Bayerisches Staatsballett
Der aufgefrischte Nußknacker
11. Dezember 2018, 13:03 Uhr aktualisiert am 11. Dezember 2018, 13:03 Uhr
Das Staatsballett tanzt vor Weihnachten wieder John Neumeiers Version von "Nussknacker" im Nationaltheater
Als Weihnachtsklassiker nicht totzukriegen. Das liegt bei Peter Tschaikowskys "Nussknacker" vor allem an der grandios-farbigen Partitur. Sie gleicht einer feinen, ausladenden Pralinenbox, angefüllt mit vollmundigen Noten. Lust zum Tanzen steckt hier in jedem Takt.
Das muss auch John Neumeier gespürt haben, sonst hätte er kaum so konsequent jede weihnachtliche Opulenz aus seiner Version streichen und die märchenhafte Handlung in eine traumwandlerische Hommage an Marius Petipas Ballettkunst ummünzen können.
Stimmig zum Bühnengeschehen ließ Dirigent Robertas Šervenikas das Bayerische Staatsorchester mehr den weich-melodischen Schmelz der Musik und weniger das Schrägkantige einiger Instrumente herausarbeiten. Neumeiers inhaltlich und psychologisch durchdachte Umdeutung - Aufhänger: Maries 12. Geburtstag - datiert aus dem Jahr 1971. Ihren letzten Schliff erhielt die Choreografie aber 1973 in München, wo das Stück zuletzt vor fünf Jahren zu sehen war. In puncto Ausstattung (Jürgen Rose) wird dem Zuschauer zuerst repräsentative Nostalgie geboten, die im luftigen Ballettsaal-Bild von leerer Schlichtheit abgelöst wird, um im dritten Teil wieder feudal-farbig Theatersehnsüchte zu wecken.
Neues Leben im Repertoire
Mit der Wiederaufnahme untermauerte Ballettchef Igor Zelensky, was er zu seinem Amtsantritt versprochen hatte: Gute Interpreten hauchen selbst alten Repertoirewerken neues Leben ein. Man darf staunen, wie eine ganze Riege Jungspunde sich in kürzester Zeit gemausert hat. Selbst wenn Nummern wie die fiese, stilistisch aus einem Petipa-Neumeier-Mix gestrickte Vier-Männer-Variation im Schlussteil das Höchstmaß an Perfektion erstmal noch nicht erreicht. Vorfreude am Nochmal-Sehen wird schon jetzt durch die ambitionierte, teamgeistig frische Herangehensweise gespeist. Derzeit das Markenzeichen unserer verheißungsvoll aufstrebenden Kompanie.
Freilich vermisste man am Premierenabend eine hauseigene Marie. Nancy Osbaldeston, Erste Solistin des Royal Ballet of Flanders und seit "Jewels" Gast des Bayerischen Staatsballetts, macht das mit ihrer intensiven, dezidiert kindlichen Spielart mehr als wett. So oft wie möglich hält sie die steife Nussknacker-Puppe im Arm. Es ist ein Geschenk von Günther, dem Kadettenanführer und Freund ihrer tanzbegabten großen Schwester Louise.
Das schöne Paar, das im Finale mittels eines Grand Pas de deux die hohe Schule der Danse d'école zu einem Höhepunkt führt, wird von den beiden Solisten Prisca Zeisel und Emilio Pavan formidabel interpretiert. Dabei umgeht Zeisel die traditionell übliche Allüre bloßer Grandezza und vermag mit herzhaft-heutiger Eleganz zu bestechen. Bei so großem Vergnügen an Schrittmaterial und zitatverdächtig-virtuosen Figuren braucht es nur noch einen genialen Ballettmeister - und schon grenzt Ballett an Magie.
Bitte neue Geschichten für Jonah Cook
Folgerichtig hat Neumeier die Partie des ballettblasierten Drosselmeier ins Zentrum gerückt. Eine schräge Type, ganz auf sich und die Welt des Tanzes fokussiert. Mit Zylinder und schwarzem Umhang legt Jonah Cook alle Schritte, Sprünge und sein gesamtes Gebaren so an, dass seine Figur sofort aus dem Rahmen der historisierend biederen Geburtstagsgesellschaft fällt. Für freche, kontrastierende Ausreißer sorgt dagegen Franz (immer exakt und voll in der Rolle: Dmitrii Vyskubenko) mit seinen Kumpanen. Das Tüpfelchen auf dem i des zweiten Akts: die Eltern Stahlbaum Jeanette Kakareka und Henry Grey in ihrem exotisch-armverwinkelten ägyptischen Pas de Deux.
Cooks Drosselmeier ist wunderbar ausbalanciert zwischen frappierender Leichtigkeit und arroganter Selbstüberhöhung, zwischen übertriebener Professionalität und echter künstlerischer Faszination bei den Proben und Auftritten des Balletts im Ballett. Gemeinsam mit Marie, der er Spitzenschuhe schenkt, um sie letztlich träumend die Entstehung, Anmut und vielfältige Schönheit der Tanzkunst erleben zu lassen, ist Cook ohne Anflug von Erschöpfung fast permanent im Einsatz. Es wirkt, als wäre die Partie für ihn kreiert worden. Da wünscht man der Kompanie, dass sich Choreografen möglichst bald auch neue Geschichten für sie ausdenken.
Nächste Vorstellungen: 14., 18., 26., 28.12., 2., 4.1., Nationaltheater. Karten unter Telefon 21851920