Kultur

Vor allem dagegen

Alexander Eisenach verpasst Goethes "Götz von Berlichingen" ein Update


Lukas Rüppel mit dem Kaiser in "Götz von Berlichingen".

Lukas Rüppel mit dem Kaiser in "Götz von Berlichingen".

Von Anne Fritsch

Dieses Leben ist für unsre Seele viel zu kurz", sagt dieser Götz von Berlichingen einmal. Lukas Rüppel steht in einem schwarz-rüschigen Overall auf der Bühne des Cuvilliéstheaters, seine rechte Hand ist eisern, wie es sich für den Titelhelden gehört, aber immerhin schön bunt (wie alles hier).

Die Inszenierungen von Alexander Eisenach sind viel, eines aber sind sie niemals: minimalistisch. Und so geht auch bei diesem "Götz von Berlichingen" im wahrsten Sinne des Wortes der Punk ab. Das passt ja auch zu einer Hauptfigur, die neben allen revolutionären Ideen einfach herausfinden will, was geht im Leben; die aus dem Vollen schöpfen und auf die Pauke hauen will.

Irgendwann später an diesem Abend wird Rüppel vor der Band (Benedikt Brachtel und Sven Michelson), die sich im Hintergrund hält, stehen und ein ziemlich polterndes Konzert geben. Er wird ins Mikro rufen "Du, Bischof, kannst uns am Arsch lecken!" und so seiner Figur und ihrem berühmten Satz Rechenschaft tragen; er wird brüllend singen "Ich hasse das Publikum, das Publikum soll gehen, es verdirbt nur den Spaß" und als letzten Song einen "kritischen" anstimmen, der den Titel "Mütze - Glatze" trägt und irgendwie von Nazis handelt.

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"Götz von Berlichingen" im Cuvilliéstheater.

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"Götz von Berlichingen" im Cuvilliéstheater.

Die Leuchtbuchstaben "WARPIGS" hinter ihm werden rot blinken und die Saalbeleuchtung wird es ihnen gleichtun, bis der ganze Saal komplett geflasht ist und kurz vor einem kollektiven epileptischen Anfall steht.

Doch: Er holt schon einiges raus aus diesem Leben, dieser Götz. Johann Wolfgang von Goethe hat das Stück geschrieben, das 1774 uraufgeführt wurde und irgendwie alle Grenzen sprengen wollte, wie es sich für den Sturm und Drang gehört. Das Personenverzeichnis führt zwischen Kaiser Maximilian und "Zigeuner, Zigeunerinnen" (weibliche Form: ja, diskriminierende Sprache: ebenfalls ja) nicht weniger als 25 Einzelfiguren und etliche Gruppen wie Hofleute, Gerichtsdiener, Bauern, Kaufleute oder Richter auf.

In fünf Akten (dieser Einteilung blieb Goethe dann doch treu) berichtet er kurz gesagt von einem, der so viele Fehden anzettelt, dass er schließlich von einem eigens für ihn zusammengestellten Exekutionsheer verfolgt wird. Er wird gerettet und zum Hauptmann der Aufständischen ernannt. Die Handlung ist verworren, aber eines ist klar: Immer wieder geht es um die "Freiheit", die häufig eben darin besteht, einfach alles anders zu machen als die anderen.

Und da die "Freiheit" in den vergangenen Jahren ein recht strapazierter Begriff war und häufig nicht mehr als eine Freiheit von Verpflichtungen und Regeln meinte, ist es nicht verwunderlich, dass Alexander Eisenach hier einsetzt. Immer wieder schwingt das 21. Jahrhundert hinein ins Goethesche beziehungsweise ins Götz'sche Universum.

Ganz zu Beginn führt Hanna Scheibe ins Stück ein und eine furiose Slapstick-Nummer in eiserner Rüstung auf, dass es eine Freude ist. Sie erklärt, worum es geht, was im Mittelalter so an der Tagesordnung war (eben Fehden, Fehden und nochmals Fehden) und warum das irgendwie gar nicht so weit von uns entfernt ist: "Aus der Frage um die richtige Ernährung oder die Art und Weise, wie gesprochen wird, kann sich binnen Sekunden ein regelrechter Kulturkampf entwickeln."

Und so klingen immer mal wieder die verschrobenen Freiheits-Begriffe von Verschwörungstheoretikern durch an diesem Abend, von selbst ernannten System-Opfern und vermeintlichen Kämpfern für Gerechtigkeit. Simon Zagermann warnt als Sickingen vor einer Verbots-Kultur: "Demnächst wollen sie uns noch vorschreiben, wie schnell wir reiten dürfen auf unseren Feldern und Fluren. Was wir noch essen dürfen und was nicht. Was wir noch sagen dürfen."

Ja, da hat man durchaus auch einen aschermittwochlichen Markus Söder im Ohr, der über die Grünen wettert. Hier wird gepöbelt und gekämpft, was das Zeug hält. Vor allem sind alle dagegen. Wofür sie eigentlich kämpfen, spielt eher eine untergeordnete Rolle.

Das alles ist stellenweise sehr lustig, wenn zum Beispiel Vincent Glander als Bischof von Bamberg minutenlang blumige Umschreibungen für ein Trinkgelage sucht und findet, von "einen ins Ei dottern" über "den Ölstand prüfen" bis hin zu "sich so richtig einen in die Sakristei orgeln". Es ist monumental, wenn er als riesenhafter Kaiser herein schreitet, und ein bisschen gruselig, wenn Video-Künstler Oliver Rossol seine KI-generierten Portraits ins Spiel bringt. Daneben gibt es kurz gesagt ein bisschen Monty Python's, ein bisschen Goethe und ganz viel Eisenach. Viel auf die Ohren also und auch auf die Augen an diesem zweistündigen kompakten Abend. Und doch: manch ein Effekt ist dann einer zu viel, all der Popanz täuscht nicht wirklich darüber weg, dass diese Inszenierung irgendwie doch ziemlich krude ist.

Wieder am 3.4., 10.4., 11.4., 16.4. im Cuvilliéstheater