AZ-Interview

Markus Söder: "Das Auto ist nicht der Feind"


"Wir sägen uns den Ast ab, auf dem wir industriepolitisch sitzen": Markus Söder (l., mit Franz Josef Pschierer) in einem 8er BMW.

"Wir sägen uns den Ast ab, auf dem wir industriepolitisch sitzen": Markus Söder (l., mit Franz Josef Pschierer) in einem 8er BMW.

Von Jeanne Jacobs / Onlineredaktion

Ministerpräsident Markus Söder spricht in der AZ über die Zukunft der Fortbewegung - sowie die helle und die dunkle Seite der Macht.

Bayerns Ministerpräsident (52) ist seit Kurzem auch Vorsitzender der CSU.

AZ: Herr Söder, Sie haben für kommenden Montag zur Auftaktveranstaltung für das "Zukunftsforum Automobil" eingeladen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Markus Söder:
Wir brauchen einen Neustart für die Zukunftsidee des Automobils. Die Diskussion der vergangenen Jahre kann sich Deutschland auf Dauer nicht mehr leisten. Denn wir sägen uns den Ast ab, auf dem wir industriepolitisch sitzen - nämlich die Automobilindustrie und deren Zulieferbetriebe. Es wird übrigens auch im Ausland nicht verstanden, warum sich Deutschland so um die eigene Achse dreht und sich industriepolitisch derart schadet.

Aber die Autoindustrie hat ja auch schwere Fehler begangen - Innovationen wie das E-Auto verschlafen oder Kunden in der Dieselaffäre betrogen.
Diese Debatten kann man sachlich führen. Aber so ideologisch, wie wir es im Moment tun, untergraben wir das Vertrauen zwischen den Autoherstellern und ihren Kunden - und lähmen auch den Austausch zwischen Wirtschaft und Politik. Das Auto ist nicht der Feind! Derzeit geht es um Vorwürfe und Verschwörungstheorien. So wollen Ideologen partout Verbote erlassen, während manche Lobbyisten jede Diskussion verhindern wollen. Den Konflikt müssen wir endlich auflösen.

Und wie sieht es aus, dieses Auto der Zukunft? Und wichtiger noch: Wie fährt es?
Modern. Mit unterschiedlichen Antrieben und digitalvernetzt. Dafür brauchen wir deutsche Technologieführerschaft. Die Antriebe der Zukunft sollten emissions- und verbrauchsarm sein. Wir dürfen uns dabei nicht nur auf den Elektromotor beschränken. Wir müssen in viele Richtungen forschen, etwa die Entwicklung von synthetischen Kraftstoffen, die genauso relevant wie herkömmliche Kraftstoffe sein können.

"Die Strategie muss sein, auch den Umstieg vom Auto zu fördern"

Warum sollten die CDU oder sogar die SPD bei Ihren Plänen mitmachen?
Im Koalitionsausschuss aus CDU, CSU und SPD haben Annegret Kramp-Karrenbauer, Andrea Nahles und ich uns zum Ziel gesetzt, Vorstöße für die nationale Ebene zu entwickeln. Wir haben vereinbart, beim Koalitionsausschuss Mitte Februar den Auftakt zu machen. Es wird immer Punkte geben, wo es hakt, das ist klar. Aber es muss dort auch perspektivische und strategische Debatten geben. Es tut dem Ansehen der Großen Koalition gut, wenn sie zeigt, dass sie auch über den Tag hinaus denken kann.

Also macht Ihnen die Arbeit in Berlin auf einmal doch Spaß?
Auch wenn Journalisten das gerne mal anders sehen: Politik ist keine Frage von Spaß, sondern von Verantwortung. Es ist doch klar, dass ich als CSU-Parteivorsitzender in Berlin Präsenz zeige. Ich stimme mich dabei eng mit der CSU-Landesgruppe ab. Wir haben ein sehr konstruktives Miteinander. Es ist nicht möglich, Bundes- und Landespolitik komplett zu trennen. Das haben wir voriges Jahr im Landtagswahlkampf gemerkt.

Aber es ist leichter, weil Sie im Koalitionsausschuss nicht auf Angela Merkel treffen.
Sie verkürzen die Debatte auf Personen. Parteien sollten in Umfragen nicht ausschließlich auf ihren eigenen Parteiwert schauen. Sie sollten vor allem auf das Ansehen der Regierung achten. Wenn dieser Wert steigt, dann steigt automatisch auch der Parteiwert. Deshalb werden wir mit den neuen Parteivorsitzenden in der Koalition konstruktiver arbeiten.

