Kultur

Am Buffet der Musikgeschichte

Moritz Eggerts Operette "Die letzte Verschwörung" an der Wiener Volksoper


Eine Demo gegen das "6H"-Mobilfunknetz, mit dem die Reptiloiden die Menschheit versklaven wollen. In der Mitte Timothy Fallon als Quant.

Eine Demo gegen das "6H"-Mobilfunknetz, mit dem die Reptiloiden die Menschheit versklaven wollen. In der Mitte Timothy Fallon als Quant.

Von Walter Weidringer

Fangen wir mit der "Flat Earth Society" an. Die propagiert, die Erde sei eine Scheibe und versucht, das wider alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zu beweisen. Online hat sie sich einmal gebrüstet, "Mitglieder rund um den Globus" zu besitzen - ein Schenkelklopfer! Aber Moment mal: War das Posting vielleicht ein Fake? Will "das System" die Society diskreditieren, weil sie die Wahrheit aufdeckt? Da sind wir vielleicht etwas ganz Großem auf der Spur!

Mit einem Flacherdler beginnt auch Moritz Eggert sein neues humoristisches Musiktheaterwerk "Die letzte Verschwörung": Dessen Uraufführung am Samstag an der Volksoper Wien wurde nach knapp zweieinhalb Stunden mit freundlicher Zustimmung aufgenommen, zieht man vereinzelte Buhs für den Komponisten ab, von dem auch das Libretto stammt.


Die neue Volksoperndirektorin Lotte de Beer hatte den jetzt 57-Jährigen, in München lehrenden Komponisten um ein Werk gebeten, das die satirischen Züge der Operette im 21. Jahrhundert neu erfinden sollte - warum nicht mit dem Aufhänger, die Erde sei platt wie eine Flunder? Diese Überzeugung bietet also die Einstiegsdroge für Friedrich Quant: Der TV-Talkmaster macht sich zunächst noch lustig über den Flacherdler Urban in seiner Show. Doch dann kann "Schwurbel-Urban" Zweifel bei ihm säen. Mag zuhause auch ein schräg walzerseliges Leben mit Frau und Kindern warten, Quant gerät via Internet in die Fänge des großen Misstrauens gegen Wissenschaft, Politik, ja überhaupt "das System".

Und schließlich ist da noch Urbans betörende Begleiterin Lara Lechner: Es kommt, wie es kommen muss. Und natürlich ist nichts so abstrus, als dass es sich nicht umgehend als wahr herausstellen würde. Einflussreiche Personen verständigen sich mit merkwürdigen Handzeichen, in seiner Familie wird Quant bald durch einen Freund ersetzt, als hätte es ihn nie gegeben, ein Mr. Goodman in Laras Schlepptau gibt sich als FBI-Agent zu erkennen, der gegen die Reptilien-Verschwörung kämpft.


An einem Punkt kann jedenfalls kein Zweifel bestehen: Die Musikgeschichte ist eine Scheibe. Oder eher ein riesiges Büffet-Tablett? Doch macht Eggert keineswegs den Fehler, ständig alles und von allem zu viel auf einen Teller nach dem anderen zu türmen.

Er hält die musikalische Speisenfolge leicht und bekömmlich, punktet nicht zuletzt mit dem Tempo, in dem er die einzelnen Gänge anordnet - und auch die Regisseurin Lotte de Beer hinkt niemals hinterher beim Servieren auf Christof Hetzers wandlungsfähiger Drehbühne.

Mit Appetit langt Eggert zu bei Filmmusikstrategien zur Spannungserzeugung, die er zeitgenössisch etwas nachwürzt, er leidet weder an Tonalitäts-Unverträglichkeit noch Dissonanz-Allergie. Zitate und Quasi-Zitate verweisen etwa auf Bernard Herrmanns Soundtrack zu Hitchcocks "Vertigo", auf Star Trek oder Ravels Bolero, hier erklingen Jingles, dort U-Musik-Parodien.

Unter Steven Sloane haben das Orchester, Chor und Ballett merklich Spaß an dem flotten Schwipslaunen-Allerlei, das sich noch in ein UFO, ein Virtual-Reality-Game und zuletzt gar auf die Bühne der Volksoper hinauf (oder hinunter?) schwurbelt. Dabei klingt die Partitur homogener, als diese Beschreibung suggerieren mag.


Aber: Operette ist das keine, jedenfalls nicht musikalisch. Auf ein ironisches Spiel mit den Topoi der Gattung wird weitestgehend verzichtet - zugunsten einer mehrheitlich in gut verständlichem Parlando durchkomponierten, zeitgenössischen Oper, die sich halt zur Unterhaltung à la Hollywood bekennt. Weder gibt es Nummern noch Dialoge, das Liebesduett mit Chor im ersten Akt und ein kontemplatives Arioso Quants im zweiten sind die einzigen Ruhepunkte in einem Werk, das in bewusst auf Tempo setzt. Und auf ein aktuelles Thema.

Merkwürdig auch, dass der Komponist seiner eigenen Musik stellenweise nicht genug zu vertrauen scheint. Gewiss, die anfangs quasi vom Publikum gewählte "Fassung mit Audio-Kommentar", von Eggert selbst gesprochen, ist eine weitere satirische Brechung. Aber wenn die Regie schräge Lichtfäden projiziert, die Leute mit Schirmen herumlaufen und das Orchester einen Sturmregen niederprasseln lässt - warum muss die Stimme aus dem Off dann auch noch lang und breit vom schlechten Wetter erzählen?

Noch klarere Schwächen zeigt die sängerisch recht durchschnittliche Besetzung. Der amerikanische Timothy Fallon mag seine vokalen Meriten haben, doch kann er sie als Quant kaum ausspielen. Und mit dessen deutschen Textmengen, die er im Duett mit der Souffleuse bewältigt, hat man ihm keinen Gefallen getan.

Eine besondere szenische Chemie zwischen ihm und Rebecca Nelsen (Lara/"System") ist auch nicht spürbar. Besser schneiden Jakob Semotan ab, der den zwielichtigen Alois Dunkler zu einer Wiener Variante von Bastian Pastewka macht, und natürlich Daniel Schmutzhard, der sich in der kleinen Rolle des reptiloiden Kanzlers mit der russischen Oligarchin Natalya (Wallis Giunta) vergnügt.

Wieder am 23., 25., 30. März, 4., 8., 12. April in der Wiener Volksoper, www.volksoper.at