Umweltschützer in der Isolation
So lebt Risikopatient Benni in der Corona-Zeit
22. April 2020, 6:23 Uhr aktualisiert am 22. April 2020, 6:23 Uhr
Benni Overs Familie hat sich frühzeitig selbst mit Schutzhandschuhen und Masken eingedeckt und stemmt jetzt die Pflege in der Isolation allein - ein Gespräch über den veränderten Alltag.
Rheinland-Pfalz - Seit acht Wochen verbarrikadieren sich die Overs zu Hause. Sie gehen nicht mehr raus, lassen keinen rein, haben Atemmasken und Schutzhandschuhe auf Vorrat besorgt. Sohn Benni ist unheilbar krank. Die Diagnose: Muskeldystrophie Duchenne. Er sitzt im Rollstuhl, ein Schlauch ragt aus seinem Hals, er braucht eine Beatmungsmaschine.
Noch keine 30 Jahre ist der junge Tier- und Umweltschützer - er setzt sich für den Schutz des Regenwaldes und der Orang-Utans in Indonesien ein - aus Rheinland-Pfalz alt, und dennoch Risikopatient. Bei ihm geht es nicht darum, dass er vielleicht ein paar Wochen auf Biergarten, Partys und Konzerte verzichten muss. Es geht um sein Leben. Sein Überleben.
Durch die Familie: Ambulante Therapie, Beatmungs- und Intensivpflege
Schon Mitte Februar wird seinen Eltern Klaus und Conny klar, dass eine große Bedrohung auf die Familie, auf Deutschland, auf die Welt zurollt. "Meine Frau hat schon sehr früh gesagt: Das ist keine Grippe. Das könnte explodieren", erinnert sich Klaus Over im Gespräch mit der AZ. Deswegen legen sie Vorräte vor allem mit den lebensnotwendigen Schutzhandschuhen an. "Für Benni wäre eine Corona-Erkrankung wahrscheinlich tödlich", sagt der Vater.
Deswegen vermeidet die Familie jetzt jeglichen Kontakt. Sie sind zum großen Teil Selbstversorger und bauen viel im eigenen Garten an. Die restlichen Einkäufe lassen sie sich von Nachbarn und Ehrenamtlichen vor die Haustür stellen. Zwei Tage bleiben diese außerhalb stehen - "niemand weiß ja, wie lange sich das Coronavirus auf Oberflächen halten kann", erklärt Over die Maßnahme. Gleiches passiert mit der Post. Draußen ablegen, zwei Tage warten, reinholen.
Auch die ambulanten Therapeuten, Beatmungs- und Intensivpflegekräfte können nicht mehr kommen. Bennis Eltern müssen nun auch diese Aufgaben übernehmen. An die Intensivpflege - etwa Schleim absaugen - habe man sich vorher schon gewöhnt gehabt. Jetzt übernimmt die Mutter zusätzlich die Atemtherapie und lässt sich via Videotelefonie von einer Logopädin anleiten. Vater Klaus Over probiert sich als Physiotherapeut, ebenfalls mit Online-Hilfe. All das hält die Familie in einem Video fest, zeigt der Welt ihren neuen Alltag. Der anstrengender und langsamer geworden ist, erzählen sie in den Videoaufnahmen.
Umweltschutz in der Isolation
Vor allem schwebt eine zentrale Frage über ihnen: Wie lange wird das so gehen? "Darüber möchte ich gar nicht so genau nachdenken", sagt Klaus Over zur AZ. Für die Eltern ist klar: Solange es keinen Impfstoff gibt, müssen sie Benni vor einer Infektion durch Isolation schützen. Für sie ist es nicht das erste Mal Furcht, Unsicherheit, Verlustangst. Rückblick 2016: Infektion, Herzstillstand. Koma. Für 37 unendliche Tage. Als Benni wieder aufwacht, sagt er als erstes: "Ich will wieder nach Indonesien!"
Dort unterstützt er die Wiederaufforstung von Wäldern, die wegen der Palmöl-Produktion gerodet wurden. Dadurch verlieren seine Lieblingstiere, die Orang-Utans, ihre Heimat. Benni sammelt trotz Handicap unermüdlich Spenden, um neue Bäume zu pflanzen. Langweilig wird es dem Risikopatienten und seiner Familie bisher nicht. Sie sind immer aktiv, brüten über neuen Ideen, probieren aus. Benni arbeitet etwa an dem zweiten Teil seines Kinderbuchs "Henry rettet den Regenwald" - fertig wird das Projekt wegen der Corona-Krise wohl aber erst im Dezember. Denn auch die ambulante Vorzeichnerin kann nicht mehr vorbeikommen. Wieder improvisieren sie: Sie ist per Videoanruf zugeschaltet, der Vater mischt die Farben, reicht den Pinsel, steckt ihn so zwischen Bennis Finger, dass er damit kolorieren kann.
"Wir beklagen uns nicht. Wir haben ja uns, die Familie"
Ein Kraftakt für alle. Aber auch einer, der der Familie Mut spendet. "Uns ist noch immer etwas eingefallen", sagt Klaus Over. Nicht stehenbleiben, kreativ werden - so lässt sich das Familiencredo zusammenfassen. "Wir beklagen uns nicht. Wir haben ja uns, die Familie." Darüber hinaus sind die Overs sehr zufrieden mit der Politik und der Regierung in Deutschland - "wir sind glücklich, dass wir in Deutschland leben. Die Landesregierungen tun alles, was möglich ist."
Was Benni angesichts des Ausnahmezustands schon schmerzt: Seine Termine rund um die Rettung von Orang-Utans ruhen vorerst. 40 Besuche in Schulen für das ganze Jahr wurden vorsorglich abgesagt.
Online-Projekte für Risikopatienten
Aber sie wären eben nicht die Overs, wenn sie nicht schon neue Ideen hätten: Sie planen gerade Online-Projekte, um andere Risikopatienten zu erreichen. "Momentan sind wir dabei, ein geeignetes Format für Online-Veranstaltungen via Skype für Altenheime anzubieten", schreibt Benni der AZ in einer E-Mail. Das Sprechen fällt ihm schwer. "Mit meinen Projekten möchte ich gerne meinen Beitrag leisten auf dem Weg in eine ‚neue Normalität', in der die Menschen achtsam miteinander umgehen werden, in der sich Profitziele und Gier dem achtsamen Umgang mit Natur und Umwelt unterordnen werden. Denn wir haben doch nur diese eine Erde", schreibt er weiter.
Sein Wunsch für die Zeit während und nach Corona: "Ich wünsche mir aber auch, dass die Risikogruppen bei allen Maßnahmen nicht vergessen werden; sie mit Schutzmaterial versorgt werden und auch, dass diese Gruppe in irgendeiner Art und Weise am Leben teilhaben kann; vor allem, wenn das öffentliche Leben draußen wieder pulsiert."
Am Ende seines Quarantäne-Videos blickt Benni siegessicher in die Kamera und lässt seine Zuschauer wissen: "Corona schaffe ich auch!"
Das Video aus der Quarantäne der Overs gibt es hier zu sehen.
Einrichtungen wie Seniorenheime und auch Schulen, die an Online-Projekten Interesse haben, können sich bei der Familie unter der Telefonnummer 01608893914 melden.
Weitere Informationen zu seiner Umweltschutzarbeit gibt es hier.
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