Zurück zum Auto: Im Moment debattiert Deutschland so intensiv über Diesel, Fahrverbote, Grenzwerte, dass man fast von einem "Kulturkampf um Auto" sprechen kann.
Das Problem ist, dass die gegenwärtige Grenzwertdiskussion jede Menge Raum für Verschwörungstheorien lässt. Das muss man auflösen, und zwar mit Fakten. Entweder stimmen Grenzwerte oder sie stimmen nicht. Sind sie gesundheitsschädigend, dann muss man sie einhalten. Was die Frage Feinstaub angeht, muss man auch klären, in welchem Zeitraum die Werte zu erreichen sind. Zudem geht es um die Frage, wie verhältnismäßig Fahrverbote überhaupt sind. Denn oft entsteht durch die Fahrverbote ein Umgehungsverkehr, der die Situation nicht verbessert, sondern eher noch belastet. Außerdem müssen wir verhindern, dass Dieselfahrer Sorge haben, dass sie praktisch enteignet werden. Das birgt auch sozialen Sprengstoff.

Welche Alternativen gibt es zu Fahrverboten?
Die Strategie muss sein, auch den Umstieg vom Auto zu fördern. Aus meiner Sicht brauchen wir eine nationale Nahverkehrs-Offensive. Das muss eine Gemeinschaftsaufgabe werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen dafür mehr Geld in die Hand nehmen. Wir werden in Bayern im Frühjahr alle relevanten Partner aus Stadt und Land einladen, um eine langfristige Strategie zu erarbeiten. Wir brauchen mehr Linien, einen besseren Takt auf den Linien und günstigere Tarife. Wir brauchen einen einheitlichen Bayern-Takt und ein Bayern-Ticket.

"Wir brauchen in der Partei eine Frischluftzufuhr"

Wie ist eigentlich Ihr persönliches Verhältnis zum Auto?
Ich fahre gerne Zug, beispielsweise zwischen Nürnberg und München. Dienstlich bin ich aber auch viel im Auto unterwegs. Zuhause in Nürnberg habe ich ein ganz kleines Auto - und fahre viel mit dem Rad.

Kommen wir mal zur CSU, deren Vorsitzender Sie seit knapp zwei Wochen sind. Sie wollen die CSU moderner, weiblicher, progressiver machen. Wie genau?
Generalsekretär Markus Blume wird dazu eine Arbeitsgruppe mit Junger Union, Frauen Union und Senioren Union bilden. Zwei Dinge wollen wir erreichen: die gesellschaftliche Realität besser abzubilden und die Basis mehr einzubinden und zu motivieren. Die Partei soll nicht als monolithischer Block in Erscheinung treten, sondern als offene Plattform.

Sie sprachen auch schon von einer neuen CSU-Denkfabrik. Wer wird ihr angehören?
Auf jeden Fall Theo Waigel. Er hatte dazu die Idee. Zu seiner Zeit als Parteichef waren viele Denker bei der CSU - auch kritische Köpfe. Es geht hier nicht um Vereinnahmung, sondern um Bereicherung. Wir brauchen in der Partei eine Frischluftzufuhr. Wir dürfen nicht nur im eigenen Saft kochen.

Werden auch Kirchenvertreter dabei sein, von denen einige Ihren Kreuzerlass kritisch sahen?
Ja, Kirche, Philosophie, Kunst, Schriftsteller - sie alle sollen sich damit beschäftigen. Die Teilnehmer müssen unserer Partei nicht unbedingt nahe stehen. Aber wir wollen Themen diskutieren. Was meinen Sie? Momentan teilt sich die politische Meinungsbildung in eine vermeintliche Star-Wars-Kategorie. Es gibt die helle und dunkle Seite der Macht. Jedes Thema wird vor allem moralisch beurteilt. Sachliche Argumente spielen kaum eine Rolle mehr. Es ist schwer geworden, mit einem sachlichen Argument durchzudringen.

Weil Moral alles überlagert?
Genau. Es gibt zu rasch ein moralisches Label: gut oder schlecht.

"Offenbar will die Opposition, dass ich länger regiere"

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Übliche Moralvorstellungen spielen keine große Rolle mehr. Political Correctness ist für viele zu einer Art Ersatzreligion geworden. Und dann ist da die Schwarmintelligenz der digitalen Medienwelt. Sie führt zu einer moralischen Kategorisierung. Die Schwarmintelligenz entscheidet, was richtig beziehungsweise falsch ist.

Sie sind jetzt bald ein Jahr bayerischer Ministerpräsident. Im Wahlkampf haben Sie versprochen, eine Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre einzuführen. Was wird daraus?
Ich bin nach wie vor für eine Amtszeitbegrenzung. Aber bislang haben wir es im Landtag noch nicht geschafft, die Verfassung zu ändern. Wir werden das nun diskutieren. Offenbar will die Opposition, dass ich länger regiere.

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