Experte im Interview
Was Einsamkeit aus Menschen machen kann
5. Juli 2020, 8:00 Uhr aktualisiert am 5. Juli 2020, 8:00 Uhr
Wie wirkt sich Einsamkeit auf einen Menschen aus? Vor allem in Zeiten des Corona-Lockdowns sahen sich viele Menschen mit diesem für sie neuen Gefühl konfrontiert. Der Wegfall sozialer Kontakte und Tag ein, Tag aus die selbe Tristesse. Ab wann kann Einsamkeit für die Psyche gefährlich werden und wie kann man dem entgegensteuern? Antworten darauf liefert Prof. Dr. Thomas Loew, Leiter der Abteilung für Psychosomatik am Universitätsklinikum Regensburg, im Interview mit idowa.
Herr Prof. Dr. Loew, gibt es aus psychologischer Sicht eine Definition für den Begriff Einsamkeit?
Prof. Dr. Thomas Loew: Das lässt sich am besten von der anderen Seite her aufzäumen. Menschen sind grundsätzlich soziale Wesen. Wir sind also in jeder Lebensphase darauf angewiesen, dass es Menschen um uns herum gibt, mit denen wir uns ergänzen. Das ist biologisch begründet. Denn wenn Menschen sich bei den Pflichten des Lebens abwechseln können, haben sie weniger Stress und können diese Dinge leichter meistern. Grundsätzlich muss man auch zwischen alleine sein und Einsamkeit unterscheiden. Alleine ist man als Mensch in vielen Lebenssituationen, empfindet das allerdings nicht als störend. Einsamkeit dagegen ist ein Gefühl ähnlich der Angst.
Wie gefährlich kann denn dauerhafte Einsamkeit für die Psyche eines Menschen sein?
Prof. Dr. Loew: Es ist definitiv ein Stressfaktor. Der Übergang zwischen alleine sein und einsam sein ist ein gradueller. Das hat sehr viel damit zu tun, wie wir innerlich das Gefühl von Zweisamkeit und Geborgenheit konstruieren können. Ob wir also in der Lage sind, uns noch an Situationen zu erinnern, die uns gut getan haben, in denen wir aber eben nicht einsam waren.
Einsamkeit als Symptom einer Depression
Kann Einsamkeit unter Umständen sogar eine Vorstufe zu einer Depression sein?
Prof. Dr. Loew: Ja, das ist ein Symptom. Es ist sozusagen wechselseitig befruchtet. Es gibt Menschen, die depressiv sind und sich als Folge der Depression einsam fühlen. Sie fühlen sich unverstanden und nicht gebraucht, obwohl sie Menschen um sich herum haben. In dem Fall ist es also ganz klar ein Symptom ihrer Krankheit.
Gibt es denn Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland von Einsamkeit betroffen sind?
Prof. Dr. Loew: Da muss man etwas weiter ausholen. In Deutschland sind über die Hälfte aller Haushalte Singlehaushalte. Das hört sich zunächst sehr dramatisch an. Wenn man das allerdings in Altersgruppen durch dekliniert, dann kann man sagen, dass Kinder und Jugendliche in der Regel immer mit jemandem zusammenleben. Diese Altersgruppe fällt daher also schon mal weg. Dann gibt es die Gruppe junger Menschen, die es aus welchen Gründen auch immer bevorzugt, allein zu leben. Dagegen hat man eine immer stärker zunehmende Gruppe von über 70-jährigen Menschen, die alleine lebt - sei es, weil sie getrennt leben oder weil der Partner verstorben ist.
Inwieweit begünstigt denn der Wandel der Zeit auch derartige Entwicklungen?
Prof. Dr. Loew: Wir leben mittlerweile in einer Zeit der Ein-Kind-Familien und der wirtschaftlichen Selbständigkeit. Da, wo man also früher die Lebensaufgaben gemeinsam mit der ganzen Familie bewerkstelligte, ist es heutzutage eher möglich, das alleine zu meistern - auch finanziell.
