Serien

Was fesselt uns so an Serien? Wir klären auf


Tac Romey ist Drehbuchautor, Produzent und Professor an der Filmhochschule München.

Tac Romey ist Drehbuchautor, Produzent und Professor an der Filmhochschule München.

Wer kennt es nicht: Es ist ein Uhr nachts und eigentlich muss man am nächsten Morgen früh raus. Aber eine Folge geht noch. Nur noch eine. So geht es uns mit spannenden Serien. Aktuell gibt es so viele, dass selbst Experten wie Tac Romey nicht wissen, wie viele es sind. Aber der Professor der Hochschule für Fernsehen und Film München kann uns dafür erklären, was Serien so spannend macht.

Wieso sind Serien so spannend?

"Serien lassen uns den Alltag und die Realität vergessen", sagt Tac Romey. Im Kino ist eine Geschichte in 90 Minuten fertig erzählt. Beim seriellen Erzählen dagegen kann man die Figuren über einen längeren Zeitraum begleiten. Das steigert das Verbundenheitsgefühl.

Außerdem macht die Erzählweise Serien so spannend, besonders wenn sie horizontal erzählt sind. Das bedeutet, dass die Handlung in jeder Episode weitergeführt wird. Meistens gibt es am Ende einen Cliffhanger, der neugierig auf die nächste Folge macht. Abgeschlossene Folgen dagegen haben innerhalb einer Episode eine klare Problemstellung, zum Beispiel, die Frage zu klären, wer der Mörder ist. Das nennt man vertikales Erzählen. Es wird auch bei Sitcoms oder im "Tatort" angewendet.

Wieso sind Serien gerade jetzt so angesagt?

Serien sind eine gute Möglichkeit für die Privatsender und Streaming-Dienste (Amazon Prime, Netflix), Zuschauer anzulocken und sie bei der Stange zu halten. Zum einen wollen die Zuschauer wissen, wie es in ihrer Lieblingsserie weitergeht. "Zum anderen können die Sender stärker auf Themen aus Nischen setzen", sagt Experte Tac Romey. Damit grenzen sie sich vom Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender (ARD, ZDF, BR) ab. Denn diese müssen Themen für die breite Mitte anbieten.

In Serien können deshalb differenziertere Geschichten erzählt werden. Beispiel: "Game of Thrones". "Es geht oft um moralisch ambivalente Figuren, die dunkle Seiten haben und sie nicht verstecken", sagt Romey. In solchen Serien könne man sich nie sicher sein, wie es weiter geht. Ob die Lieblingsfigur in der nächsten Folge wohl noch lebt ? Man weiß es nicht. "Ihrerseits geben Serien den Sendern oder Streaming-Diensten ein Gesicht", sagt Tac Romey. Keine andere Serie etwa steht so stark für HBO wie "Game of Thrones". "Neu ist auch der Austausch über Serien in den sozialen Medien", erklärt der Experte weiter. "Außerdem sind Serien mittlerweile oft wie Kinofilme inszeniert, nämlich mit sehr viel Liebe zum Detail." Renommierte Schauspieler, die früher nie in Serien erscheinen wollten, gewinnen Produzenten mittlerweile als Darsteller. Das alles steigert die Qualität von Serien und macht sie so beliebt.

Wieso hinkt Deutschland in Sachen Produktion eigener Serien hinterher?

Amerikanische Produzenten setzen laut Tac Romey schon lange auf Autorenteams. "Es ist anders, eine Geschichte mit mehreren Autoren zu entwickeln, als alleine am Computer zu sitzen", sagt Tac Romey, der selbst Serien produziert ("Der Lack ist ab", demnächst zu sehen auf Amazon Prime). Die neue Serie "Babylon Berlin" (Sky) etwa stammt aus der Feder mehrerer Autoren. Tac Romey verweist auch auf die Serie "Hindafing" des Bayerischen Rundfunks, die die Geschichte eines korrupten Bürgermeisters erzählt und seit September auch auf Netflix läuft.

Bei manchen Serien fiebern die Zuschauer auch nach 25 Jahren noch mit. Was haben die Produzenten richtig gemacht?

"In aller Freundschaft", "Lindenstraße", "The Big Bang Theory", "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Breaking Bad": Es ist nicht einfach zu sagen, was eine Serie erfolgreich macht: Sind es die Figuren, die Themen oder einfach nur die Sendezeit? "Für eine erfolgreiche Serie braucht es vor allem Fans", erklärt Tac Romey. Und wahrscheinlich gehört auch eine große Portion Glück dazu.

Wusstest du, dass...

…die persischen "Erzählungen aus 1001 Nacht" (Überlieferungen aus dem Mittelalter) Meilenstein und Paradebeispiel des seriellen Erzählens sind?

…das Wort Cliffhanger auf eine Serie im 19. Jahrhundert zurückgeht, die in der Zeitung gedruckt wurde (1873)? In einer Szene hängt ein Mann über dem Abgrund. Wie es mit ihm weiterging, blieb zunächst offen.

Quelle: Markus Schleich/Jonas Nesselhauf: Fernsehserien. Geschichte, Theorie, Narration. 2016.

