Analyse
Koalitionsausschuss: Union und SPD beraten nur Selbstverständlichkeiten
15. Mai 2019, 19:45 Uhr aktualisiert am 15. Mai 2019, 22:00 Uhr
Zeichen sind nicht alles, aber manchmal helfen sie bei der Deutung des Politikbetriebs in der Hauptstadt. Ein solches Zeichen setzte am Dienstag Angela Merkel (CDU). Die Kanzlerin trat morgens beim Petersberger Klimadialog, einem eigentlich schwierigen Terrain, völlig befreit auf. Merkels Schwung rührte wohl daher, dass sie mit dem Termin abends nicht mehr so viel zu tun haben würde, wie in der Vergangenheit, nämlich dem Koalitionsausschuss von Union und SPD. Der ist auch immer irgendwie Sache der Regierungschefin, vor allem aber eine der Parteivorsitzenden. Und da kann Merkel gerade zuschauen, wie Annegret Kramp-Karrenbauer für die CDU, Markus Söder für die CSU und Andrea Nahles für die SPD es ziemlich vergeigen und keineswegs den Eindruck hinterlassen, sie könnten es besser als Merkel.
Schon vor dem abendlichen Treffen im Kanzleramt hatten Spitzenpolitiker von Union und SPD vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Auch dieses Vorgehen ist ein Zeichen dafür, dass bei der Runde nichts Nennenswertes herauskommen wird. Und so war es dann auch.
"Die Koalition hat sich über die aktuelle Situation im Nahen und Mittleren Osten ausgetauscht und setzt sich gemeinsam entschieden dafür ein, dass der Iran-Konflikt trotz gravierender Differenzen unter den Konfliktparteien friedlich und diplomatisch gelöst wird", hieß es am späten Abend nach dem Treffen. Wobei sich der wachsame Bürger natürlich sofort fragt, ob Union und SPD jemals das Gegenteil einer "friedlichen und diplomatischen" Lösung erwogen haben. Denn die bedeutet ja bekanntlich Krieg.
Zweitens verständigte sich die Koalition "auf wesentliche Punkte der weiteren Arbeitsplanung". Genau das ist der Sinn eines solchen Treffens, der ausdrückliche Hinweis darauf war ein weiteres Zeichen. Nämlich eines darauf, dass krampfhaft nach Ergebnissen gesucht worden war, die man der Öffentlichkeit mitteilen konnte.
Von den heißen Eisen lassen sie die Finger
In diese Kategorie fällt auch die dritte Mitteilung der Koalition, man werde "zwei Gesetze auf den Weg" bringen, noch dazu "parallel". So soll das Gesetz zur Nachunternehmerhaftung für bessere Arbeitsbedingungen in der Paketbranche sorgen. Dessen hätte es aber keiner besonderen Erwähnung bedurft, denn der Schutz von Arbeitnehmern zählt zu den ureigenen Aufgaben der Legislative. Ebenso peinlich ist da der Verweis auf Gesetz Nummer zwei, das Bürokratie-Entlastungsgesetz (BEG III). Der Bürokratieentlastung reden die Parteien schon seit Jahren das Wort, das BEG III ist nur der Nachfolger des 2017 beschlossenen BEG II und noch nicht mal in trockenen Tüchern.
Dabei hätten Union und SPD bei ihren rund vierstündigen Beratungen durchaus wirkliche Zeichen setzen können. Zum Beispiel im Streit über die Ausgestaltung der Grundrente, die die SPD ohne Bedürftigkeitsprüfung auszahlen will, während die Union das ablehnt. Beim Koalitionsausschuss war die Grundrente aber kein Thema.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der auch bald mal geregelt werden müsste, beim Ausschuss aber ebenfalls keine Rolle spielte, ist die von der Union geforderte Abschaffung des Solidaritätsbeitrags für alle. Die SPD will den Soli nur für 90 Prozent der Bevölkerung streichen, Ausnahmen "für die oberen Zehntausend" lehne man ab, betonte Carsten Schneider, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, am Mittwoch ein weiteres Mal.
Den zentralsten Streitpunkt ließ der Koalitionsausschuss ebenfalls links liegen: die Grundsteuer. Hier sind die Fronten zwischen Union und SPD massiv verhärtet. CDU und CSU wollen Öffnungsklauseln für Länder und Kommunen, die Sozialdemokraten lehnen das ab. Der schon seit Monaten schwelende Streit verhöhnt nicht nur die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, er missachtet auch das Bundesverfassungsgericht. Karlsruhe ordnete bereits vor einem Jahr eine Reform der Grundsteuer an. Erst ließ die Politik das Thema schleifen, jetzt kommt sie nicht in die Gänge und schafft keine Einigung.
Union und SPD schieben Handlungsunfähigkeit auf Europawahl
Dabei drängt die Zeit, denn bis Ende des Jahres muss dem Gerichtsurteil zufolge eine Neuregelung her. Ohne Reform verfallen die derzeit geltenden Vorhaben. Dem Staat würden Milliarden Euro Steuereinnahmen entgehen.
Ihre Handlungsunfähigkeit bei diesem Koalitionsausschuss begründeten Union und SPD auch mit dem Hinweis auf die Europawahl am 26. Mai. Vorher wolle man keine Pflöcke einschlagen, um nicht womöglich auf den letzten Metern noch Wähler zu verschrecken. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Wer Koalitionsausschüsse wie den am Dienstagabend veranstaltet und anschließend Selbstverständlichkeiten als Erfolg verkauft, der nimmt die Bürger nicht ernst und mehrt die Politikverdrossenheit.