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Gefangen im Netz


Simon Franz ist derOnline-Sucht noch nicht verfallen. Ein bisschenChatten und ein paar Spiele haben noch niemandem geschadet, solange es in Maßengeschieht. Wir möchten daraufhinweisen, dass der zitierte Erfahrungsbericht nicht von Simon stammt.

Simon Franz ist derOnline-Sucht noch nicht verfallen. Ein bisschenChatten und ein paar Spiele haben noch niemandem geschadet, solange es in Maßengeschieht. Wir möchten daraufhinweisen, dass der zitierte Erfahrungsbericht nicht von Simon stammt.

Von Simon Franz

"Ich habe keinen meiner alten Freunde mehr, von meiner damaligen Freundin ganz zu schweigen. Ich habe nach 16 Jahren meinen Sport aufgegeben, führe meine Hobbies nicht mehr aus und das Klavier wurde seit mehr als einem Jahr nicht mehr angefasst. Ich habe 15 Kilogramm zugenommen. (...) Ich sehe blass und ungesund aus. Meine Sehkraft hat sich um 25 Prozent reduziert. In der Uni kann ich dem Unterrichtsstoff schon seit geraumer Zeit nicht mehr folgen. (...) Ich weiß, dass ich in den letzten zwei Jahren im realen Leben nichts erreicht habe. Ich weiß, dass ich eher zehn Schritte zurückgemacht habe. Wo könnte ich jetzt stehen, wenn ich die mittlerweile fast 5000 Stunden Spielzeit in etwas anderes investiert hätte. Ich fühle mich immer noch unwohl und kann mich selbst nicht verstehen, wie ich nach (...) all diesen Erkenntnissen immer noch eine ungeheure Lust verspüre, mich sofort wieder einzuloggen..."


schreibt ein Betroffener im InternetWas versteht man unter Sucht bzw. Abhängigkeit?
Sucht ist das unabweisbare Verlangen nach einem Gefühls-, Erlebnis- oder Bewusstseinszustand. Man sollte aber zwischen Sucht und Gewöhnung unterscheiden. Sucht baut auf Gewöhnung auf. Neuerdings benutzt man anstatt Sucht eher den Ausdruck Abhängigkeit.

Kann man bei Online-Sucht von einer Krankheit sprechen?
Das ist noch nicht endgültig ausdiskutiert. Es ist möglich, dass Onlinebeschäftigungen Suchtcharakter haben. Dazu müssen aber einige Kriterien erfüllt sein. Zum einen starkes Verlangen. Bei Fällen, die ich kennen gelernt habe, war dies ganz entscheidend. Diese Personen konnten ohne Internet nicht leben. Weitere Suchtcharakteristika sind eine verminderte Kontrollfähigkeit, Entzugserscheinungen wie beispielsweise erhöhte Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen, eine verstärkte Toleranzentwicklung und die fortschreitende Vernachlässigung sozialer Kontakte und Pflichten. Wenn jemand von 24 Stunden über zehn online verbringt, wird er einfach etwas vernachlässigen müssen.

Gibt es Beschäftigungen, die suchtförderndes Potential haben?
Ja , sogenannte MMORPGG's (Massively Multiplayer Online Role Play Games). Das bekannteste darunter ist derzeit "World of Warcraft". Da man interaktiv mit anderen Teilnehmern spielt, "lohnt" es sich erst ab mehreren Stunden Spielzeit. Mein extremster Fall verbrachte 20 Stunden pro Tag in diesem Spiel.

Merken die Betroffenen, dass sie süchtig sind?
Meistens erst, wenn es Konsequenzen hat. Wenn Familienangehörige sie darauf ansprechen. Bei alleinlebenden Personen, bei denen niemand eingreift, ist es dagegen schwierig. Die können ihren Tag ja selbst planen.

Können bestimmte Altersgruppen oder Menschentypen als besonders gefährdet eingestuft werden?
Grundsätzlich Personen, die eine erhöhte Sensibilität zu Computern haben. Der Stereotyp ist jung und männlich. Er hatte schon viel mit Computern zu tun und ganze Computerspielpaletten gespielt. Er landet bei diesen faszinierenden Spielen. Wenn man sich überlegt, wie laboriert solche Spiele sind, ist eine gewisse Faszination verständlich.