Von Serien und Seifen

Serien sind nichts Neues. Einen ersten Hype gab es, als Zeitungen Fortsetzungsromane druckten. Später nutzten Radiosender das Genre, um Hausfrauen anzulocken. Es folgten Jahrzehnte großer Produktionen. Ein Rückblick.

Serien liegen seit einigen Jahren voll im Trend, sind aber nichts Neues. Die Anfänge reichen zurück bis ins 19. Jahrhundert. In dieser Zeit können plötzlich mehr Menschen lesen als zuvor. Etwas zu drucken, ist dank neuer Technik außerdem günstiger geworden. Deshalb drucken Zeitungen Fortsetzungsromane, etwa von Charles Dickens. Denn so kaufen die Leser regelmäßig ihre Zeitungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Radio ein wichtiges Medium ist, gibt es in den USA erste Serien zum Hören. Firmen für Haushaltswaren und Hygieneartikel schalten Werbung und wollen mit Serien ihre Zielgruppe - Hausfrauen - erreichen. Der Seifenhersteller "Procter & Gamble" ist eines dieser Unternehmen. So entsteht der Begriff Seifenoper. Als das Massenmedium Fernsehen in die Wohnzimmer einzieht, wechseln die Serien auf die Bildschirme.

Erstes goldenes Serienzeitalter

50er- und 60er-Jahre: Serien werden in dieser Zeit fast ausschließlich in den USA produziert. Dort entstehen Seifenopern, Western- und Krimiserien. Zu den berühmtesten gehört "Bonanza" (1959 bis 1973). Auch erste Sketch-Serien, Sitcoms, werden gedreht. Dabei zeigt man tatsächlich die Dreharbeiten vor Publikum. So entsteht die Studio-Atmosphäre, die man noch heute kennt. Im deutschen, öffentlich-rechtlichen Fernsehen werden, wenn überhaupt, amerikanische Serien gezeigt.

1970er-Jahren: In den 70er-Jahren werden Serien spannender. Sie sind so gedreht, dass man eine Folge auch verpassen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder einsteigen kann. Die Charakterentwicklungen schaffen Anreize, der Serie treu zu bleiben. Die berühmtesten aus dieser Zeit sind "Starsky & Hutch" (1975 bis 1979) oder "Charlie's Angels" (1976 bis 1981).

Zweites goldenes Serienzeitalter

1980er-Jahre: In den 80ern entstehen in den USA aufwendiger produzierte Serien. Die berühmteste ist wohl "Dallas" (1981 bis 1990). Auch "Knight Rider" (1982 bis 1986) oder das "A-Team" (1983 bis 1987) stammen aus dieser Zeit. In Deutschland entstehen jetzt die ersten werbefinanzierten Privatsender wie RTL, Sat.1 und ProSieben. Sie bringen amerikanische Serien verstärkt ins deutsche Fernsehen. Die öffentlich-rechtlichen Sender ziehen nur langsam nach, drehen erstmals aber auch selbst: Die erste Folge "Lindenstraße" (WDR) wird 1985 ausgestrahlt.

In den USA werden Pay-TV-Kanäle gegründet, also Sender, die man nur sehen kann, wenn man dafür bezahlt. Sie unterliegen nicht der amerikanischen Regulierungsbehörde. Ein solcher Sender ist HBO (Home Box Office). Diese Sender können sich Themen annehmen, die komplizierter sind. Bezahlsender sind nicht auf Einschaltquoten angewiesen.

1990er-Jahre: Mit der DVD kommt für die Privatsender eine große Konkurrenz auf den Markt. Mit Werbefreiheit können sie nun keine Abonnenten mehr anlocken. Sie beginnen deshalb, eigene Serien zu entwickeln. In den USA läuft "Baywatch" (1989 bis 2001). In Deutschland gehen Seifenopern wie "Verbotene Liebe", "Marienhof" oder "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" an den Start.

Drittes goldenes Serienzeitalter

2000er-Jahre: Da Bezahlkanäle werbefrei sind, können Serien langsamer erzählt werden. Das steigert die Qualität. Gute Skripte locken Schauspieler und Regisseure. Durch Wiederholungen am Serien-Anfang kann man verpasste Teile nachholen. "Sex and the City" stammt aus dieser Zeit.

2010er-Jahre: Video-on-Demand-Anbieter setzen auf dasselbe Modell: Werbefreie Inhalte sollen Abonnenten anlocken. Dass alle bereits ausgestrahlten Folgen immer erhältlich sind, ersetzt die Wiederholungen im Fernsehen und ermöglicht dieselbe verschachtelte Erzählweise. Beispiele: "Game of Thrones" (seit 2011), "Orange is the New Black" (seit 2013), "Transparent" (seit 2014).

In Anlehnung an Markus Schleich/Jonas Nesselhauf: Fernsehserien. Geschichte, Theorie, Narration. 2016.

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Chemielehrer Walter "Walt" Hartwell White (hinten) mutiert zum Drogenboss: "Breaking Bad" gehört zu den erfolgreichsten und beliebtesten Serien der vergangenen Jahre.

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"Baywatch" mit Pamela Anderson war eine der erfolgreichsten Serien der 90er-Jahre.