Ein Schatz aus dem AZ-Archiv

Mit Herbert Achternbusch auf der Wiesn


Mit Achterbusch auf der Wiesn 2004.

Mit Achterbusch auf der Wiesn 2004.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

2004 schlendert die AZ mit Herbert Achternbusch über das Oktoberfest. Ein Schatz aus dem Archiv.

"Bierkampf", 1976. Herbert Achternbusch dreht live seinen Oktoberfestfilm im Schottenhamel. 2004 der Versuch einer Wiederbegegnung: Mit Achternbusch auf die Wiesn - ein (Alb)- Traum! Ein Anruf genügt, oder?

AZ: Herr Achternbusch, dürfen wir Sie zu einem Wiesn-Spaziergang einladen?
HERBERT ACHTERNBUSCH: Ich find die Wiesn aber gar nicht so furchtbar, wie Sie es gern hätten. Ich bin Wiesnromantiker, vielleicht auch Wiesnmelancholiker.

Wir wollen ja nur Ihre Wiesn-Impressionen einsammeln.
Naa! Ich bin völlig erschöpft, ich hab gerade mein Bild fertig gemalt, und jetzt ist mir noch die Gicht in einen Zeh gefahren. Ich bin wiesnuntauglich und muss erst einmal meinen Arzt konsultieren.

Wir brauchen ja nicht viel herumzulaufen, wir sitzen ja eh nur im Zelt.
Aber nur vormittags! Ab Nachmittag wird's furchtbar. Aber dass das klar ist: Ich trinke nur Mineralwasser! Ja, ich bin auf den Geschmack gekommen. Früher fand ich's ja fad, aber es reinigt doch irgendwie, und mittlerweile is es ja auch genauso teuer wie das Bier im Wirtshaus.

Gut, Sie bekommen ein Mineralwasser. Und ein halbes Hendl!

Mei, die ganzen Hendlesser. Das mit den Hendln erinnert mich immer an ein KZ.

Achternbusch auf dem Oktoberfest 2004 vor dem Riesenrad.

Achternbusch auf dem Oktoberfest 2004 vor dem Riesenrad.

Wir können ja auch ein Biohendl essen.
Na, ich ess da nix, gar nix ess ich!

Gehen Sie eigentlich mit Ihren Kindern auf die Wiesn?
Letztes Jahr mit meiner Tochter. Um elf Uhr vormittags sind die kleinen Italobuben schon hinterm Zelt gelegen. Meine Tochter hat glei gesagt: ,Ich werd nie trinken!' Ja, die Wiesn kann auch pädagogisch sein. Wie wollen S' des eigentlich alles machen? Lassen S' dann die ganze Zeit ein Tonband mitlaufen?

Nein, Block und Bleistift tun es auch.
Ich sag aber vielleicht gar nix und was machen S' dann, wenn wir am Ende sind und Sie haben nix auf dem Zettel?

Ihnen fällt schon was ein. Sie haben doch 1976 "Bierkampf" gedreht.
Jetzt reden wir halt über Bierkampf 2004. Mei, beim "Bierkampf" hams mich übers Ohr gehauen. Ich hab halt alle Rechte für immer und ewig abgetreten. Und wenns die jetzt im Fernsehen ausstrahlen, dann bekomm ich keinen Pfennig. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Meine Mutter hat immer gesagt, da gibts doch was mit "Glauben und Treue" Ja, den Rechtsgrundsatz von "Treu und Glauben". Ein Nazi-Begriff!

Nein, der stammt aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1890.
Schon gut.

Aber wie verbleiben wir jetzt?
Das müssen Sie sagen. Dann rufen S' halt morgen mal an, so ab sechs. Ich kann eh nicht länger schlafen.

Nächster Morgen: Ein Fünfminuten-Telefonat - Achternbusch sagt fünf Mal zu und wieder ab. Schliesslich: "Also, dann gehn mir halt. Und wenns mir reicht, stech ich Sie nieder." Mit dem Hirschfänger? "Na, mit dem Taschenmesser."

Treffpunkt Burgstrasse. Achternbusch humpelt zum Marienplatz vor. Im U-Bahn-Zwischengeschoss stempelt Achternbusch brav einen Einzelfahrschein, Kurzstrecke. Zwei Stationen, Goetheplatz, Mozartstrasse. Ein paar gestylte Lederhosen-Yuppies überholen: "Die hab ich schon gfressen! Das san die, die dreissig Jahre nichts erlebt haben, aber ihre Memoiren schreiben, sich für Zeitungen bei grauenhaften Wiesnpartys ablichten lassen und alle Plätze reservieren. Und dann san wegen diesen Arschlöchern die Zelte dicht."

Lauter Geschmacklosigkeiten

Überhaupt mag Achternbusch keine Trachten: "Ich find die nur erträglich, wenn sie vollgekotzt sind. Und erst recht diese verschnittenen Landhausstil-Geschmacklosigkeiten, die dieses alberne ,Mir-san-mir' ausdrücken wollen."

Er selbst hat einen schwarzen Borsalino auf, allerdings nach oben ausgebeult, so dass er wie der Hut eines Handwerkers auf der Walz aussieht. Dazu: ockerfarbene Filzjacke, weisse Baumwollhose. Die Bavaria taucht auf und mit ihr das Gerücht, der Erzgiesser Schwanthaler hätte seine preussische Freundin als Modell gehabt. "Des is mir wurscht, solang sie nix sagt."