Der Einstieg geht dann auch recht schnell. Was mich persönlich fasziniert, sind die sogenannten "Gilden". Das sind hierarchisch aufgebaute Zusammenschlüsse von Spielern im Spiel. Sie stellen für die Betroffenen vermeintlich echte Beziehungen dar. In einem konkreten Fall bedeutet dies, dass der Betroffene seine Gildenmitglieder sogar kennt und sich mit diesen trifft. Steigt er aber aus, sind diese Freundschaften weg. Soll der Spieler, der im wirklichen Leben wenig Kontakte, im Spiel aber eben diese Onlinekontakte hat, mit dem Spielen aufhören, ist das wie ein totaler Entzug.

Das heißt die Betroffenen stellen sich durch ihre Sucht ins soziale Abseits?
Ja, aber nicht aus einer bewussten Entscheidung heraus, sondern sie driften unmerklich in diese Richtung.

Handelt es sich bei den Betroffenen nicht um typische Stubenhocker, die den ganzen Tag im Haus vor ihrem PC sitzen?
Nicht unbedingt. Wenn sie echt leben, haben sie zu jeder Zeit Beziehungen. Aber es gibt unterschiedliche Menschen. Die einen sind eher extrovertiert, andere introvertiert. Sozial engagierte Menschen sind weniger gefährdet. Welche Kriterien wie stark eine Rolle spielen, kann bisher noch nicht gesagt werden. Aus bisherigen Untersuchungen weiß man aber, dass diese Sucht oft mit anderen Diagnosen einhergeht. Ängstlichkeit, soziale Isolierung, Realitätsferne. Das muss aber nicht sein.

Wie sieht der Alltag einer solchen Person aus? Sie sprachen vorher ein Beispiel an, mit 20 Stunden Computerspielen pro Tag.
Beispiel Student: Er geht in seine Vorlesungen, kommt nach Hause und schaltet den PC an. Dann ist er im Spiel drin und er kann nicht aufhören, denn sonst ist das Ziel des Spieles nicht erfüllt. Das zieht sich bis spät abends hin. Bis die Augen zufallen oder seine Spielmitglieder aufhören. Am nächsten Tag geht er, wenn überhaupt, nur mit Mühe in die Vorlesung. Es ist keine Zeit mehr für andere Alltagsbeschäftigungen. Er kommt heim und muss spielen.

Wann ist die Online-Sucht erreicht?
Wie bei fast jeder Sucht spricht man auch hier davon, wenn Schäden auftreten oder zu erwarten sind. Wenn jemand seine Ausbildung oder seinen Job vernachlässigt, um zu spielen. Wenn sich jemand sozial isoliert. Wenn er körperliche Schäden durch mangelnde Bewegung oder Fehlernährung bekommt.

Wann kommen Sie als Suchtberater ins Spiel?
Die betroffenen Personen kommen, zu mir, wenn ein Problem vorliegt, etwa in Form einer drohenden Kündigung oder eines Schulverweises. Oder aber auf Anraten von nahestehenden Personen. Eine junge Frau wandte sich zum Beispiel an mich, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, dass ihr Freund nur noch im Internet ist.

Wie treten sie an die Onlinesüchtigen heran?
Im Moment gibt es noch keine Onlinesuchttherapie. Aber es besteht eine sehr hohe Ähnlichkeit zu anderen Süchten. Also im Grunde geht es darum, eine Abstinenz herbeizuführen. Das heißt, den Gebrauch einschränken, sich abmelden. Die Person muss sich lossagen von allen Onlinekontakten, am besten auch ganz offiziell. Trotz allem sollte derjenige noch in der Lage sein, das Medium Internet zu nutzen. Dann wäre es wichtig, herauszufinden, wo die Gründe für das Suchtverhalten liegen. Hilfreich wären auch Selbsthilfegruppen, in denen Betroffene in der nicht-virtuellen Welt wieder menschliche Kontakte erleben.


Nähere Informationen zur Online-Sucht findet Ihr hier.



Fachambulanzen für Suchtprobleme der Caritas:
Cham: 09971 / 8469 - 15
Deggendorf: 0992 / 37 41 00 - 0
Dingolfing: 08731 / 31 60 - 50
Landshut: 0871 / 805 - 160
Regensburg: 0941 / 50 21 - 119
Straubing: 09421 / 9912 - 24

Dr. phil. Adolf Heigl ist psychologischer Psychotherapeut. Er leitet die Caritas Fachambulanz in Straubing. Betroffene können sich gerne unter beratung@suchtambulanz-straubing.de oder 09421-9912-24 näherinformieren.

Dr. phil. Adolf Heigl ist psychologischer Psychotherapeut. Er leitet die Caritas Fachambulanz in Straubing. Betroffene können sich gerne unter beratung@suchtambulanz-straubing.de oder 09421-9912-24 näherinformieren.