Leitartikel zum Thema Registrierungszentren
Koalitionsbeschluss geht am eigentlichen Problem vorbei
6. November 2015, 21:15 Uhr aktualisiert am 6. November 2015, 21:15 Uhr
Es kreißte der Berg - und gebar eine Maus: So lassen sich die Diskussionen der vergangenen Wochen um Transitzonen und Registrierungszentren mit einem Zitat aus der antiken Fabelwelt zusammenfassen.
Besonders die CSU hat reichlich viel Getöse veranstaltet. Im Vergleich dazu nehmen sich die Ergebnisse ausgesprochen mager aus. Das Asylpaket, das die Chefs von CDU, CSU und SPD am Donnerstagabend geschnürt haben, enthält vernünftige Maßnahmen. Diese kommen aber erstens viel zu spät, betreffen zweitens nur eine kleine Gruppe von Asylbewerbern - und ändern drittens überhaupt nichts am Flüchtlingszustrom.
Beschlüsse nicht "boshaft", sondern angemessen und harmlos
Die Unkenrufe aus dem links-grünen Oppositionslager sind dennoch unangebracht. Wenn Linken-Chef Bernd Riexinger das Maßnahmenpaket als "fatales Signal in die völlig falsche Richtung" schmäht, bewahrheitet sich damit vor allem, dass oft genau das Gegenteil von dem, was die Linkspartei sagt, richtig ist. Tatsächlich handelt es sich nämlich um ein reichlich schaumgebremstes Signal in die völlig richtige Richtung. Und "boshaft", wie sie Grünen-Chefin Simone Peter nennt, sind die Beschlüsse auch nicht, sondern angemessen und eher harmlos.
Aber der Reihe nach: Was wurde da eigentlich beschlossen? Zunächst einmal, dass Asylbewerber mit geringen Erfolgsaussichten - also solche aus sicheren Herkunftsländern, mit Folgeanträgen, Wiedereinreisesperren oder ohne Mitwirkungsbereitschaft - in spezielle Aufnahmeeinrichtungen kommen, wo ihre Verfahren innerhalb von drei Wochen abgeschlossen sein sollen.
Diese Aufnahmeeinrichtungen soll es an drei bis fünf Standorten in ganz Deutschland geben. Zwei davon existieren jetzt schon, nämlich in Manching bei Ingolstadt und in Bamberg. De facto wird das bayerische Konzept der Spezialeinrichtungen für Asylbewerber vom Westbalkan jetzt also bundesweit übernommen.
Hilfreich ist auch die Regelung, dass Asylbewerber sich in diesen Zentren registrieren müssen, um überhaupt an Leistungen zu kommen, und dass sie den jeweiligen Landkreis oder die kreisfreie Stadt während ihres Verfahrens nicht verlassen dürfen. Wer einmal dagegen verstößt, dem werden Leistungen gekürzt - beim zweiten Mal droht die Abschiebung. Das ist ein gangbarer Weg, um den Überblick zu behalten, ohne die Menschen gleich in Haft nehmen zu müssen.
Ebenfalls begrüßenswert ist, dass die Bundesregierung einen einheitlichen Flüchtlingsausweis einführt, an den Leistungen und Verfahren geknüpft sind. Viel zu viele Migranten sind mittlerweile ohne jede Registrierung im Land - Experten sprechen von Hunderttausenden. Das ist ein echtes Sicherheitsrisiko und kann so nicht weitergehen.
Der umstrittenste Punkt
Der schärfste - und umstrittenste - Punkt des neuen Asylpakets ist, dass Menschen, die in Deutschland weder Flüchtlingsstatus noch Asyl genießen, sondern nur subsidiären Schutz, ihre Familien zwei Jahre lang nicht nachholen dürfen. Das ist hart, hat aber wenig mehr als symbolischen Charakter. Denn wenn Familienangehörige es - auf welchen Wegen auch immer - ebenfalls nach Deutschland schaffen, werden auch sie in der Regel subsidiären Schutz zugesprochen bekommen.
