Leitartikel

Der Angst die kalte Schulter zeigen


Bei vielen Bürgern ist die Unbeschwertheit den Sorgen gewichen. Was in einer Zeit, in der der islamistische Terror in unmittelbarer Nähe zuschlägt, verständlich ist. So erschreckend diese Erkenntnis auch sein mag, sie darf das öffentliche Leben nicht lähmen. Denn dann hätten uns die Terroristen gezielt des Teuersten beraubt, was wir haben: der Freiheit.

Bei vielen Bürgern ist die Unbeschwertheit den Sorgen gewichen. Was in einer Zeit, in der der islamistische Terror in unmittelbarer Nähe zuschlägt, verständlich ist. So erschreckend diese Erkenntnis auch sein mag, sie darf das öffentliche Leben nicht lähmen. Denn dann hätten uns die Terroristen gezielt des Teuersten beraubt, was wir haben: der Freiheit.

Von Jens Knüttel

Kanzlerin Angela Merkel kann die Lunte nicht austreten. CSU-Chef Horst Seehofer ebenso wenig. Keine sicherheitspolitische Maßnahme ist dazu geeignet, solch schlimme Bluttaten wie bei Würzburg, in München oder Ansbach vollkommen auszuschließen.

Weder Merkel mit ihrer Besonnenheit noch Seehofer mit seinem energischen Auftreten können derzeit verhindern, dass der zerstörerische Funke von Amoklauf und Anschlägen massive Angst bei den Bürgern entfacht. Berechtigte Angst, die Gewaltserie könnte sich fortsetzen.

Der eigenen Verwundbarkeit bewusst werden

Politiker und Sicherheitskonzepte stoßen in Zeiten, in denen der entgrenzte islamistische Terror Deutschland erreicht und vor allem Bayern heimsucht, an Grenzen. Das klingt ernüchternd. Muss es allerdings nicht sein, wenn sich die Deutschen der eigenen Verwundbarkeit bewusst werden und den Terroristen auf diese Weise die kalte Schulter zeigen können. Nur so lässt sich - flankiert durch einen wachsamen und wenn nötig zupackenden Staat - weiter in Freiheit leben. Auf diese Einsicht sollten auch Merkel und Seehofer hoffen.

Man ist in diesen Tagen schnell dazu geneigt, der distanziert wirkenden Bundeskanzlerin Sprachlosigkeit und zu wenig Einfühlungsvermögen vorzuwerfen. Viel mehr als eine Wiederholung ihres Mantras "Wir schaffen das" ließ sie sich vor der Bundespressekonferenz in Berlin tatsächlich nicht entlocken. Und Seehofer? Dem kraftstrotzenden Bayerischen Ministerpräsidenten haftet der Vorwurf des Aktionismus fast untrennbar am Revers, weil er lange diskutierte Anti-Terror-Maßnahmen wieder aufbrüht.

Mit jedem Attentat leidet die Akzeptanz der Asylpolitik



Sowohl Merkel als auch Seehofer folgen ihrem eingeschliffenen Politikverständnis - etwas anderes war von beiden auch in diesen Krisenzeiten nicht zu erwarten. Hier die nüchterne und kühle Bundeskanzlerin, die Deutschland selbst unter dem Eindruck des islamistischen Terrors so zu regieren scheint, als sei nicht viel mehr als eine kräftigere Brise aufgezogen. Und dort Bayerns zupackender Ministerpräsident, der dagegen orkanartige Böen über dem Land ausmacht - heraufbeschworen auch durch eine ebenso unheilvolle wie ungezügelte Flüchtlingspolitik von Merkel in der zweiten Jahreshälfte 2015.

Nach der jüngsten Gewaltwelle wird jedenfalls immer deutlicher: Mit jedem Übergriff, mit jedem Attentat eines vermeintlich Schutzsuchenden leidet die Akzeptanz der Asylpolitik in der Bevölkerung. Deshalb muss die Bundesregierung reagieren: Beschleunigte Asylverfahren sind auch den Betroffenen ein Anliegen. An konsequenteren Rückführungen für abgelehnte Asylbewerber führt ebenfalls kein Weg vorbei. Zudem gibt es nach wie vor zu viele unregistrierte Flüchtlinge in Deutschland. Gleichwohl bleibt festzuhalten: Die Verfahren können noch so gut sein, sie werden die Terrorgefahr nicht bannen.

