Musik-Tipp

Was hat es mit dem „Brat“-Sommer von Charli XCX auf sich?

Das neue Album von Charli XCX übertrifft alle Erwartungen: Nicht nur ist „Brat“ eine Meisterklasse in Musik und Marketing – plötzlich ist es auch relevant im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft.


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Charli XCX auf der Met Gala im Mai 2024.

Zur Künstlerin: Charli XCX gehörte nie wirklich zu den großen Popstars. Am Anfang ihrer Karriere vor über zehn Jahren hatte sie ein paar spaßige, aber substanzlose Radiohits wie „Fancy“ und „Boom Clap“. Doch wirklich erfolgreich – vor allem unter Kritikern – wurde sie erst, als sie sich einem kleinen Subgenre namens „Hyperpop“ anschloss und es populär machte. Zusammen mit anderen Pionieren der Bewegung wie den Produzenten A. G. Cook und Sophie fand Charli XCX ihren Sound in dieser Nische. Hyperpop spielt oft mit dem Klischee von zuckersüß-überdrehter Popmusik und stellt ihm aggressive elektronische Elemente entgegen, die oft alles andere als radiotauglich sind.

Das neue Album: „Brat“ markiert eine Veränderung für Charli XCX. Zusammen mit A. G. Cook veröffentlicht sie nun ein Album voll mit Songs für den Club. Mit aggressiven Synthesizern, die nicht nur zum Tanzen einladen, sondern fast schon dazu zwingen. Die Musik klingt so neonfarben und betörend wie das grell-grüne Albumcover.

„Brat“ (zu deutsch: „Göre“) beschreibt einen Charakter, den Charli XCX auf ihrem neuen Album feiern will. Und zwar den von Popstars und Models aus den frühen 2000ern, die sich nicht gefürchtet haben, auch mal chaotisch oder wild vor den Kameras der Paparazzi zu wirken. Was früher Britney Spears war, sollen heute zum Beispiel Charli XCX oder das oft kontroverse Model Julia Fox sein.

Doch „Brat“ ist nicht nur laute Musik zum Feierngehen: In den Texten verstecken sich auch viele emotionale Momente, eine andere Seite des „Brat“-Lebensstils. Nach der wilden Party folgt das melancholische Tief, wenn man mit dem Sonnenaufgang nach Hause geht und anfängt, zu reflektieren. Charli singt zum Beispiel in den Liedern „Girl, so confusing“ und „Sympathy is a knife“ über andere Pop-Stars, durch die sie sich verunsichert und im Vergleich wertlos fühlt.

In den traurigeren Liedern findet man auch den Grund für den Genrewechsel von Charli: Denn nach dem plötzlichen Tod der Produzentin Sophie verabschiedeten sich viele Stars des Hyperpops von der Bewegung. Sophie fiel von einem Dach, weil sie sich den Mond anschauen wollte. Diesen tragischen Unfall verarbeitet Charli in dem Song „So I“. Dabei singt sie voller Reue, dass sie gerne eine bessere Freundin für Sophie gewesen wäre.

Video zum Thema:

Der Einfluss: „Brat“ ist seit Wochen überall in den sozialen Medien. Die vor Selbstbewusstsein strotzenden Singles „Von Dutch“und „360“ feiern Erfolge, das Lied „Apple“ wurde zum viralen TikTok-Trend und der Remix von „Girl so confusing“ mit Sängerin Lorde machte Schlagzeilen, weil die Musikerinnen im Songtext einen Streit untereinander begraben.

Grandiose Musikvideos und ein Albumcover, aus dem jeder ein Profilbild mit dem eigenen Namen basteln kann: Auch das Marketing ist für den Erfolg des Albums essenziell gewesen. Charli mietete kurz vor der Veröffentlichung des Albums eine Wand, auf der mit der Zeit neue Informationen zu den Liedern gemalt wurden.

Die Phrase „Brat“-Sommer verbreitete sich dadurch in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer und beeinflusst nun scheinbar auch die kommende Wahl in den USA: So erklärte Charli XCX mit einem Post auf der Plattform X, dass die potenzielle Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris auch eine Göre sei – im positiven Sinne. Das Wahlkampf-Team von Harris machte sofort Werbung mit dem Kompliment und fährt nun womöglich Erfolge bei jüngeren Wählern ein. Renommierte Medien wie „CNN“ oder die „Zeit“ diskutieren dadurch, was es heißt, eine „Brat“ zu sein. Es gab lange kein Popalbum mehr, das auf diese Weise zum medienübergreifenden Event wurde.

Fazit: „Brat“ ist nicht grundlos so erfolgreich. Jedes Lied ist ein Highlight: Besonders herauszustellen ist noch „Mean Girls“, das mit einem atemberaubenden Klavier-Breakdown das Produktionstalent von A.G. Cook zur Schau stellt. Und „I think about it all the time“ – hier singt Charli XCX über ihren Kinderwunsch. Sie stellt sich die Frage, ob sie eine gute Mutter wäre und den Hedonismus des Clubs hinter sich lassen kann. Emotional, einflussreich, ekstatisch: Der Sommer gehört „Brat“.