Politik zum Verstehen
#IBster: Rechtsextremismus-Experte Jan Nowak über die „Identitäre Bewegung“
18. September 2017, 12:10 Uhr aktualisiert am 18. September 2017, 12:10 Uhr
Springerstiefel, Glatze, Bomberjacke - so stellen sich viele den "typischen Neonazi" vor. Doch dieses Klischee-Denken ist gefährlich. Längst haben rechte Gruppierungen erkannt, wie sie sich inszenieren müssen, um junge Leute zu erreichen und ihr menschenfeindliches Gedankengut zu verbreiten. Immer wieder ist dabei von der "Identitären Bewegung" die Rede. Wir haben mit dem Rechtsextremismus-Experten Jan Nowak über die Gruppierung gesprochen. Fünf Fragen, fünf Antworten.
Was ist die "Identitäre Bewegung"?
Die "Identitäre Bewegung" (IB) versteht sich als europäische Jugendbewegung. Ihre Ursprünge liegen in Frankreich. In Deutschland tritt die IB seit 2012 in Erscheinung. Anfangs waren die Akteure fast ausschließlich in sozialen Netzwerken anzutreffen, erst seit 2015 nehmen die Aktivitäten zu. Am bisher "erfolgreichsten" war die Besetzung des Brandenburger Tors vor einem Jahr. Mit dieser provokativen Aktion schafften es die Akteure, dass viele Medien darüber berichteten - dadurch konnten sie ihren Bekanntheitsgrad erheblich steigern. Zurzeit macht die Gruppierung Schlagzeilen mit ihrer Aktion "Defend Europe". Mit einem gecharterten Schiff wollen die rechtsextremen Aktivisten verhindern, dass weiter Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa kommen.
Welche Ziele verfolgt die IB?
Nach außen distanzieren sich die Identitären von Neonazis und Rassisten. Jedoch ist der Rassismus laut Jan Nowak nur verklausuliert. Statt von "Rassen" sprechen Neurechte von "Kulturen". Die seien angeblich klar zu unterscheiden, ihre "Vermischung" führe zwangsläufig zu Konflikten. Deshalb müsse eine strikte Trennung stattfinden. Besonders im Fokus der Identitären sind Muslime. Die seien angeblich "zu anders", als dass sie Europa leben könnten.
Das zentrale Thema der IB ist "Der große Austausch", also die Vorstellung, dass die Deutschen durch eine gezielte Masseneinwanderung ausgetauscht werden sollen. Deshalb gehen die Identitären mit allen Mitteln gegen eine vermeintliche "Überfremdung" und "Islamisierung" vor. Sie nutzen Text- und Videoblogs, Twitter, Youtube, Instagram oder Facebook, um ihre menschenfeindlichen Positionen zu transportieren. Die Akteure geben sich dabei jung und modern, zum Beispiel verwenden sie den Hashtag #IBster in Anlehnung an den Begriff Hipster. "Ziel ist das Einwirken auf politische Debatten und die Prägung von Begriffen und Bildern sowie Emotionalisierung", heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
Wer sind die Akteure?
Jugendlichkeit, Aktionismus, Popkultur und eine "Corporate Identity": Durch diese vier Merkmale zeichnen sich die Identitären laut der Bundeszentrale für politische Bildung aus. Das Alter der Aktivisten reiche ungefähr von 15 bis 35 Jahren. Jan Nowak vergleicht die Vorgehensweise der Identitären mit einer Werbeagentur: Die Aktiven schafften es, sich selbst durch provokative Aktionen in Szene zu setzen und davon Bilder und Emotionen - oft mit "Erlebnischarakter" - zu transportieren. Ihre Zielgruppe seien vor allem Studenten. In Deutschland gebe es rund 150 dauerhaft öffentlich Aktive, davon stammten etwa ein Dutzend aus Bayern. Ortsgruppen gibt es in Ostbayern in Regensburg, Deggendorf und Passau.
Wie gefährlich ist die IB?
Zahlenmäßig spielen die Identitären laut Jan Nowak keine große Rolle. Jedoch hätten es die wenigen Aktiven geschafft, die Identitären durch Öffentlichkeitsarbeit zu einer der wahrnehmbarsten rechtsextremen Gruppen im deutschsprachigen Raum zu machen. Seit 2016 werden Identitäre in Deutschland vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Auch die Radikalisierung der Identitären sei besorgniserregend: Am Rande von Demonstrationen sei es vermehrt zu gewalttätigen Übergriffen gekommen.
Welche Rolle spielen Frauen?
Zwar postieren die Identitären bei Demonstrationen Frauen in vorderster Reihe - das sei jedoch laut Jan Nowak nur ein weiterer Teil der Inszenierung, als modern gelten zu wollen. Denn das Frauenbild der Identitären - so wie überhaupt in der rechten Szene - sei ein völlig anderes: Frauen würden in erster Linie als Mütter betrachtet, während Männer als "Ernährer und Verteidiger von Familie, Volk und Heimat" gesehen werden. Der Feminismus sei daher ein wichtiges Feindbild. Genauso verhalte es sich mit der gleichgeschlechtlichen Liebe, so Jan Nowak. Denn Partnerschaft werde von den Rechten primär als Mittel zur Erhalt des eigenen Volkes gesehen - alles, was nicht dazu beitrage, werde bekämpft, zum Beispiel die kürzlich beschlossene "Ehe für alle".
Zum Lesen
Im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben" ist die Broschüre "Bewegung am rechten Rand - Ein Überblick zur extremen Rechten abseits des Neonazismus" entstanden - erhältlich beim Integrationsbeauftragten Roman Schaffner (roman.schaffner@straubing.de). Einen guten Überblick bietet auch der Artikel "Die Identitären - mehr als nur ein Internet-Phänomen", abrufbar bei der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de).