CSU fühlt sich zu Gesetzesverschärfungen bemüßigt

Weil es mit der Axt-Attacke bei Würzburg, dem Amoklauf von München und dem Bombenanschlag in Ansbach gleich dreimal den Freistaat traf, fühlt sich vor allem die CSU, die sich seit Jahrzehnten mit viel Verve der Wahrung von Sicherheit und Ordnung verschrieben hat, zu schnellen Gesetzesverschärfungen bemüßigt. Argumente dafür liefern Parteichef Seehofer und Co. auch die Täter von Franken - beides zuvor unauffällige Flüchtlinge. Der Axt-Angreifer ist im Juni 2015, vermutlich aus Afghanistan, nach Deutschland gekommen; der Bomber, aus Syrien stammend, stellte 2014 einen Asylantrag. Polizei und Justiz konnten die Einzeltäter, gesteuert durch Hintermänner im Nahen Osten, vorher nicht ausschalten. Eine Axt und ein Sprengsatz reichten aus, um Schrecken zu verbreiten und Tausende Schutzsuchende zu diskreditieren. Die Miliz Islamischer Staat (IS) gibt es vor: Es herrscht Terror, für jeden machbar.

Gerade der Anschlag von Ansbach hatte eine neue Qualität - der erste Selbstmordattentäter, der sich auf deutschem Boden in die Luft jagte. Solange die Dschihadisten-Miliz in Syrien und im Irak Rückzugsgebiete hält und ihr zahlreich Anhänger zulaufen, bleibt Frankreich, aber genauso die Bundesrepublik im Visier der Terroristen.

Vollkommener Schutz vor Anschlägen bleibt unerreichbar



Innenpolitiker in Deutschland müssen sich nach den schweren Bluttaten der vergangenen Wochen daher zeitweise wie in einem Hamsterrad fühlen. Hechelnd bleibt das Ziel, vollkommener Schutz vor Anschlägen, trotz immer neuer Maßnahmenpakete unerreichbar. Einige der Sicherheitsverschärfungen sind zwar gut und schön, aber selbst wenn alle zusammen greifen, wird es keine Garantie geben, dass nicht wieder Anschläge vorkommen. Das muss jedem in einer freiheitlichen Gesellschaft klar sein.

Das soll aber nicht heißen, es sei sinnvoll, die Hände in den Schoß zu legen und nur dem Schicksal gut zuzureden. Eine Stärkung von Justiz und Polizei bringt sehr wohl etwas: Schon die rein physische Präsenz von Beamten auf der Straße kann eingeschüchterten Bürgern das Gefühl zurückgeben, der Staat kümmert sich. Daher gilt es, die Polizei auch vor dem Hintergrund gigantischer Überstundenberge personell aufzustocken und mit der nötigen Schutzausrüstung zu versehen.

Keine unmittelbare Reaktionsfähigkeit bei der Polizei



Doch darf es nicht bei einem einmaligen Hauruck bleiben: Bei der Polizei rollt eine Pensionierungswelle an, die nur durch gut ausgebildete Nachwuchskräfte aufgefangen werden kann - das allerdings ist ein langwieriger Prozess. Schon jetzt sieht es so aus, als würden die 2.000 zusätzlich geplanten Polizeistellen für Bayern erst im Jahr 2020 vollständig zur Verfügung stehen. Von einer unmittelbaren Reaktionsfähigkeit auf die schlimmen Bluttaten kann also allenfalls eingeschränkt die Rede sein.

Kritische Phasen bei der Personalstärke durch Bundeswehreinsätze im Inneren zu kompensieren, sollte aber nur im wirklichen Notfall erfolgen - so wie es derzeit gehandhabt wird. Die Debatte über eine Ausweitung der Truppenkompetenzen bleibt lediglich Spiegelfechterei. Denn es ist nicht ersichtlich, wo Soldaten bei den jüngsten Bluttaten hätten einschreiten müssen und sollen.

Bei der Sicherheitsarchitektur hat es Bayern nicht schleifen lassen

Beim Amoklauf in München beispielsweise wurden in Windeseile und professionell 2.300 Polizisten zusammengezogen - eine beeindruckende Schlagkraft, die außerdem deutlich zeigt: Bei der Sicherheitsarchitektur hat es Bayern auch in den vergangenen Jahren wahrlich nicht schleifen lassen. Allerdings reicht es nicht aus, jetzt nur auf einen starken Staat zu vertrauen. In der Präventionsarbeit bei traumatisierten Flüchtlingen und abgehängten Jugendlichen liegt genauso ein möglicher Schlüssel, um potenzielle Gewalttäter von weiteren Anschlägen abzuhalten.

Vernünftige Politiker werden sich jetzt dafür einsetzen, dass die Angst nicht noch tiefer in die Bevölkerung einsickert. Bei vielen Bürgern ist die Unbeschwertheit den Sorgen gewichen. Was in einer Zeit, in der der islamistische Terror in unmittelbarer Nähe zuschlägt, verständlich ist. So erschreckend diese Erkenntnis auch sein mag, sie darf das öffentliche Leben nicht lähmen. Denn dann hätten uns die Terroristen gezielt des Teuersten beraubt, was wir haben: der Freiheit.