Streit um Rechtsstaatlichkeit

Ungarn verliert Anspruch auf EU-Hilfen in Milliardenhöhe


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Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat bereits mehrfach mit Blockaden von EU-Projekten gedroht. (Archivbild)

Von dpa

Ungarn hat wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit den Anspruch auf EU-Hilfen in Höhe von rund einer Milliarde Euro verloren. Zur Freigabe des Geldes hätte das Land bis Ende 2024 Reformauflagen umsetzen müssen, wie eine Sprecherin der Europäischen Kommission der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Bei den verfallenen Mitteln handelt es sich um 1,04 Milliarden Euro, die für Ungarn aus Programmen zur Förderung strukturschwacher Gebiete vorgesehen waren. Die Gelder waren Ende 2022 eingefroren worden, weil die EU-Kommission nach Analysen zum Schluss gekommen war, dass Ungarn verschiedene EU-Standards und Grundwerte missachtet.

Zur Freigabe der Gelder hätte die ungarische Regierung um Ministerpräsident Viktor Orban bis Jahresende ausreichende Reformen umsetzen müssen. Dazu gehören unter anderem Änderungen von Gesetzen zur Vermeidung von Interessenkonflikten und Korruptionsbekämpfung.

Die Führung in Budapest reagierte verständnislos auf den Verfall der Gelder. "Die ungarische Regierung hat alle Bedingungen für die Abrufung der EU-Ressourcen erfüllt", schrieb Europa-Minister Janos Boka vor dem Jahreswechsel auf seiner Facebook-Seite. "Brüssel will die Gelder, die Ungarn und den ungarischen Menschen zustehen, aus politischen Gründen wegnehmen", fügte er hinzu.

Europaabgeordnete reagierten hingegen mit Genugtuung. "Orban kommt die Ungarinnen und Ungarn richtig teuer zu stehen. Diese Milliarde ist erst der Anfang. Die EU zeigt endlich, dass sie sich vom korrupten Orban nicht mehr einfach alles gefallen lässt", kommentierte der Grünen-Politiker Daniel Freund.

Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sagte: "Orban hat den Bogen überspannt. Der Kuschelkurs mit den Möchtegern-Autokraten ist vorbei. Wer das Geld der europäischen Steuerzahler stiehlt, verliert das Recht auf EU-Gelder. Es gibt in der EU keinen Rabatt mehr auf Grundrechte."

Sollte Ungarn weiterhin keine ausreichenden Reformen umsetzen, droht in Zukunft der Verlust weiterer Milliardensummen. Nach den Regeln des seit 2021 geltenden EU-Rechtsstaatlichkeitsmechanismus verfallen darüber eingefrorene Gelder am Ende des zweiten Kalenderjahres nach dem Jahr, für das sie eingeplant waren. Ende dieses Jahres würden damit die für 2023 eingeplanten Mittel verfallen.

Insgesamt waren aus dem mehrjährigen Gemeinschaftshaushalt 2021-2027 Ende 2022 rund 6,3 Milliarden Euro für Ungarn über den Mechanismus eingefrorenen worden. Weitere Milliardensummen für das Land sind über andere Regelungen blockiert. Zuletzt ging es nach Kommissionsangaben um rund 19 Milliarden Euro - die Summe entspricht in etwa einem Zehntel der jährlichen Wirtschaftsleistung Ungarns.

Um Finanzierungslücken zu füllen, setzte Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Orban zuletzt unter anderem auf China. Im April rief Ungarn einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro ab, den das Land bei chinesischen Staatsbanken aufnahm. Das geschah diskret und wurde erst im Juli bekannt, als das ungarische Zentrum für Staatsschulden (AKK) ein paar Eckdaten dazu veröffentlichte. Demnach hat das Darlehen eine Laufzeit von drei Jahren. Die Höhe der Zinsen und die Tilgungsintervalle sind nicht bekannt.

China ist in Ungarn stark aktiv. Der E-Auto-Hersteller BYD baut ein großes Werk im südungarischen Szeged, der Batteriezellen-Erzeuger Catl eine Mega-Fabrik im ostungarischen Debrecen. Chinesische Unternehmen bauen die neue Bahnstrecke von Budapest in die serbische Hauptstadt Belgrad. Für den Bau des ungarischen Abschnitts nahm Ungarn bei der chinesischen Exim-Bank einen Kredit von fast 900 Millionen Euro auf.

Trotz der chinesischen Finanzhilfen versucht Orban weiter, eingefrorene EU-Mittel freizubekommen. Anfang Dezember drohte er mit einem Veto gegen den nächsten Sieben-Jahre-Haushalt der EU, falls Brüssel blockierte EU-Gelder nicht freigeben sollte. Über den nächsten langfristigen EU-Haushalt von 2028 bis 2035 beginnen die Verhandlungen voraussichtlich Mitte 2025.

Es war nicht das erste Mal, dass Orban mit Blockaden zentraler EU-Entscheidungen drohte. So verweigerte er erst beim EU-Gipfel Mitte Dezember seine Zustimmung zur Verlängerung der Ende Januar auslaufenden Russland-Sanktionen. Diplomaten vermuteten, dass er auch in anderen Bereichen Zugeständnisse der EU-Partner erpressen wolle - etwa die Freigabe eingefrorener EU-Gelder.

Im Dezember 2023 hatte die Kommission trotz anhaltender Kritik an Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien in Ungarn eingefrorene EU-Fördermittel in Höhe von rund zehn Milliarden Euro für das Land freigegeben. Europaabgeordnete kritisierten dies damals und warfen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, sich von Ungarn erpressen zu lassen. Orban hatte zuvor angekündigt, den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und ein milliardenschweres Hilfspaket der EU für das von Russland angegriffene Land zu blockieren.


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