Kultur

Ein Leben wie ein Jahrhundert

Ute Lemper kommt mit ihrem "Rendezvous mit Marlene" ins Deutsche Theater: Es ist eine Show, die beide Stars ganz persönlich verbindet und die viel mit Geschichten und Geschichte zu tun hat


Alkohol, schöne Beine und Erinnerungen: Ute Lemper live mit ihrem Programm "Rendezvous mit Marlene".

Alkohol, schöne Beine und Erinnerungen: Ute Lemper live mit ihrem Programm "Rendezvous mit Marlene".

Von Adrian Prechtel

Als Marlene Dietrich im Mai 1992 starb, wurde sie von den Amerikanern und den Franzosen geehrt. Aber in Deutschland? Fünf Jahre zuvor - die Dietrich hatte sich schon zehn Jahre in ihre Wohnung in der Avenue Montaigne in Paris zurückgezogen - hatte bei Ute Lemper das Telefon geklingelt. Am Apparat war Marlene Dietrich. Die Erinnerung an das dreistündige Telefonat war dann - Jahrzehnte später - Initialzündung für Ute Lemper, die Show "Rendezvous mit Marlene" zu schreiben und zu gestalten. Damit kommt Ute Lemper während der Ballsaison ins Deutsche Theater.

AZ: Frau Lemper, warum hat Deutschland so lange gebraucht, sich mit seinem einzigen Superstar auszusöhnen?

UTE LEMPER: Um in Marlenes Zungenschlag zu antworten: "To late! To late!" - Viel zu spät! Denn die Feindseligkeiten hat die Dietrich bis zu ihrem Tod gespürt. Die Anerkennung passierte dann erst um den 100 Geburtstag. Die Dietrich war bis dahin der Stachel im Fleisch der deutschen Verdrängung und Identitätskrise Deutschlands nach 1945.

Aber gerade Westdeutschland wurde doch immer gelobt, für seine Vergangenheitsbewältigung.

Naja, in den 50ern und 60ern waren erst einmal alle Augen auf die Zukunft gerichtet - Augen zu und durch. Der Zweite Weltkrieg, der Faschismus und der Holocaust: Das war in seiner Monstrosität quasi unverarbeitbar, ganz unabhängig von den Reparationszahlungen, internationalen Verträgen und Kranzniederlegungen von offizieller staatlicher Seite. Ich selbst habe hier in New York ja noch einige Holocaustüberlebende gekannt, die eine deutsche Entschädigungsrente bekommen haben.

Sie erzählen oft, dass Sie mit Marlene Dietrich telefoniert haben.

Ja, ich saß 1987, gerade mal 24 Jahre alt, im Hotelzimmer, als ein Anruf durchgestellt wurde: Es war Marlene, die sich zu mir durchgefragt hatte. Ich hatte ihr einen Brief geschrieben, nachdem ich in Paris als "die neue Marlene" gehandelt wurde, weil ich deutsch und mutig war. Ich hatte ihr geschrieben, dass dieser Vergleich natürlich Quatsch ist in Anbetracht ihrer Größe, die sie damals ja seit zehn Jahren allein in ihrer Wohnung versteckt hatte und mit fast 86 Jahren auch nicht mehr hochpolieren wollte.

Und wie haben Sie sie erlebt?

Sie war auch eine gebrochene Frau mit viel Melancholie und Sehnsucht, aber alles umgeben von ihrem hartgekochten Humor. Und es gab viel Empathie für mich, weil ich eine Deutsche war und auch Neugier. Und sie sprach von Deutschland ja immer noch als ihrer "Heimat". Ich war - so jung - diesem Gespräch gar nicht gewachsen und so wurde es fast ein Monolog - mit vielen Rilkezitaten. Basierend auf diesem Erlebnis, das dreißig Jahre in mir arbeitete, habe ich dann diesen Theaterabend mit ihren Liedern entwickelt. Marlene, die im Gespräch ihr Leben erinnert und reflektiert. Und meine Begegnung mit Billy Wilder in Hollywood hat das ergänzt, weil er sie sehr gut kannte und ja schon 1948 überredet hatte, in den Ruinen von Berlin "A Foreign Affair" zu drehen.

Marlenes Sehnsucht nach Deutschland ist überraschend: zu einem Land, wo noch auf der Tournee 1960 Schilder hochgehalten wurden: "Marlene Go Home!"

Ja, viele haben sie als Verräterin angesehen, was viel darüber sagt, wie viel ungeleistete Trauerarbeit da noch da war, vielviele alte "Ideale" da noch in den Gehirnen spukten: Mit amerikanischen Pass in die US-Army gehen und als Soldatin zurückkommen? Dieses Beispiel an Einsatz und Anstand war zu provokant für viele Deutsche, die sich in Marlenes Spiegel gefragt haben müssten, was eigentlich sie getan haben. Diese Selbstreflexion ist für viele einfach zu schmerzhaft gewesen, sich eigene Verblendungen und schuld einzugestehen. Aber Marlene hat immer gesagt: "Man braucht nicht viel Hirn, um gegen die Nazis gewesen zu sein." Marlene hat mit ihrem Kriegseinsatz auch viel riskiert: ihre Karriere in den USA, jeglichen Komfort, weil sie 18 Monate lang mit den kämpfenden Truppen an die Front gegangen ist, mit der realen Gefahr, in Gefangenschaft zu geraten oder sogar getötet zu werden.

