Nahost
Hisbollah-Chef Nasrallah bei Angriff getötet
28. September 2024, 9:00 Uhr
Der Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, ist bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Nasrallah sei auf die "Seite seines Herrn" gewechselt und habe sich seinen "großen und unsterblichen Märtyrern angeschlossen", teilte die proiranische Schiitenmiliz auf Telegram mit. Zu einem möglichen Nachfolger äußerte sich die Hisbollah zunächst nicht.
Stunden zuvor hatte das israelische Militär den Tod des 64 Jahre alten Hisbollah-Anführers bekanntgegeben. "Hassan Nasrallah wird nicht länger in der Lage sein, die Welt zu terrorisieren", teilte das Militär mit. Auch der wichtige Hisbollah-Kommandeur für den Süden des Landes, Ali Karaki, und weitere Kommandeure der Miliz seien bei einem Angriff am Freitag in einem Beiruter Vorort getötet worden.
Nachdem die Hisbollah den Tod Nasrallahs bestätigt hatte, waren in der libanesischen Hauptstadt Beirut Schüsse in die Luft zu hören. Besonders in den vor der Hisbollah kontrollierten Vororten Beiruts fielen Augenzeugen zufolge zahlreiche Schüsse. Anhänger der Schiitenmiliz fuhren in Autos und auf Rollern mit Hisbollah-Flaggen durch die Stadt.
Der Tod Nasrallahs, der die Organisation seit 30 Jahren anführte, war der schwerste Schlag Israels gegen die Hisbollah und einen ihrer größten Feinde seit Jahrzehnten. Welche Folgen das für den Konflikt mit Israel, für die Nahost-Region sowie den Libanon selbst haben dürfte, ist zurzeit kaum absehbar.
Israels Militär griff nach eigener Darstellung das Hauptquartier der Hisbollah an, das sich demnach unter Wohngebäuden befunden haben soll. Nach dem Angriff im Vorort Haret Hreik nahe dem Flughafen waren dichte Rauchwolken zu sehen und anschließend große Trümmerberge. Staatlichen Medien zufolge wurden mehrere Gebäude komplett zerstört. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden mindestens sechs Menschen getötet und 91 verletzt.
Die Einschätzung, dass Nasrallah tot sei, basiere auf einer Kombination verschiedener Geheimdienstinformationen, teilte das Militär mit. Die Armee habe auch Informationen gehabt, dass Nasrallah und weitere Hisbollah-Kommandeure in dem Hauptquartier zusammengekommen seien.
Die "New York Times" berichtete unter Berufung auf drei israelische Quellen aus dem Bereich Verteidigung, dass der Aufenthaltsort Nasrallahs seit Monaten bekanntgewesen sei.
Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte, Nasrallahs Tod mache die Welt sicherer. Zugleich warnte er: "Es ist noch nicht vorbei, die Hisbollah hat noch mehr Möglichkeiten."
"Die Botschaft an alle, die die Bürger des Staates Israel bedrohen, ist einfach: Wir werden wissen, wie wir sie erreichen können. Im Norden, im Süden und an weiter entfernten Orten", sagte Generalstabschef Herzi Halevi. Der Angriff am Freitag, dem die Armee den Namen "Neue Ordnung" gab, sei lange vorbereitet worden. "Er kam zum richtigen Zeitpunkt und auf sehr scharfe Weise", sagte Halevi weiter. Das Militär sei nun in höchster Alarmbereitschaft.
"Der geschwächte und angeschlagene Zustand der Hisbollah bietet ein kurzes Zeitfenster, um ihre strategischen Fähigkeiten weiter zu schwächen", sagte Orna Mizrachi vom israelischen Institut für Nationale Sicherheit (INSS). Denn schon bald werde es wegen der zivilen Opfer im Libanon Druck auf Israel geben, die Einsätze einzustellen. Israel müsse gemeinsam mit den USA eine Ausstiegsstrategie entwickeln, um den Konflikt im Norden zu beenden, so die Forscherin der israelischen Denkfabrik.
Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der Schiitenmiliz. Er war einer der schwierigsten Gegenspieler Israels. Er stimmte sich eng mit dem Iran und dessen Revolutionsgarden (IRGC) ab, dem wichtigsten Unterstützer der Hisbollah. Er hat die Miliz in eine deutlich mächtigere und gefährlichere Organisation verwandelt als sie in der Zeit seines Vorgängers war.
Nasrallah, 64 Jahre alt und Vater von vier Kindern, erhielt seine religiöse Ausbildung in den zwei wichtigsten Zentren der schiitischen Muslime: in der irakischen Pilgerstadt Nadschaf und im iranischen Qom. 1982 schloss er sich der neu gegründeten "Partei Gottes" im Libanon an.
Nach dem Tod von Anführer Abbas al-Mussawi, den Israel 1992 getötet hatte, wurde er zum Nachfolger gewählt. Als großen Triumph der Hisbollah empfand er den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 und den ihrer Beschreibung nach "göttlichen Sieg" nach Ende des Kriegs 2006.
Mit dem Tod Nasrallahs könnte der Konflikt mit Israel, der fast ein Jahr lang gewissen Regeln zu folgen schien, noch weiter außer Kontrolle geraten.
Allerdings ist nicht klar, ob der Iran als wichtigster Unterstützer der Miliz im Fall eines Kriegs zu Hilfe eilt. Die neue iranische Regierung unter Präsident Massud Peseschkian kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise und strebt eine Wiederannäherung an den Westen an. Obwohl Irans militärische Führung nach der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Hanija Ende Juli Vergeltung angekündigt hatte, blieb diese bis heute aus.
Die Hisbollah wurde durch massive Angriffe Israels in den vergangenen Wochen schwer getroffen. Ihre Führung, Kommunikationsmittel, Raketen- und Waffenarsenale, Infrastruktur und wohl auch ihre Kampfmoral wurden deutlich geschwächt.
Mehrere Szenarien wären jetzt möglich: Die Hisbollah könnte den Kampf vorerst aufgeben, den Beschuss Israels beenden, einer Waffenruhe zustimmen und sich - wie es eine UN-Resolution vorsieht - rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Israel hätte ein Kriegsziel erreicht, wenn mehr als 60.000 Menschen in ihrer Häuser und Wohnungen im Norden des Landes zurückkehren können.
Oder die Hisbollah weitet ihre Angriffe gegen Israel aus, greift mit modernsten Raketen israelische Städte und militärische Ziele an und verursacht viele Todesopfer und Sachschäden. Damit könnten eine weitere Eskalation, eine israelische Bodenoffensive und möglicherweise ein regionaler Flächenbrand drohen. Oder die Hisbollah setzt den Beschuss Israels auf niederschwelligem Niveau fort.
Fraglich ist auch, inwieweit der Iran der Hisbollah zur Seite steht und wie sich andere nichtstaatliche Verbündete des Irans, wie die Huthi-Miliz im Jemen und Milizen im Irak, verhalten.
Auch im Libanon ist unklar, in welcher Form die militärisch, politisch und sozial sehr mächtige Organisation fortbestehen wird.
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