Isolation und Einsamkeit
Was die Corona-Krise mit psychisch kranken Menschen macht
2. Dezember 2020, 16:30 Uhr aktualisiert am 2. April 2023, 10:03 Uhr
2020 - ein Jahr im Zeichen von Corona. Seit dem Frühjahr dominiert die Pandemie täglich die Schlagzeilen. Und die damit verbundenen Einschränkungen haben den Alltag eines jeden Einzelnen verändert. Das bedeutet mitunter auch eine hohe psychische Belastung. Wie aber gehen Menschen damit um, die bereits vor Corona etwa an einer Depression erkrankt waren? Und wie wirkt sich der psychische Druck auf Arbeitnehmer aus?
Wie aus einem Bericht der Deutschen Depressionshilfe hervorgeht, haben Menschen mit Depressionen allgemein stärker unter dem Lockdown im Frühjahr gelitten als die Allgemeinbevölkerung. Sie hatten zwar nicht mehr Angst, sich mit Covid-19 anzustecken, heißt es in dem "Deutschland-Barometer Depression 2020", aber der Lockdown wurde deutlich belastender erlebt. "So leiden Betroffene fast doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur wie die Allgemeinbevölkerung", heißt es in dem Bericht. Jeder zweite Betroffene habe zudem von ausgefallenen Behandlungsterminen beim Facharzt oder Psychotherapeuten während des Lockdowns berichtet.
Demenz und Corona - Gefühl tiefer Einsamkeit
Seit Anfang November nun der zweite Lockdown. Und wieder befinden sich vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen in einer Spirale aus Isolation, Einsamkeit und Angst. Das bestätigt auch Prof. Dr. Wolfgang Schreiber, ärztlicher Direktor des Bezirksklinikums Mainkofen, gegenüber idowa: "Auch wenn sich die große Mehrheit der psychisch erkrankten Menschen in der Patientengemeinschaft aufhalten kann, so entsteht bei vielen doch ein Gefühl tiefer Einsamkeit, wenn die Angehörigen ausbleiben müssen. Zudem entfällt auf Grund der Hygienegebote der Austausch von Zärtlichkeiten, die Patientinnen und Patienten erleben sich oft als wahrhaft 'Unberührbare'". Seiner Erfahrung nach würden körperlich erkrankte Patienten in den Kliniken wesentlich besser mit den strengeren Besuchsregeln zurechtkommen, als psychiatrische Patienten. Der Grund: Letztere müssen sich oft wochenlang, wenn nicht sogar über mehrere Monate hinweg, in Kliniken behandeln lassen.
Dem ärztlichen Direktor des Bezirksklinikums Mainkofen ist in diesem Zusammenhang aber auch wichtig, dass die aktuelle Situation aus Lockdown, dunkler Jahreszeit und Vorweihnachtszeit nicht nur depressive Menschen stark belastet. "Das betrifft Patienten aus dem gesamten Bereich der Gerontopsychiatrie", berichtet Prof. Dr. Schreiber. Die Gerontopsychiatrie beschäftigt sich mit den psychiatrischen Erkrankungen von Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter. Dabei sei der Anteil der Patienten mit einer akuten Psychose oder einer Abhängigkeitserkrankung in etwa gleichgeblieben. Abgenommen habe dagegen der Anteil an Psychotherapie-Patienten. Das hat einen einfachen Grund. Prof. Dr. Schreiber: "Hierfür spielen Kontaktsperren und die Unmöglichkeit sozialer Wiedereingliederungsversuche eine wesentliche Rolle."
Einen Unterschied zum ersten Lockdown im Frühjahr hat Prof. Dr. Schreiber im Bezirksklinikum Mainkofen ausgemacht: Es gibt etwas weniger Einweisungen aus Altenheimen im jetzigen Lockdown. Eine mögliche Ursache dafür sei demnach die Befürchtung der Heimträger, zu viele Patienten erst einmal in Quarantäne aufnehmen zu müssen. "Diese mehrtägige Quarantäne wird oft als massive Belastung empfunden, die Gefühle des Verlassenwerdens und der Verzweiflung hervorruft, gerade bei Demenzpatienten, die oft den Sinn und Zweck dieser Maßnahmen nicht verstehen und sich auch gar nicht an sie halten können", erklärt der Mediziner. Schon die allgemeinen Hygieneregeln wie Mund-Nase-Schutz oder Abstand halten würden oft das Verständnis in dieser Patientengruppe übersteigen, die Regeln werden schlicht "vergessen".
Längere Ausfallzeiten bei Arbeitnehmern wegen psychischer Erkrankungen
Doch wie wirkt sich die psychische Belastung auf die Menschen aus, die jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit oder in ihrem Beruf die Folgen der Corona-Krise zu spüren bekommen? Auch hier ist eine Tendenz in Bayern erkennbar, wie eine Sprecherin der AOK Bayern gegenüber idowa bestätigt: "Bei den Krankschreibungen erwerbstätiger AOK-Versicherter wegen psychischer Erkrankungen zeigt sich nach einem stetigen Anstieg in den vergangenen Jahren heuer erstmals wieder ein Rückgang der Arbeitsunfähigkeitsfälle (AU). Die aktuellen Analysen weisen von Januar bis August 2020 im Durchschnitt 9,6 AU-Fälle je 100 bayerische AOK-Mitglieder wegen psychischer Erkrankungen aus. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren dies noch 10,5 AU-Fälle. Bayern liegt damit unter dem Bundesdurchschnitt, der bei 11,1 AU-Fällen liegt. Gleichzeitig stieg die Dauer eines durchschnittlichen psychisch bedingten Arbeitsunfähigkeitsfalls bei den AOK-Mitgliedern im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als drei Tage - von 25,9 Tagen auf 29,1 Tage." Das bedeutet im Klartext: Zwar etwas weniger Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen, dafür aber eine deutlich längere Ausfallzeit.
Die mögliche höhere psychische Belastung durch die Corona-Pandemie hat in Bayern dagegen nicht zu mehr Selbsttötungen geführt. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) hervor. Demnach ist die Suizidrate im Freistaat in diesem Jahr sogar etwas niedriger als in den Vorjahren. Auffällig ist allerdings, dass Bayern nach wie vor das Bundesland mit der höchsten Suizidrate ist. In Deutschland sterben jedes Jahr mehr Menschen durch Selbsttötung als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und Drogen zusammen.
Hinweis
Wenn Sie mit einem Menschen über Ihre Ängste, Gefühle oder Sorgen sprechen möchten, können Sie kostenlos die Telefonseelsorge anrufen unter 0800-1 11 02 22 oder 0800-1 11 01 11. Die Telefonseelsorge ist ein Beratungs- und Seelsorgeangebot der römisch katholischen und der evangelischen Kirche.