Kultur

Ritter auf Sinnsuche

Lukas Rüppel spielt "Götz von Berlichingen" im Cuvilliéstheater


Lukas Rüppel und Mitglieder des Ensembles in Goethes Ritterdrama im Cuvilliéstheater.

Lukas Rüppel und Mitglieder des Ensembles in Goethes Ritterdrama im Cuvilliéstheater.

Von Michael Stadler

Zuletzt hat Lukas Rüppel als einer von mehreren Karl Valentins in Claudia Bauers morbider "Valentiniade" beeindruckt. Dem Tod entschlüpfte Rüppels Valentin gleich zu Beginn mit hastigen Ausreden und gab danach eine wunderbar tragikomische Gestalt ab. Nun spielt Lukas Rüppel "Götz von Berlichingen" unter der Regie von Alexander Eisenach und man darf gespannt sein, wie er die historische Figur, von Goethe in seinem Frühwerk von 1773 zum Dramenhelden gemacht, spielen wird.

AZ: Herr Rüppel, das berühmteste Zitat aus "Götz von Berlichingen" ist der "Schwäbische Gruß", den Götz in seiner von Truppen belagerten Burg Richtung Hauptmann ausspricht: "Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!". Schämen Sie sich denn gar nicht, so was auf der Bühne zu sagen?

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"Götz von Berlichingen" im Cuvilliéstheater

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"Götz von Berlichingen" im Cuvilliéstheater

LUKAS RÜPPEL: Ehrlich gesagt habe ich ein ganz anderes Problem, nämlich, dass ich das Gefühl habe, dass dieser Ausspruch heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorleckt, ich meine, -lockt! Insofern haben wir uns bei den Proben überlegt, wie wir für so einen Satz eine passende Umsetzung ins Heute finden können. Goethe hat ihn ja damals nicht nur geschrieben, weil ihn der historische Götz gesagt haben mag, sondern auch, weil er als junger Theatermacher ein bisschen Skandal machen wollte.

Mit Kraftausdrücken einen Skandal auszulösen, ist heute nicht mehr so einfach.

Das ist auch gar nicht unsere Absicht. Aber wir haben hinter der Bühne ein Setting für eine kleine Kapelle eingerichtet, die Musik in die Punkrichtung spielt. Mit Schimpfwörtern kann man heute vielleicht nicht mehr anecken, aber so ein paar Punksongs, die fast gar nichts über Götz erzählen, sondern anarchisch für sich selbst stehen, kann man vielleicht eine gewisse Kante erzeugen.

Ein bisschen Sturm und Drang soll also schon sein.

Absolut. Wobei die Punkband einem Zufall geschuldet ist: Von den beiden Musikern ist der eine, Benedikt Brachtel, Jazzgitarrist und der andere, Sven Michelson, war vor zwanzig Jahren Punk-Schlagzeuger. Wir haben gesagt, kommt, wir holen uns ein paar Tiefkühlpizzen, einen Kasten Bier und setzen uns eine Nacht in Benedikts Studio und schreiben, was uns in den Sinn kommt. Dabei entstanden Lieder, die nicht gerade "sauber", aber kraftvoll, eher links und Punk sind.

Bei Goethe ist Götz ein Freiheitskämpfer, der sich gegen die Herrschaft des Adels und Klerus wehrt und sich zum Anführer der aufständischen Bauern machen lässt. Was für einen Götz spielen Sie?

Ich habe schon befürchtet, dass diese Frage kommt. Wie legst du den Götz an? Unabhängig von dieser Rolle ist es bei mir immer so, dass ich mir vor Probenbeginn nicht überlege, wie die Figur spricht oder wie sie geht, sondern ich entwickle sie während der Proben aus den einzelnen Situationen heraus. Das kann dann schon manchmal recht lange dauern, bis ich weiß, wie für mich die Rolle stimmig ist.

Und was für ein Götz ist am Ende herausgekommen?

Klassischerweise wird Götz als aufrechter Ritter dargestellt. Als mächtiger Anführer, als Mann, der auf den Tisch haut, der eine eiserne Faust hat, einen Bart. Dadurch, dass viele Inszenierungen heute durch 3sat-Mitschnitte oder auf YouTube dokumentiert sind, halte ich es für umso wichtiger, dass man heute andere Lesarten findet. Was es bei uns also nicht gibt, ist jemand, der genau weiß, was zu tun ist. Stattdessen ist Götz in unseren Augen eher jemand, um den herum alle "Freiheit!" rufen und der mit der Menge einstimmt, weil man das eben so tut, aber im Grunde ist er sich unsicher, hat vielleicht eine Depression, ist in der Midlife-Crisis, auf Sinnsuche. Was ihn in ungute Strömungen hineintreiben lässt, bis er am Ende, geläutert durch die Gewalt der Bauernkriege, vielleicht sogar zum Pazifisten wird.