Der Himmel klart auf, leichte Sonne: "Wunderbar! Und da soll noch einer sagen, die Wiesn is dumpf - selber schuld." Dennoch gesteht er zu, alles sei "plumper, weil grösser" geworden. "Aber das kommt einem nur so vor, weil man älter wird."

Ein Leberkäs wie eine Leich'

Ein Imbiss-Stand zur Rechten, die Auslage wird begutachtet: "Der blasse Leberkäs da schaugt ja aus wie eine Leich", grantlt Achternbusch. Aber der Standlbesitzer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Achternbusch geht verärgert weiter, weil seine Provokation verpufft: "Der hätt ja wenigstens antworten können, dass des ein Kalbskäs is. Die san alle so hell."

Schiessstand zur Linken. "Jetz schiessn mir blaue Blumen. Wir san Romantiker!" Also: zehn Schuss geladen, Geld bereits hingeblättert, aber weit und breit keine blauen Rosen im Schussfeld. Achternbusch legt sich mit dem Standl-Assistenten an, schnauzt was von "blauen Blumen". Der andere versteht nichts: "Ja können Sie überhaupt Deutsch?" "Besser als Sie!", die Antwort - mit ostdeutschem Akzent.

Geschafft: Streit da, Geld zurück, weiter. Schnell zum nächsten Stand, fünf Schuss, fünf Treffer. "Ich bin ein guter Schütze - schon immer gewesen! Als Junge bin ich auf die Wiesn schiessen gegangen. Da hams dann gesagt: Sauber, Bua! Das wär was für Korea. Das war die Zeit des Koreakriegs." Ohne die Blumen-Beute in Empfang zu nehmen, geht's weiter. Achternbusch kauft zwei Wiesnherzl: "Du bist meine Sonne" (für die Bedienung im Weissen Bräuhaus) und "I hab dich lieb" (für die zehnjährige Tochter).

Links kommt der Schottenhamel näher. Hier hat Achternbusch 1976 "Bierkampf" gedreht: "Die Lizenz zum Drehen hatte ich. Aber meine gestohlene Polizeiuniform war natürlich ein Problem, weil gleich hinterm Zelt die Wiesnwache ist." Das Problem wurde unbürokratisch gelöst: "Der Aufnahmeleiter hat denen einfach jeden Tag ein Tragl Bier hingestellt und alles war geregelt."

Der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch auf dem Oktoberfest von 2004.

Der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch auf dem Oktoberfest von 2004.

Mit Platon auf dem Oktoberfest

Im Schottenhamel spielt Blasmusik, das "Kufsteinlied". "Ich bin ein Bierkampf-Invalide, ich trink ein Mineralwasser, auch wenn S' schreiben, ich hätt an halben Liter Schnaps getrunken. Und wenn S' schreiben, dass ich Mineralwasser getrunken hab, glaubts eh keiner."

Das Gespräch dreht sich um Alkoholmissbrauch. "Die Sache is ganz einfach: Wenn man zehn Mass getrunken hat..." Zehn? "Ja, aber halt von morgens zehn bis abends zehn. Also, wenn man nach zehn Mass am Morgen Kopfweh gehabt hat, dann hat man gewusst, warum und alles war in Ordnung. Aber wenn man heute nichts trinkt, und am Morgen mit Kopfweh aufwacht, dann weiss man, dass' bald aus ist." Was hat eine Bedienung kürzlich zu ihm gesagt, "weil ich schon graue Haare habe": "Ans Sterben sollst denken, nicht ans Saufen."

Aber für Achternbusch gilt: "Bier ist die Lizenz zum Unmöglichen. Wenn man mal von 16 Halben ausgeht, trinkt man erst einmal vier, dann geht man brunzen. Dann - von fünf bis elf - fallen einem einfach die besten Gschichten ein, und die restlichen vier runden dann nach unten wieder ab."

Ois is falsch hier

Achternbusch hat sein Mineralwasser ausgetrunken. "Ich fang erst abends an." Ihm fällt sein Vater auf der Wiesn ein: "Der hat getrunken und hat nicht mehr gehen können. Wir haben den nicht mehr nach Hause gebracht. Da haben wir ihn halt im Rinnstein liegen lassen. Am nächsten Tag ist er dann schon aufgetaucht."

Die sechs Nürnberger mit Kraut kommen. Achternbusch gerät ins Philosophieren: "Ois is falsch hier, die Musik ist falsch, die Leute san falsch, das Saufen is falsch: Aber z'samm ist's doch wieder alles richtig." Man müsse die Wiesn platonisch begreifen: "Ich mein nicht ohne Sex, sondern von der Idee her. Platon sagt, alles ist nur ein Abbild einer idealen Idee - und das Oktoberfest gibt es eben nur, weil die Leute die Idee, den Traum vom Glücklichsein haben. Sie trinken eine Mass nach der anderen und hoffen, glücklicher rauszugehen. Und manchmal ist die Wiesn narrisch nah dran am Ideal, meistens meilenweit davon weg."