Nach Anschlag in Hanau

Imam Benjamin Idriz: "Wir fühlen uns alleingelassen"


Imam Benjamin Idriz in der Mosche Penzberg

Imam Benjamin Idriz in der Mosche Penzberg

Von Agnes Kohtz

Der Penzberger Imam Benjamin Idriz über die Ängste der Muslime in Deutschland, Diskriminierung, Islamhass - und notwendige Konsequenzen nach dem rechtsextremistischen Anschlag von Hanau.

Der Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg Benjamin Idriz ist zudem Vorsitzender des Münchner Forums für Islam.

AZ: Herr Idriz, hat Sie der rassistische Anschlag von Hanau überrascht?
BENJAMIN IDRIZ: In diesem Maße hat er mich sehr überrascht. Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung für unsere Demokratie, das Zusammenleben der Menschen in Deutschland, aber auch für das Ansehen des Landes international. Dass Menschen zu Opfern werden, weil sie anders aussehen oder eine andere Religion haben, ist entsetzlich und sehr zu bedauern.

Wo sehen Sie die Ursachen für diese Eskalation?
Die Ursachen sind vielschichtig. Alles beginnt mit der Sprache, der Rhetorik mancher Politiker, aber auch mancher Medien - und wir sehen jetzt, dass sich Worte in Terror-Taten verwandeln können. Hinzukommt, dass in unserem Land Menschen leben, die nicht in der Lage sind, andere zu respektieren. Es fehlt eine Kultur der Wertschätzung - und wir Demokraten haben die Gewaltaffinität der Rechtsradikalen und Rassisten in den letzten Jahren unterschätzt.

Wie lässt sich gegensteuern?
Wir müssen uns mit diesem Phänomen auseinandersetzen und es endlich beim Namen nennen: Wir haben ein Problem mit Rassismus und Islamhass. Muslime werden mit ihren Befürchtungen nicht ernst genommen, nicht zu Talkshows eingeladen und sind in der Politik nicht sichtbar. All das führt zu Diskriminierung, Ausgrenzung und macht Islamhass salonfähig.

Muslimische Gemeinden fordern mehr Schutz

Erst Anfang der Woche, nach dem Auffliegen der mutmaßlichen Terrorzelle "Der harte Kern", haben mehrere Muslimische Gemeinden mehr Schutz gefordert - etwa bei den Freitagsgebeten. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben in München über 50 Moschee-Gemeinden und in allen ist derzeit Thema, wie wir den Gläubigen das Gefühl geben können, dass unsere Räumlichkeiten sicher sind. Tausende Menschen sind hier am Freitag mit einem Gefühl der Angst und Unsicherheit zum Gebet gegangen. Bislang fehlte einfach ein klares Signal von der Polizei: dass sie unsere Räumlichkeiten schützt, dass sie anwesend ist - und sichtbar. Politik und Behörden müssen die Bedrohung endlich ernst nehmen und den Schutz aller religiösen Gebäude - Moscheen wie Synagogen - noch verstärken. Wir fühlen uns in dieser Hinsicht häufig alleingelassen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer will diesem Wunsch nun entsprechen und die Überwachung von Moscheen erhöhen. Das Blutbad von Hanau hätte aber auch das nicht verhindert. Was muss noch passieren? Wäre eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz hilfreich, wie sie nun gefordert wird?
Das muss zwar unbedingt geschehen, reicht alleine aber nicht aus. Wir müssen in Schulen, Sportvereinen und allen anderen öffentlichen Einrichtungen darüber diskutieren, wie wir gemeinsam Rassismus, Antisemitismus und Islamhass bekämpfen können. Darüber hinaus müssen alle demokratischen Parteien, die Zivilgesellschaft und die Religionsgemeinschaft noch lauter ihre Stimme dagegen erheben.

"Rassismus und Rechtsradikalismus nehmen zu"

Wie fühlt es sich für Sie an, wenn manche jetzt versuchen, den Mörder von Hanau als psychisch kranken Einzeltäter hinzustellen, der mit Rechtsextremismus angeblich nichts zu tun hat?
Das irritiert uns ungemein. Wenn ein Muslim so etwas tut, ist er automatisch ein islamistischer Terrorist. Aber wenn ein Deutscher Muslime tötet, ist er ein kranker Einzeltäter? Solche Äußerungen zeigen: Rassismus und Rechtsradikalismus nehmen zu. Sie werden salonfähig gemacht. In Rathäusern und Parlamenten sitzen Menschen mit dieser Gesinnung und das ist eine sehr, sehr gefährliche Entwicklung für die Zukunft dieses Landes. Denn nicht nur die muslimischen Bürger fühlen sich unsicher - auch die jüdischen und alle anderen.

Haben Sie und Ihre Gemeinde Bedrohungen oder Anfeindungen erlebt?
Ja, verbale Attacken in den Sozialen Netzwerken.

Fühlen Sie sich noch sicher in Deutschland?
Leider nicht - vor allem nicht, wenn wir solche Ereignisse erleben. Ich bin in großer Sorge um meine Familie. Die Angst prägt mich und verursacht bei meinen Kindern Albträume. Es ist einfach unfassbar, so etwas im Deutschland des 21. Jahrhunderts erleben zu müssen.

was haben Sie Ihrer Gemeinde beim Freitagsgebet mit auf den Weg gegeben?
Dass wir uns trotz allem auf die Gesellschaft verlassen sollten; dass wir jede Art von Hass und Extremismus gemeinsam bekämpfen und gegenseitiges Vertrauen aufbauen müssen.

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