Personeller Neuanfang mit „durchwachsen-ehrlichem“ Ergebnis
Markus Söder ist neuer CSU-Chef – Seehofer nimmt Abschied von der Partei
19. Januar 2019, 18:30 Uhr aktualisiert am 19. Januar 2019, 18:30 Uhr
So ganz wie geplant geht es nicht los. Zwar Seit an Seit, dafür aber ohne Defiliermarsch oder bei der CSU inzwischen üblichen rockigen Töne, und somit fast unbemerkt, ziehen Host Seehofer und Markus Söder in die kleine Olympiahalle ein. Das Wahlergebnis für Markus Söder, den die knapp 900 Delegierte zum CSU-Chef wählen, fällt dann ebenso verhalten aus. 87,42 Prozent erhält er und ist damit Nachfolger von Horst Seehofer. Nicht schlecht. Aber nach einem Jahr der Irritationen und des Streits hätte man vielleicht mehr erwarten können, als Zeichen des neuen Miteinanders. Söder sieht das wohl ähnlich. Erleichtert nimmt er die Wahl an. Mit Blick auf den Wahlparteitag im Herbst, auf dem auch er schon wieder zur Wahl antreten muss sagt er, dass man sich ja "weiterentwickeln" könne. Und auch bei den Reden blieben die großen Höhepunkte weitgehend aus. Nach zwei Winterklausuren war das Pulver fürs erste offenbar verschossen.
Ein "ehrliches, aber durchwachsenes Ergebnis" sei das, ist unter den Delegierten zu hören. Es sind in den vergangenen Monaten wohl zu viele Verletzungen und Enttäuschungen zurückgeblieben. Und als Spitzenkandidat war Söder an dem Landtagswahlergebnis auch nicht ganz unschuldig, auch wenn die meisten in der Partei hier auf Seehofer zeigen.
Attacken gegen Grüne und AfD
In seiner Bewerbungsrede spricht Söder davon, langfristig Orientierung geben zu wollen. Die CSU müsse die "Lufthoheit über den Stammtischen erhalten" und in manchen Bereichen zurückholen. Dazu sei es nötig, sich stärker an Debatten zu beteiligen. Die Partei wolle dem "Zeitgeist nicht hinterherlaufen, sondern ihn prägen". Die Moral werde man nicht anderen überlassen, sagt Söder und zielt dabei auf einen der beiden Hauptgegner: die Grünen.
Der weitere Hauptgegner, die AfD, bekam ebenso ihr Fett weg. Deren Mitglieder seien keine "enttäuschten Konservativen". Die "AfD von Höcke " sei auf den Weg in den Rechtsextremismus. "Weite Teile der AfD sind kein Fall für das Parlament, sondern für den Verfassungsschutz."
Um aber Wähler zurückzuholen und neue "Milieus" von Neubayern, die es aus allen Teilen der Republik in den Freistaat verschlage habe, zu erschließen, hat sich die CSU eine Parteireform verordnet. "Weiblicher, jünger und grüner" will die CSU werden, um das Lebensgefühl im Freistaat, das "Mia san mia", wieder besser zu treffen. Söder ruft zu Teamspiel auf und erinnert eine seine Anfänge an "der Basis". Doch jedem müsse klar sein: Vor der CSU liegt kein Sprint, sondern ein Marathon. Ebenso klar aber sei, der "Kompass der CSU" sei immer noch aktuell. Nun gehe es darum, aus "großartigen Solisten ein hervorragendes Orchester" zu machen.
Einsatz für die kleinen Leute
Einer wird in diesem Orchester nicht mehr die erste Geige spielen: Horst Seehofer. Ihm bereitet die Partei einen würdigen Abschied und wählte ihn auf Vorschlag Söders zum Ehrenvorsitzenden, dem dritten neben Edmund Stoiber und Theo Waigel.
3739 Tage sei er an der Spitze der Partei gestanden, sagt Seehofer. Nun gebe er sein Amt weiter, "es bleibt bei mir ein glühendes Herz für meine politische Familie CSU". Noch einmal blitzt der einst so profilierte Sozialpolitiker auf. Denn an seine Partei hat er nur einen Wunsch: "Verachtet mir die kleinen Leute nicht." Denn er sei in seinem politischen Wirken immer von der Überlegung getrieben gewesen, wie sich politische Entscheidungen auf das Leben der Menschen auswirkte. "Mein Werk ist getan - Machts es gut", sagt Seehofer und die Delegierten danken es ihm mit minutenlangem Beifall.