Es gibt ja auch Menschen, die bewusst isoliert leben. Wirkt sich auf diese Menschen das Gefühl von Einsamkeit anders aus als bei Menschen, die gezwungenermaßen inmitten der Gesellschaft Einsamkeit erleben?
Prof. Dr. Loew: Das kann unter Umständen so sein, ja. Es gibt zum Beispiel in der Bevölkerung eine kleine Gruppe von Autisten. Diese Menschen brauchen keine anderen Menschen. Ein Autist fühlt sich durch andere Menschen sogar eher gestört und kann mit Gefühlen nichts anfangen.
Haustiere können helfen
Und die Menschen, die unter Einsamkeit leiden? Können Haustiere dieses Gefühl lindern oder den Kontakt zu Menschen sogar adäquat ersetzen?
Prof. Dr. Loew: Haustiere spielen dabei eine ganz wichtige Rolle. Man kann durch den Kontakt mit Haustieren ein Gefühl von Wohlbefinden erzeugen. Das lässt sich auch messen. Wenn man einen Hund streichelt, geht der Blutdruck runter und Oxytocin wird ausgeschüttet, ähnlich wie wenn man einen Menschen liebt. Dass ein Haustier aber eins zu eins den Kontakt zu Menschen ersetzen kann, würde ich allerdings nicht unterschreiben.
Sehen Sie durch den monatelangen Lockdown eine steigende Gefahr für Menschen, die erstmals in ihrem Leben mit diesem Gefühl von Einsamkeit konfrontiert wurden? Könnten diese Menschen damit überfordert sein?
Prof. Dr. Loew: Vor allem bei alten Menschen hatte man genau dieses Problem. Denn die meisten alten Menschen leben alleine und ihnen ist von einen auf den anderen Tag ihr soziales Netzwerk weggebrochen.
Wirkt sich das insbesondere bei alten Menschen nicht nur auf die Psyche, sondern auch auf die Physis aus?
Prof. Dr. Loew: Definitiv. Das habe ich auch bei mir in der Familie erlebt. Meine Mutter ist jetzt über 90 Jahre alt und war schon ein bisschen dement. Aber wenn ich ihre Entwicklung in den letzten fünf Jahren und den vergangenen drei Monaten vergleiche, dann hat sie während des Lockdowns deutlich abgebaut. Am Schluss erkannte sie mich am Telefon nicht mehr.
Wege aus der Einsamkeit
Aber nicht nur alte Menschen wurden in dieser Zeit ja sozusagen überfallartig mit dieser neuen Situation des ständigen Alleinseins konfrontiert.
Prof. Dr. Loew: Ja, das hat viele Altersgruppen betroffen. Viele haben sich auf einmal mit der Frage beschäftigt: "Was passiert mit mir, wenn ich keine sozialen Kontakte mehr habe?" Auch die Lebenssituation spielt dabei eine gravierende Rolle. Wenn man zum Beispiel nur in einer kleinen Wohnung mit 26 Quadratmetern lebt, dann kann es richtig schwierig werden.
Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, wie man angesichts dieser Umstände der Einsamkeit entrinnen kann?
Prof. Dr. Loew: Das Entscheidende ist, dass man Beziehungen pflegt, sich umeinander kümmert und sich dadurch sozusagen Räume schafft, die einen auffangen.
Nun haben wir ja die ganzen negativen Auswirkungen von Einsamkeit thematisiert. Kann dieses Gefühl unter Umständen aber auch einen positiven Effekt auf manche Menschen haben?
Prof. Dr. Loew: Wir leben natürlich in einer Zeit der maximalen Reizüberflutung. Eben diese Reize zu reduzieren, stellt im ersten Moment vielleicht eine Herausforderung dar, bietet dann aber eine gute Möglichkeit, aus weniger mehr zu machen.