Gut ist, dass an der Landesgrenze keine Transitzonen nach Vorbild der Flughäfen kommen. Denn die klingen nur in der Theorie gut. Praktisch wären sie innerhalb weniger Tage zu völlig überfüllten Masseninternierungslagern verkommen - und hätten überdies dazu geführt, dass Menschen in Scharen den Weg über die grüne Grenze nehmen. Das hätte zu noch mehr Chaos in den Grenzregionen geführt.
Maßnahmenpaket kommt reichlich spät - wieder einmal
In Summe hat die Koalition ein vernünftiges Maßnahmenpaket geschnürt. Es kommt aber wieder einmal reichlich spät. Denn schon seit 2013 steigt die Zahl der Asylanträge in Deutschland deutlich an. Warum man in Berlin nicht schon viel früher gehandelt hat, ist nach wie vor ein Rätsel. Außerdem gibt es nur wenig Fortschritt gegenüber dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, das bereits seit 24. Oktober gilt. Schon dieses Gesetz besagt, dass Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern bis zum Ende ihres Verfahrens in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen.
Vor allem aber gehen all diese Maßnahmen am eigentlichen Problem vorbei. Von allen Asylanträgen, die im Oktober dieses Jahres gestellt wurden, stammen gerade einmal 2,4 Prozent von Bürgern der Westbalkanländer. Der bei Weitem überwiegende Teil aller Asylbewerber kommt mittlerweile aus Ländern, in denen tatsächlich politische Verfolgung oder Krieg herrschen, allen voran aus Syrien. So ehrlich sollten unsere Politiker schon sein: Wenn diese Menschen in Deutschland Asyl beantragen, werden sie auch hierbleiben dürfen - ob als anerkannter Flüchtling oder mit subsidiärem Schutz.
Hauptproblem nicht erkannt
Das Hauptproblem ist ein ganz anderes: Für die meisten Asylbewerber dauern die Verfahren immer noch viel zu lange. Unter einem halben Jahr geht da in der Regel gar nichts. Während dieser ganzen Zeit müssen die Bewerber auf Staatskosten untergebracht und verpflegt werden; arbeiten und selbst Geld verdienen dürfen sie meistens nicht. Das ist der wahre Grund für die Überforderung der Kommunen. Dazu kommen Absurditäten wie der Transport von Asyl-Akten per Post: "Obwohl alle Dokumente elektronisch verfügbar sind und per Knopfdruck zu versenden wären, wird ausgedruckt und eingetütet", schildert der nordrhein-westfälische Justizminister. Allein damit gehen im Durchschnitt drei Wochen Verfahrenszeit verloren.
Um schneller zu werden, braucht es aber auch dringend mehr Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und bei den Verwaltungsgerichten; um die Situation an den Grenzen in geordnete Bahnen zu lenken und abgelehnte Bewerber schnell abzuschieben, müssen mehr Bundespolizisten her. All das ist seit vielen Monaten bekannt, aber die Politik tut nichts.
Gerede von "Obergrenze" ist Unfug
Und selbst wenn all das viel effizienter geregelt wird, sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Wer tatsächlich Grund zur Flucht hat, wird auch weiterhin versuchen, nach Westeuropa zu kommen. Alles Gerede von einer "Obergrenze" für Flüchtlinge ist Unfug. Flüchtlinge haben einen völkerrechtlichen Anspruch auf Schutz.
Die Frage ist nur, ob sie alle nach Deutschland kommen müssen. Und diese Frage wird nur auf europäischer Ebene zu lösen sein. Wenn die Grenzen innerhalb Europas offen bleiben sollen, dann führt kein Weg an einer gemeinsamen Asylpolitik vorbei. Und das erschöpft sich nicht in Verteilquoten - letztlich brauchen wir ein einheitliches Asylrecht, gemeinsame Unterbringungs- und Versorgungsstandards, gleiche Rechte und Pflichten für Asylbewerber in der gesamten EU.
Das Dublin-Abkommen ist de facto seit vielen Monaten außer Kraft. Die wahre Aufgabe, die vor der Bundesregierung liegt, ist die, eine neue europäische Regelung zu erreichen. Das ist ein ganz anderes Kaliber als der lauwarme Kompromiss vom Donnerstagabend.