Bayern
Siko-Demos in München: Alle reden vom Frieden und meinen doch Unterschiedliches
19. Februar 2023, 18:13 Uhr aktualisiert am 19. Februar 2023, 18:13 Uhr
München - Mitten in der Menge stehen drei Ukrainerinnen. Beinahe trotzig stimmen sie die Nationalhymne ihres Landes an. Sie halten Schilder in den Händen. "Schwere Waffen für die Ukraine" steht auf einem, "Harte Sanktionen gegen Russland" auf dem anderen, und "Russland ist ein Terror-Staat" auf dem dritten. Die beherrschenden Farben am Samstag auf dem Odeonsplatz sind Gelb und Blau, überall wehen ukrainische Flaggen im recht böigen Wind.
Sibylle P. hat sich bewusst für die Pro-Ukraine-Kundgebung entschieden: "Putin wird erst zum Frieden bereit sein, wenn er erkennt, dass er den Krieg nicht gewinnen kann", sagt die Münchnerin, die zusammen mit einer ukrainischen Freundin zur Demo gekommen ist. "Waffenlieferungen sind leider notwendig", sagt sie, "davon bin ich fest überzeugt."
"Die Menschen sind Opfer eines Angriffskriegs"
Holger B. aus Hessen hält ein Plakat mit einem Leoparden in der Hand. Auch er ist für Panzerlieferungen: "Ich bin nicht für Krieg", sagt er, "aber das Land muss sich verteidigen und dabei sollte der Westen helfen."
Auf die Frage, warum sie am Odeonsplatz stehen und nicht ein paar Hundert Meter weiter am Königsplatz - dort demonstrieren zur selben Zeit nach Polizeiangaben rund 10 000 Menschen, fällt die Antwort bei beiden knapp aus: "Die machen sich dort die Realität nicht klar, die Menschen in der Ukraine sind die Opfer eines Angriffskriegs."
Vor die Feldherrnhalle sind etwa 1000 Menschen gekommen. In Sprechchören rufen die Ukrainerinnen und Ukrainer: "Danke Deutschland für die Hilfe" und "Wir wollen leben". "Stoppt den Genozid".
Als die Demonstration des linken Münchner Friedensbündnisses am Odeonsplatz in die Residenzstraße einbiegt, dröhnen altbekannte Parolen aus den Lautsprechern der Siko-Gegner: "Stoppt die Nato" und "deutsche Waffen, deutsches Geld morden mit in aller Welt".
Die bis dahin friedliche Stimmung unter den Ukraine-Unterstützern kippt augenblicklich: "Lumpen-Pazifisten", schreien manche und "geht doch zu Putin". Dazu kommt aus Lautsprechern: "Danke Deutschland für die Hilfe". Einige Ukrainerinnen brechen in Tränen aus, als sie die Plakate der Rüstungsgegner sehen: "Verhandeln statt Schießen" steht darauf. Viele Geflüchtete aus der Ukraine empfinden solche Parolen angesichts des Leids in ihrem Land als puren Zynismus.
Die Anti-Siko-Demonstranten (etwa 2400) ziehen zum Marienplatz. Zu Übergriffen kommt es nicht. Die Polizei steht mit einem Sperrriegel zwischen beiden Lagern.
Wenig später betreten Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) die Bühne am Odeonsplatz. Hofreiter ruft: "Bei der Diskussion um jeden einzelnen Panzer brauchen wir eure Unterstützung." Nur wenn so viele Waffen wie möglich in die Ukraine kämen, werde Putin verstehen, dass er den Krieg verlieren werde.
Der Jubel auf dem Platz wird noch lauter, als Hofreiter sagt: "Wie kommen Leute nur auf die Idee, dass der Aggressor plötzlich verhandeln möchte?"
"Der Weltfrieden wurde aus den Angeln gehoben"
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, von Anti-Siko-Demonstranten kurz zuvor noch als "Mensch gewordene Rüstungsaktie" beschimpft, stimmt in die "Slavi Ukraini"-Rufe ein und sagt: "Der Weltfrieden wurde aus den Angeln gehoben. Das ist eine europäische, eine Weltkatastrophe."
Der Frieden wird auch immer wieder lautstark auf dem Königsplatz beschworen. Dutzende Fahnen mit der Friedenstaube flattern im Wind, dazu Pace-Fahnen. Dazwischen wehen aber auch russische Fahnen. Diether Dehm, Komponist und Politiker der Linken, gegen den aber derzeit ein Parteiausschlussverfahren läuft, spricht von "ukrainischen Killerbanden und Nazi-Faschisten". Er stimmt auf der Bühne das von ihm gedichtete Lied "Ami go home" an, kaum jemand singt mit.
Jürgen Todenhöfer, früher CDU-Bundestagsabgeordneter, behauptet in seiner Rede: "Der Westen wollte diesen Krieg", der Bundesregierung wirft er "Wahnsinn" vor. Der Applaus aus der Menge fällt in diesem Moment eher sparsam aus.
Ein Ehepaar aus Bamberg ist extra nach München auf den Königsplatz gekommen: "Früher bin ich bei der Friedensbewegung mitmarschiert", sagt er, "aber dort fühle ich mich nicht mehr willkommen."
Die massiven Freiheitsbeschränkungen während der Corona-Pandemie, so sagen die beiden Franken, hätten sie "nachdenklich gemacht". Ihnen gehe es, um was sonst: Frieden.
Unter den Menschen am Königsplatz sind auffallend viele Corona-Skeptiker, Esoteriker und auch manch Anhänger von Verschwörungsmythen. Oft werden Narrative der Kreml-Propaganda bemüht: Der Westen habe "Putin in die Enge getrieben", Russland werde "vom Westen "umzingelt", die Osterweiterung der Nato sei schuld am Krieg. So klingen auch die Linken.
Wenn mancher auf dem Königsplatz von Frieden spricht, hat man das Gefühl, es gehe ihm vor allem darum, selbst in Frieden gelassen zu werden.
"Raushalten" ist die Kernbotschaft der AfD am Alten Botanischen Garten. 250 hören zu, als sich Redner vom rechten Rand als Friedens-Apostel inszenieren. Überhaupt fällt es an diesem Tag schwer, Demonstranten aus dem linken, dem querdenkenden und braunen Lager zu unterscheiden. Sie benützen inzwischen alle dieselben Symbole und dieselben Parolen.