Und der Krieg jetzt in Europa?

Marlene war eine Pazifistin, die - wenn es nötig war - gekämpft hat. Und natürlich hätte auch sie der neue Krieg beschäftigt und mitgenommen. Mich erschüttert immer wieder, dass die Bilder des zerstörten Berlin aus "A Foreign Affair" und Bilder von den in Häuserkampf zerstörten Städten in der Ukraine sich gespenstisch ähneln. Marlene hat dazu ja "Sag mit wo die Blumen sind" gesungen oder "Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind".

Marlene war ja ihrer Zeit voraus: trug Hosen, küsste Frauen auf den Mund, war offen bisexuell... Würde sie sich im Heute wohlfühlen?

Sie war Pionierin, mutig, aber unideologisch, deshalb auch keine klassische Feministin, sondern hat das einfach mutig mit ihrer preußischen Disziplin gelebt: die sexuelle, moralische und finanzielle Unabhängigkeit. Ich glaube, sie würde die heutigen Kämpfe gelassen betrachten und kommentieren. Aber für sie persönlich war das alles selbstverständlich. Für mich ist ein Gegenbeispiel Madonna, die das alles krampfhaft aus Publicity-Gründen überdemonstrativ gemacht hat. Marlene war da viel freier.

Muss man heute Marlene Dietrich dem Publikum erklären?

Sicher, auch wenn ikonografisch noch jeder die Bilder kennt - mit zugekniffenen Auge, Frack und Zylinder, rauchend... Aber nach ihr kam erstmal Marilyn Monroe, die auch schon nicht mehr selbstverständlich bekannt ist. Aber Marlenes Geschichte bekannt zu machen und zu halten, ist eine großartige Aufgabe. Und diese außergewöhnliche Geschichte, die so stark mit unserer Geschichte verbunden ist, kann man auch noch in 40 Jahren wieder erzählen - als Zeugnis eines Lebens vom Kaiserreich bis zum Mauerfall inklusive Krieg, USA und Frankreich. Im Kalten Krieg hat sie über den Eisernen Vorhang gewirkt - mit Auftritten in Polen oder der UdSSR.

Das Thema "Deutschland" bestimmt auch Ihr Leben.

Klar, das begann schon in den 80ern mit meinem Brecht/Weill-Programm. Und die damalige Langspielplatte von 1987 war ein weltweiter Erfolg und löste eine erste Welle des Revivals der Weimarer Kunst aus - eine Wiederbelebung der Kunst, die von den Nazis vernichtet werden sollte. Mein Programm war also Vorläufer von alledem, was wir gerade wieder erleben: die 20er in Filmen und Romanen bis zu Serien und Interesse an der Musik dieser kreativen, libertinären, wilden Jahre. Und ich war in den 80ern plötzlich als klare Nachkriegsgeneration kulturelle und intellektuelle Botschafterin Deutschlands. Da war ich mit erst Anfang 20 hineinkatapultiert und musste mich selbst mit der deutschen Vergangenheit intensiv auseinandersetzen. Ich wurde konfrontiert mit dem Blick auf uns vom Ausland her - in Spanien, Griechenland, Portugal, Italien, England, auch mit Auftritten in Amerika und meinem Wohnort in Paris. Das hat sich durch mein ganzes Leben gezogen.

Ihr Programm "Lieder für die Ewigkeit" vor 10 Jahren gehört ja auch zu dieser Auseinandersetzung.

Ja, aber diese Stücke - aus den Ghettos und die in Konzentrationslagern entstanden sind - spiele ich fast nur außerhalb Deutschlands, weil Staats- und Stadttheater da immer noch Angst davor haben...

Und muss man sich vor Marlene fürchten?

Nein, es ist ein ganz menschliches Programm, auch wenn sie mutig, modern, verrückt war: ein Paradiesvogel, Freidenkerin und alles auch ausgesprochen hat. Und in Deutschland suche ich mehr deutsche Lieder aus.

2023 ist auch für Sie ein besonderes Jahr.

Weil ich 60 werde? Ich habe dazu sogar meine Autobiografie geschrieben - bis hin zu schockierenden Erlebnissen. Ein Dokumentarfilm über meine Leben ist entstanden und ein neues Album kommt auch noch heraus: "Time Travellers".

"Rendezvous mit Marlene": Deutsches Theater, 14. Februar, 20 Uhr, Ballsaalbestuhlung mit Tischen, ab 44 Euro, deutsches-theater.de, % 55 23 44 44

AZ-Interview

mit

Ute Lemper

Geboren 1963 in Münster. Sie studierte in Köln und am Wiener Reinhardt-Seminar. Bekannt wurde die Tänzerin, Musical- und Chansonsängerin und Schauspielerin schon 1982 mit "Cats" in Wien. Es folgten Erfolge in "Cabaret" oder "Der blaue Engel". Auch in ihrer neuen Heimat New York tritt sie erfolgreich auf.

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