird gern die Knieprothese genannt, die eingebaut wird, wo es vielleicht gar nicht nötig ist.
Dem Gesetzentwurf zufolge besteht auch ein Risiko, dass manche Kliniken schwierige Behandlungen vornehmen, für die ihnen die Erfahrung fehlt, oder vermeintlich weniger lukrative medizinische Leistungen nicht mehr anbieten.
Das vor 20 Jahren eingeführte Vergütungssystem der Fallpauschalen soll grundlegend geändert werden. Künftig soll es einen festen Sockel von 60 Prozent der Vergütung schon allein dafür geben, dass Kliniken eine Grundausstattung mit Personal und Geräten für bestimmte Leistungen vorhalten, unabhängig von der Zahl der Fälle.
Die Feuerwehr werde ja auch nicht nur bezahlt, wenn es brenne, argumentierte die Kommission, die Vorschläge für die Reform erarbeitete. Extra-Vergütungszuschläge geben soll es für Kliniken mit Kinderheilkunde, Geburtshilfe, Intensiv- und Unfallmedizin, speziellen Schlaganfall-Stationen und Notfallversorgung.
Die neue Fix-Vergütung soll eine Klinik für "Leistungsgruppen" bekommen, die ihr das Land zuweist. Sie bilden medizinische Leistungen ab, und zwar präziser gefasst als grob benannte Fachabteilungen. Ausgangspunkt sollen 65 Gruppen sein, die maßgeblich auf ein Modell aus Nordrhein-Westfalen zurückgehen - etwa "OPs an der Wirbelsäule" oder "Leukämie".
Mit definiert werden jeweils einheitliche Qualitätsvorgaben zu Fachpersonal und Ausstattung. Lauterbach machte wiederholt klar, da keine Abstriche zu machen. Denn dies soll bewirken, dass etwa Krebsbehandlungen in Kliniken mit Spezialkenntnissen gemacht werden.
Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder. Sie könnten etwa sagen, ob es in einer Region zwei oder vier Standorte für Wirbelsäulenchirurgie gebe, erläuterte Lauterbach. Die neue Vorhaltevergütung soll eine Existenzsicherung gerade für kleinere Häuser auf dem Land schaffen. Generell sollen Qualitätskriterien auch in Kooperationen zu erfüllen sein.
Die Länder sollen Standorte zudem zu "sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen" erklären können, die "wohnortnah" stationäre Behandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden, wie es im Entwurf heißt. In Gebieten, in denen Praxen von Fach- und Hausärzten fehlen, sollen Patientinnen und Patienten so künftig für solche Behandlungen auch ins Krankenhaus gehen können.
Das Gesetz sieht Finanzspritzen vor. So sollen Kostensteigerungen der Kliniken unter anderem bei den Tariflöhnen aller Beschäftigten schon von diesem Jahr an nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll von den Krankenkassen finanziert werden. Um den großen Wandel zu den neuen Strukturen zu unterstützen, soll zudem ein "Transformationsfonds" kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden Euro fließen könnten - sofern sich Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen. Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen Kassen und - entsprechend ihrem Anteil an den Behandlungen - der privaten Krankenversicherungen.
Im Entwurf weist das Ministerium auf "Effizienzgewinne und Minderausgaben" durch eine stärker koordinierte, hochwertigere Versorgung hin. Die Jahresausgaben der gesetzlichen Kassen für Kliniken stiegen zuletzt schon auf 94 Milliarden Euro. Das war ein Drittel der gesamten Leistungsausgaben.
Die Kassen unterstützen eine stärkere Spezialisierung für mehr Qualität - warnen aber vor einer weiteren "Kostenlawine" in einer ohnehin angespannten Finanzsituation. Die Kliniken und die Länder fordern auch schnellere Finanzspritzen, da manche Krankenhäuser die erst in einigen Jahren greifende Reform sonst gar nicht mehr erreichen könnten.
Die Ampel-Koalition steht bei der Reform zusammen, wie Lauterbach gern betont. Mit den Ländern köchelt aber weiter Streit - und abschließend durch den Bundesrat muss das Gesetz noch. Dabei ist es nicht mehr so angelegt, dass es dort zustimmungsbedürftig ist. Die Länderkammer könnte es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Parlament schicken und so ausbremsen.
In Kraft treten soll die Reform zum 1. Januar 2025. Umgesetzt werden soll die neue Struktur dann nach und nach bis 2029. Vorgesehen ist, dass die Länder bis Ende 2026 ihren Kliniken die jeweils vorgesehenen Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann 2027 und 2028 schrittweise auf das neue System umgestellt werden, wie das Ministerium erläutert.
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