Ungute Strömungen - das klingt nach Rechtspopulisten und Querdenkern.

Genau. Aber das wäre wiederum zu einfach. In der ersten Probenwoche lag auf der Bühne eine Bomberjacke, die ich anziehen sollte. Was mir sofort falsch vorkam. Jetzt habe ich einen Overall an, der zeitlich nicht klar zu verorten ist und Spielräume offenlässt.

Götz von Berlichingen driftet aber zwischendurch in einen Abgrund ab?

Eher weniger, obwohl es diesen Aspekt auf jeden Fall geben muss. Er wird zum Anführer einer Gruppe, deren brutales Verhalten man in Frage stellen kann. Wobei wir da nicht ganz mit Goethe im Einklang sind: In seinem Stück kommt ein brandschatzender Haufen von Bauern daher und Götz lässt sich von denen an die Spitze setzen, woraufhin er vom Kaiser geächtet wird. Wenn man aber genauer darüber nachdenkt, war diese Volksrevolution zwar blutig, aber auf dem Weg zur Demokratie kein unwichtiger Schritt. Insofern könnte man die Bauernaufstände auch positiv begreifen.

Und Götz lässt sich in seiner Midlife-Crisis mitziehen.

Ja. Diese Kipp-Punkte ins Gefährliche muss es schon geben. Ich habe aber insgesamt einen Hang zu eher schwachen, leicht trotteligen, suchenden Figuren. Der stolze Anführer liegt mir einfach nicht.

Alexander Eisenach sampelt gerne Fremdtexte in die Stücke hinein. Was gibt es dieses Mal?

Es gibt auf jeden Fall eine Rede von Goethe, die er zum Shakespeare-Tag gehalten hat. Goethe erklärt darin, dass die Theatertradition zerschlagen werden muss. Konventionen wie die Einheit von Zeit und Raum - das ist alles hinfällig, das müssen wir auflösen! Das ist so eine metareflexive Brechung, die Alexander gerne in seine Inszenierungen einwebt. Und sie macht im Kontext des Stückes Sinn: Goethes Begriff von Kunstfreiheit findet im "Götz" seinen Ausdruck und deckt sich auf gewisse Weise mit dem Freiheitsdrang der Bauern.

Als Sie Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt waren, haben Sie bereits zweimal mit Alexander Eisenach zusammengearbeitet, hier am Residenztheater haben Sie unter seiner Regie bei "Einer gegen alle" und "Der Schiffbruch der Fregatte Medusa" gespielt. Was macht ihn als Regisseur aus?

Er ist einfach wahnsinnig klug, kennt sehr viele Texte und beherrscht die Technik, das Rückgrat eines Stückes schnell zu kapieren und ins Heute zu assoziieren. Was ich auch super an ihm finde: dass er gegenüber seinen eigenen Ideen den Advocatus diaboli spielt. Er ist jederzeit bereit zu sagen: Was wäre denn, wenn wir diesen Moment diametral entgegengesetzt zu dem spielen, was ich gerade vorgeschlagen habe? Dadurch können wiederum weitere, neue Ideen entstehen. Er hat zudem keine Idealbesetzung eines Schauspielers im Kopf, sondern schätzt einen genau für das, was man selbst ist.

Ist das ein Segen oder eine Bürde, eine Titelrolle zu spielen, zumal den alten Götz vom alten Goethe?

Natürlich ist das toll. Die anderen kommen auf einen zu, Mensch, Lukas, der Götz! Aber so eine Titelpartie muss man erstmal spielen. Meine Mutter reist jetzt zur Premiere mit acht Freund*innen an. Wobei ich mir denke: Ich spiele zum Beispiel in der "Valentiniade" mit, Karl Valentin, da wäre meine Mutter und ihr Freundeskreis doch auf den ersten Blick besser aufgehoben. Aber klar, der Götz bringt mir mehr Aufmerksamkeit, sonst würden wir ja auch dieses Gespräch hier nicht führen.

Dann mal viel Glück mit Ihrer Mutter!

Danke.

Die Premiere im Cuvilliéstheater am 29. März, 20 Uhr, ist ausverkauft, evtl. Restkarten