Nach dem tödlichen Angriff

"Terrorismus gegen uns alle" - und was nun?


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Scholz findet bei seinem Besuch am Tatort des Attentats von Solingen klare Worte. Konkrete neue Maßnahmen kündigt er aber nicht an.

Von dpa

Mit versteinertem Gesicht tritt Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Tag drei nach dem tödlichen Messerangriff im Herzen von Solingen vor das Meer aus Blumen und Grablichtern am Fronhof. Seine Mundwinkel sind tief heruntergezogen, als er eine weiße Rose ablegt im Gedenken an die Opfer der Attacke. Als Zeichen der Solidarität ist Scholz in die Bergische Stadt gekommen, die auch am Montag noch im Schockzustand ist.

Scholz steht zwischen NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD). Alle Politiker schweigen, legen Rosen ab, verharren kurz mit gefalteten Händen. Dann gehen sie am Ort des Anschlags vorbei in eine Begegnungsstätte, um mit Feuerwehrleuten und Rettungskräften zu sprechen, die am Freitagabend im Einsatz waren.

Fast eine Stunde reden sie hinter verschlossenen Türen. Wüst wird später sagen, dass junge Sanitäter nach dem Anschlag mit drei Toten und acht Verletzten vor Ort waren, über sich hinauswuchsen und immer noch von Tränen überwältigt werden, wenn ihnen die schrecklichen Bilder wieder vor Augen kommen.

"Warum" - steht in roten Lettern auf einer Pappe zwischen den Blumen. Aber die drängendste Frage am Montag lautet bereits: "Was tun?" Die rund 100 Menschen, die in großem Abstand hinter den Absperrbändern stehen und den Auftritt des Kanzlers verfolgen, wollen Antworten - und sie wollen Sicherheit. Viele von ihnen haben Migrationshintergrund, wie Emran Gadi zum Beispiel. Er kam als Baby vor mehr als 30 Jahren nach Solingen. "Ich erwarte, dass die Politiker sich untereinander einigen und Lösungen finden". Auch seine Familie sei seinerzeit aus Serbien vor dem Krieg geflüchtet. Aber wer sich in Deutschland nicht integriere und nicht anpasse, gehöre nicht hierhin.

"Es muss mehr Strenge bei der Einwanderung geben, sagt auch die 57-jährige Solingerin Cari Quispe de Mergard, die vor 30 Jahre aus Peru in die Stadt zog. "Wir erwarten mehr Sicherheit." Bei dem Stadtfest in Solingen hatte der mutmaßliche Täter - ein abgelehnter Asylbewerber aus Syrien - inmitten des Gedränges vor der Bühne zugestochen. Inzwischen kam heraus, dass er bereits im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden sollte, was jedoch scheiterte. Die Stimmung ist nervös. Einige Schaulustige geraten in Streit darüber, ob man künftig die AfD wählen sollte.

Konkrete Antworten auf die bangen Fragen der Bürger kann der Kanzler bei seinem Besuch am Tatort noch nicht geben. Er steht vor der immer noch aufgebauten Bühne, wo Menschen in Panik vor dem Angreifer geflüchtet waren. Auf einer Videoleinwand flackert eine rote Kerze. Scholz spricht lange und leise, so dass er auch für Umstehende kaum zu hören ist. Seine Worte aber sind deutlich und bewegend. Wütend und zornig sei er über diese Tat. "Das war Terrorismus. Terrorismus gegen uns alle, der unser Leben, unser Miteinander bedroht, die Art und Weise, wie wir leben."

Gegen Straftäter mit schlimmsten Gesinnungen werde der Staat mit aller Härte und Schärfe vorgehen, verspricht der Kanzler. Er kündigt eine schnelle Umsetzung der bereits geplanten Verschärfung des Waffenrechts an und konsequentere Abschiebungen - nicht zum ersten Mal. Vor knapp einem Jahr hatte er in einem "Spiegel"-Interview bereits versprochen, "in großem Stil" abschieben zu wollen. Später stellte er Aussicht, die Abschiebung von Straftätern nach Syrien und Afghanistan wieder zu ermöglichen. Beides ist noch nicht umgesetzt.