Klar wird, Seehofer und Söder haben sich irgendwie miteinander abgefunden. Dass sich die beiden in ihren politischen Leben meist als Konkurrenten gegenüberstanden kehren beide nicht unter den Teppich - wenn auch mitunter mit Humor getarnt. Als ihm Generalsekretär Markus Blume ein Modell der CSU-Zentrale im Maßstab 1:87 überreicht, die ihren Platz in Seehofers legendärer Modelleisenbahnanlage finden soll, gesteht Seehofer, dass ihn da die Wehmut packe, da wieder einzuziehen. "So alt bin ich ja noch nicht."
Söders Revenge folgt, als er CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer auf der Bühne für deren Grußwort dankt. Zwei Fehler der Vergangenheit wolle er nicht wiederholen. Er überreiche nun "echte Blumen" und werde nicht zu lang reden. Er erinnert damit an den Parteitagsauftritt Seehofers mit der damaligen CDU-Chefin Angela Merkel, als das Verhältnis der Schwesterparteien aufgrund der Flüchtlingspolitik zum Bersten gespannt war und Seehofer der Kanzlerin nach deren Rede die Leviten ließ.
Neuer Zusammenhalt
Alles Vergangen. Ähnlich wie bei den vorangegangenen Klausurtagungen von Landesgruppe und Landtagsfraktion herrscht in München eitel Sonnenschwein zwischen CDU und CSU. Kramp-Karrenbauer gratuliert Söder zu dem "sehr ehrlichen Ergebnis" seiner Wahl und betont, dass es in diesem Jahr gelte, die Gemeinsamkeiten nach vorne zu bringen. Wie Geschwister müssten sich auch CDU und CSU nicht in allem immer einig sein. Aber wie im wahren Leben gelte: "Wenn die Nachbarskinder kommen, hält man zusammen."
Die Europawahl mit dem gemeinsamen Spitzenkandidaten Manfred Weber bietet die erste Chance, das neue Miteinander mit Leben zu erfüllen. Immerhin besteht nun die realistische Chance, dass die CSU den künftigen EU-Kommissionspräsidenten stellt. Weber fasst seinerseits sein Programm noch einmal zusammen. Europa wolle er dort stärken, wo dies nötig sei, etwa bei Schutz der Außengrenzen. Ansonsten solle sich Brüssel raushalten. Zudem müsse Europa seine wirtschaftliche Stärke nutzen, "um die Welt besser zu machen". So will er künftig den Import von Produkten verbieten, "für die Kinder schuften mussten". Und er warnt gerade die Deutschen: Nirgendwo sonst gebe es eine derart "hysterische Stimmung" gegen Autos und insbesondere den Diesel. Deutschland dürfe seine Schlüsselindustrie nicht in den Ruin reden.
"Auf dem richtigen Weg"
"Ich will und kann die europäische Kommission führen und ich will und kann Europa in eine gute Zukunft führen bekräftigte Weber. Populisten und Extremisten wolle er keine Chance geben, Europa zu zerstören.
Der Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld sieht die CSU auf dem richtigen Weg. Diesen müsse die Partei aber konsequent durchziehen. Es wäre falsch, sich jetzt ständig mit den Fehlern der Vergangenheit zu befassen, weil die Öffentlichkeit dann immer wieder genau daran erinnert werden. Vielmehr sollte die CSU ein Bild der Gesellschaft in fünf oder zehn Jahren entwickelt, sagte er unserer Zeitung. Wenn die CSU es schaffe das "Erklärungsdefizit der Traditionsparteien" zu überwinden, sei bei der Europawahl durchaus ein Ergebnis über dem der Landtagswahl möglich.
Und tatsächlich sieht es danach aus, als ob die Protagonisten verstanden haben. Bei aller früherer Rivalität: Seehofer bekennt nach der Wahl des neuen Vorsitzenden, er sei nun "erleichtert". Die Zeit heile schließlich alle Wunden. Und seinem Nachfolger Söder traue er den Parteivorsitz "uneingeschränkt zu".