Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
26. Februar 2023, 5:19 Uhr aktualisiert am 27. Februar 2023, 4:42 Uhr
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wertet das gestern in Kraft getretene zehnte EU-Sanktionspaket als wichtigen Schlag gegen den Angreifer Russland. "Es ist kraftvoll, gegen die Militärindustrie und den Finanzsektor des Terrorstaates und gegen die Propagandisten gerichtet, die die russische Gesellschaft in Lügen ertränkt haben und versuchen, ihre Lügen auf der ganzen Welt zu verbreiten", sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft. "Das wird ihnen definitiv nicht gelingen." Zugleich pochte er einmal mehr auf Strafmaßnahmen auch gegen Russlands Atomindustrie.
Der Vize-Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes gab unterdessen Details zur geplanten Gegenoffensive der eigenen Streitkräfte bekannt, die auch mithilfe westlicher Panzerlieferungen gelingen soll. Und der französische Präsident Emmanuel Macron will Anfang April zu Gesprächen über ein international geeintes Vorgehen gegen die russische Aggression nach China reisen.
Die EU belegte diesmal 87 weitere Personen und 34 Organisationen mit Strafmaßnahmen, die ihrer Ansicht nach auf die eine oder andere Weise zum russischen Krieg gegen die Ukraine beitragen. Darunter ist etwa die Alfa-Bank, die als Russlands größtes Finanzinstitut in Privatbesitz gilt. Auch wurden unter anderem stellvertretende Minister, russische Regierungsbeamte sowie Verantwortliche für die Deportation und Zwangsadoption ukrainischer Kinder und neue Mitglieder des russischen Föderationsrats auf die Sanktionsliste gesetzt.
Insgesamt hat die EU nach Angaben des Rats der Mitgliedstaaten mittlerweile 1473 Personen und 205 Organisationen mit der Begründung auf die Sanktionsliste gesetzt, dass sie die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.
Unter anderen Sanktionsregimen hat die EU nun zudem elf weitere Mitglieder und sieben Einrichtungen mit Strafmaßnahmen belegt, die mit der russischen Söldnertruppe Wagner in Verbindung stehen.
Der Vize-Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Wadym Skibizkyj, rechnet nach eigenen Angaben mit einer Gegenoffensive seiner Armee gegen die russischen Besatzer in diesem Frühling. "Ich denke, im Frühjahr sind wir bereit für eine Gegenoffensive", sagte Skibizkyj den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Der genaue Zeitpunkt hänge aber von mehreren Faktoren ab - etwa von der Lieferung westlicher Waffen, die für das angegriffene Land sehr wichtig sind.
Skibizkyj betonte, das Ziel der Ukraine sei die Befreiung ihres gesamten Staatsgebiets - inklusive der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim. "Wir hören erst dann auf, wenn wir unser Land in den Grenzen von 1991 zurückhaben. Das ist unsere Botschaft an Russland und an die internationale Gemeinschaft."
Der Geheimdienstler schloss auch Angriffe auf Waffenlager in russischen grenznahen Gebieten nicht aus: "Es ist möglich, dass wir auch Waffendepots oder Militärgerät auf russischem Territorium zerstören, etwa rund um die Stadt Belgorod. Von dort werden Angriffe auf die Ukraine gestartet. Das ist etwa eine Bedrohung für Charkiw."
In den Bemühungen um ein Ende des Ukraine-Kriegs will der französische Präsident Macron Anfang April nach China reisen. Das kündigte das Staatsoberhaupt gestern am Rande seines Besuchs der Internationalen Landwirtschaftsausstellung (Salon de l'Agriculture) in Paris an, wie auf einem Video des Nachrichtensenders BFMTV zu sehen war. Macron sagte, er wolle die chinesische Regierung dazu bewegen, dabei zu helfen, die russische Aggression zu stoppen und Frieden zu schaffen.
China hat den russischen Angriff auf die Ukraine bis heute nicht verurteilt - das sorgt bei den westlichen Verbündeten der Ukraine seit langem für Unmut, so wie nun auch beim Treffen der Finanzminister der G20-Staaten. Er bedauere zudem sehr, dass sich die chinesische Haltung verschoben habe, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner gestern nach dem Treffen mit seinen Kollegen der führenden Industrie- und Schwellenländer im indischen Bengaluru.
Zum ersten Jahrestag der russischen Invasion am Freitag hatte China ein Positionspapier vorgelegt und darin unter anderem einen Waffenstillstand und Verhandlungen gefordert. Westliche Politiker und Experten reagierten skeptisch bis enttäuscht, da das Zwölf-Punkte-Dokument keine neue Initiative erkennen ließ und auch nicht den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine vorsieht. Wegen des Streits über den russischen Angriffskrieg konnten sich nun auch die G20 nicht auf eine gemeinsame Abschlusserklärung einigen.
Neben vielen anderen Auswirkungen hat der Krieg auch drastische Folgen für den Energiesektor. Nun hat Russland nach Angaben des polnischen Ölkonzerns Orlen auch die Lieferungen durch die Druschba-Pipeline eingestellt. Man sei auf diesen Schritt vorbereitet gewesen, schrieb Konzernchef Daniel Obajtek auf Twitter. "Nur zehn Prozent des Rohöls kamen noch aus Russland, und wir werden es durch Öl aus anderen Lieferländern ersetzen. Dies ist das Ergebnis der Diversifizierung, die wir in den letzten Jahren vorgenommen haben."
Das Unternehmen teilte zudem mit, es könne seine Raffinerie vollständig auf dem Seeweg beliefern. Die Aussetzung der Lieferungen werde daher keine Auswirkungen auf die Versorgung polnischer Kunden mit Benzin, Diesel oder anderen den Produkten des Unternehmens haben.
Nicht nur in Deutschland wurde anlässlich des Jahrestags des Kriegsbeginns in der Ukraine ein zerstörter russischer Panzer als Zeichen des Protests aufgestellt. Auch in Estlands Hauptstadt Tallinn wurde ein Wrack vom Typ T-72 als Mahnmal auf dem Freiheitsplatz präsentiert. "Dieser Panzer ist ein Symbol der brutalen Invasion Russlands", teilte das estnische Verteidigungsministerium mit. Das Wrack war aus der Ukraine in das EU- und Nato-Land transportiert worden.