"Ankündigungen alleine werden nicht reichen", mahnt NRW-Ministerpräsident Wüst (CDU) in Solingen im Anschluss an Scholz. Bereits Vortag hatte CDU-Chef Friedrich Merz einen Forderungskatalog mit Maßnahmen präsentiert, die er nun für nötig hält. Dazu zählt nicht nur die generelle Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder nach Syrien und Afghanistan abzuschieben, sondern auch ein Aufnahmestopp für Menschen aus diesen Ländern.

Zudem ist Merz für dauerhafte Kontrollen und konsequente Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie das Wiedereinsetzen der sogenannten Dublin-Regeln. Diesen zufolge ist meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig, wo der Schutzsuchende zuerst europäischen Boden betreten hat. Merz will zudem das Aufenthaltsrecht ändern und "jeden ausreisepflichtigen Straftäter in zeitlich unbegrenzten Abschiebegewahrsam" nehmen.

Mit diesem Katalog geht Merz am Dienstag in ein Gespräch mit Scholz, bei dem ausgelotet werden soll, ob Regierung und größte Oppositionspartei beim Thema Migration doch noch auf einen gemeinsamen Nenner kommen können. Ein erster Versuch war im vergangenen Herbst krachend gescheitert.

Damals hatten Kanzler und Oppositionschef vor einem Migrations-Gipfel von Bund und Ländern Gespräche zu dem Thema geführt. Mit dem anschließend von Scholz und den Ministerpräsidenten - darunter eine ganze Reihe Regierungschefs von CDU und CSU - beschlossenen Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen zeigte sich der CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag dann aber unzufrieden und erteilte einer weiteren Zusammenarbeit eine Absage. Scholz habe es abgelehnt, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Regierung und Union zur Steuerung der Zuwanderung einzusetzen, sagte er Anfang November zur Begründung. "Damit ist das Thema Deutschlandpakt zum Thema Migration aus meiner Sicht erledigt."

Eine Verständigung zwischen den Parteien der demokratischen Mitte, denen von den Rändern immer mehr das Wasser abgegraben wird, erscheint gerade jetzt aber dringender denn je. Am Sonntag wird in Thüringen und Sachsen gewählt. In den jüngsten Umfragen kommen AfD und BSW zusammen auf 47 bis 50 (Thüringen) beziehungsweise 41 bis 47 Prozent (Sachsen). Vor allem die AfD versucht die Messerattacke für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren.

Ob es der zuletzt besonders zerstrittenen Ampel und der Union gelingt, dem bis Sonntag ein klares Signal der Handlungsfähigkeit entgegenzusetzen, wird man sehen. Zu dem Treffen des Kanzlers mit Merz sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag sehr zurückhaltend, mögliche Vereinbarungen müssten "vernünftig und zielführend" sein. "Es muss natürlich immer um Vorschläge gehen, die nicht gegen das Grundgesetz verstoßen oder die UN-Menschenrechtscharta oder Ähnliches." Da klangen dann doch schon deutliche Zweifel durch, dass Maßnahmen wie ein Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen rechtlich überhaupt möglich ist.

Die Erwartungen an die Politik sind aber hoch. Solingens Oberbürgermeister Kurzbach macht das am Montag nach seiner Begegnung mit Scholz sehr deutlich. "Die Menschen erwarten jetzt, dass dieser Staat handelt und aktiv ist und Lösungen für sie bringt." Die Regierungsverantwortlichen müssten nun zusammenstehen - in Bund, Ländern und Kommunen. "Wir sind noch lange nicht durch mit dem Schrecken der Ereignisse hier", sagt er. "Lasst uns zur Ruhe kommen in Solingen. Es geht nicht nur um Solingen, es geht um unser Land."


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