Ost-Landtagswahlen

Das Bündnis Sahra Wagenknecht wird zum Königsmacher

Das BSW hat bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen eine kritische Position erreicht. Ohne die Wagenknecht-Mannschaft kann keine stabile Regierung gebildet werden, wenn die AfD außen vor bleiben soll.


Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), wird in Thüringen und Sachsen zum Zünglein an der Waage, Dabei ist die neue Partei organisatorisch gar nicht darauf vorbereitet.

Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), wird in Thüringen und Sachsen zum Zünglein an der Waage, Dabei ist die neue Partei organisatorisch gar nicht darauf vorbereitet.

Die Chefin muss warten. Drei, vier Minuten steht Sahra Wagenknecht allein vor einem Saal im Haus der Bundespressekonferenz, um ihre Wahlsieger aus Sachsen und Thüringen in Empfang zu nehmen. Umringt ist sie an diesem Montagvormittag von Fotografen und Kameramännern, die jede Regung auf ihrem Gesicht, das Mienenspiel festhalten. Wagenknecht hat ein zartes Lächeln angeknipst, es ist ihr Schutzschild. Am Abend zuvor hat das nach ihr benannte Bündnis das politische System der Bundesrepublik verändert. Eigentlich ist es die Strahlkraft dieser nach außen diszipliniert-distanzierenden Politikerin gewesen, die diese Zäsur herbeigeführt hat.

Keine andere Partei in Deutschland ist derart auf ihre Führungsfigur zugeschnitten wie das BSW. Wagenknecht hat in ihrer seit über drei Jahrzehnten währenden politischen Karriere die Politik vom Rand bespielt, von außen System und Zustände analysiert und kritisiert. Die wortmächtige Opposition war ihr Geschäft. Das hat sich am Sonntag geändert. Wagenknecht hat über Nacht die Hand an der Macht.

"Wir sind zu einem Machtfaktor in Deutschland geworden", sagt sie am Montagvormittag dann selbstbewusst bei der Pressekonferenz mit den beiden Spitzenkandidatinnen aus Thüringen und Sachsen. Nur um im nächsten Moment nachzuschieben: "Die Menschen setzen große Hoffnungen in uns, sie setzen auch große Erwartungen in uns".

Last der Verantwortung und die kann drückend sein

Die Wahlergebnisse in den zwei Bundesländern im Osten sind so kompliziert, dass ohne das BSW nichts (kaum etwas?) geht - wenn die AfD von der Macht ferngehalten und Minderheitsregierungen vermieden werden sollen. Wagenknecht steht in der Pflicht, damit Sachsen und Thüringen nicht unregierbar werden. Für die 55-Jährige ist das eine neue Situation und nicht ohne Risiko. Normalerweise bevorzugen neue Partien den bequemen Platz in der Opposition, um sich zu etablieren. Von dort lassen sich Forderungen nach der eigenen reinen Lehre formulieren und die Regierenden lautstark attackieren. Um die schnöde Frage nach Geld, Personal und Umsetzbarkeit muss sich die Regierung kümmern. In dieser Zeit werden die Parteistrukturen aufgebaut, Personal geschult und die eigene politische Marke geprägt.

Diese Zeit hat Wagenknecht nicht. Neun Monate nach der Gründung wartet die Last der Verantwortung und die kann drückend sein. Sie lastet vor allem auf den Schultern der beiden Spitzenkandidatinnen Katja Wolf (Thüringen) und Sabine Zimmermann (Sachsen). Sie werden sich darum kümmern müssen, wie freie Lehrerstellen besetzt werden, damit nicht so viel Unterricht ausfällt. Wie die Polizei mehr Bewerber findet, damit die Straßen sicherer werden. Wie Krankenhäuser am Leben gehalten werden könne, die zu wenig Geld und zu wenig Personal haben.

Wolf und Zimmermann sind Profis, die wie Wagenknecht seit Jahrzehnten in der Politik sind. Gleichwohl haben sie noch nie ein Ministerium geführt. Schon in einigen Wochen könnte es sein, dass sie in Erfurt und Dresden genau das tun müssen, um sich um das zu kümmern, was die "wirklichen Probleme der Menschen" genannt wird. Dieses kleine Einmaleins der Politik ist schwierig, denn Geld und Personal kann keiner backen. Das kleine Einmaleins der Politik war aber nie die Sache von Sahra Wagenknecht. Ihr ging es um die großen Fragen, die hohe Luft. In der Vergangenheit war das zum Beispiel die Überwindung des Kapitalismus, heute ist es die Frage nach Krieg und Frieden. "Fast die Hälfte der Menschen hat Angst, in einen großen Krieg hineingezogen zu werden", mahnt Wagenknecht. Ihre Forderung: Ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, diplomatische Anstrengungen für Friedensverhandlungen, keine US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.

CDU steckt in einem Dilemma

Im Osten der Bundesrepublik sind diese Positionen populärer als im Westen. Und BSW-Chefin Wagenknecht besteht darauf, dass sich die Landesregierungen dafür einsetzen, obwohl es sich um Aufgaben der Bundespolitik handelt. "Wir erwarten von einem Ministerpräsidenten, dass er das öffentlich zum Ausdruck bringt."

Davon angesprochen fühlen dürfen sich die zwei Herren Michael Kretschmer und Mario Voigt, ihres Zeichens CDU-Vorsitzende in Sachsen und Thüringen. Kretschmer ist sächsischer Ministerpräsident und will das bleiben, Voigt strebt nach der Macht in Thüringen. Für ihre Partei, die CDU, ist das Beharren Wagenknechts eine giftige Pille. Anti-Amerikanismus und Putin-Versteherei gehen gegen die christsoziale DNA - eigentlich. Denn Kretschmer wirbt seit Langem dafür, weniger Waffen an die Ukraine zu liefern und auf mittlere Sicht wieder Gas in Russland zu kaufen. Voigt hat im Wahlkampf zumindest erklärt, dass er sich größere diplomatische Offensiven wünsche.

Zur giftigen Pille kommt eine zweite hinzu. In Thüringen kann eine stabile Regierung ohne die AfD nur mit dem BSW und der Linken gebildet werden. Der Koalition aus CDU, BSW und SPD fehlt eine Stimme im Landtag zur absoluten Mehrheit. Dagegen steht aber der Unvereinbarkeitsbeschluss der Union für Zusammenarbeit und Koalieren mit der Linken.

Wagenknecht sitzt halb am Tisch der Macht

Und Wagenknecht? Will bei den Gesprächen in Erfurt und Dresden die großen Linien festzurren, sonst aber nicht mit am Tisch sitzen. Die Details sollen die Landesverbände besprechen. Wagenknecht sitzt damit so halb am Tisch der Macht. So nah war sie ihr noch nie. Das Leben der Menschen müsse sich rasch verbessern, sagt sie. In der Praxis abliefern musste die scharfe Analytikerin aber noch nie. Ihre Sache ist der Diskurs über die großen Linien, Krieg und Frieden. Wenn es aber bei Lehrern, Polizisten und Krankenhäusern nicht reicht, wird das kleine Einmaleins zu ihrem Problem.