Tatort-Kritik
"Der Reiz des Bösen": Klassiker-Krimi mit Drehbuch-Kniff
19. September 2021, 19:00 Uhr aktualisiert am 19. September 2021, 19:31 Uhr
Nun kennt man wieder ein schönes Fachwort, mit deren Verwendung man auf Geselligkeiten punkten kann; man hofft aber, dass es bei fröhlichen Anlässen eher selten zur Sprache kommt: Hybristophilie - die Neigung, vor allem von Frauen, sich von gewalttätigen Schwerverbrechern angezogen zu fühlen. Na prima, und der Tag hatte so schön begonnen.
In "Der Reiz des Bösen" (Buch: Arne Nolting und Jan Martin Scharf, Regie: Jan Martin Scharf) begegnen wir also allerlei Gewalttätern und vielen schmachtenden Frauen. Und anders als beim letzten Franken-"Tatort: Wo ist Mike?", als sich ein mordverdächtiger Mann als unschuldig herausstellte, kann eine linke Tageszeitung diesmal nicht die unfassbare Doofheit twittern: Ein Mann darf im Film nicht zu Unrecht verdächtigt werden und am Ende unschuldig sein, weil damit das Narrativ bedient werde, Männer könnten unschuldig sein. Is klar.
Hier jedenfalls kann die Zeitung jubeln: In diesem Kölner "Tatort" sind praktische alle Männer weiterhin böse, die einen mehr, die anderen weniger. Den fiesesten spielt Torben Liebrecht, die fatalst verliebte Frau an seiner Seite Picco von Groote. Nur ihr Sohn Lenny ahnt, dass das mit dem neuen Vater aus dem Gefängnis nicht gut geht.
"Der Reiz des Bösen" ist ein ziemlich klassischer Krimi mit einem erstaunlichen Drehbuch-Kniff gegen Ende. Sollte man zwischendurch kurz eingenickt und erst nach dem Kniff wieder aufgewacht sein, fragt man sich erstaunt: Wie lange, verdammt noch mal, habe ich bitte geschlafen?
Viel zu tun hat diesmal der sonst stets beamtig-bedächtige Kripo-Assistent Norbert Jütte (Roland Riebeling), der den Vormittag damit verbringt, einer Schnecke dabei zuzusehen, über seine Tastatur zu kriechen. An seiner früheren Dienststelle in Wuppertal aber, so hören wir und das Ermittler-Duo Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär) gleichermaßen staunend, war er noch hochaktiv und wurde nur "Turbo-Jütte" genannt. Das, immerhin, und der flotte Sportwagen, den Freddy Schenk als Dienstwagen aus der Asservatenkammer geholt hat, sind Lichtblicke in diesem Lehrstunden-Gewalt-und-schräge-Liebe-"Tatort".